Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die militärischen Operationen während des Waffenstillstandes. 
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einer Woche hörte man von der bevorstehenden 
Aeise, aber immer wieder wurde sie in Abrede 
gestellt und die griechischen Behörden wurden 
darüber im unklaren gelassen. Sie äußerten sich 
sogar dahin, daß der Besuch in diesem Augen 
blicke unwahrscheinlich sei, da auch bulgarischer- 
seits verlautete, das) Zar Ferdinand nicht als 
Gast König Georgs hierherkommen könne, 
das) er Saloniki so lange nicht besuchen könne, 
als es unter griechischer Herrschaft stehe. Man 
war deshalb allseits ziemlich überrascht, als 
man gestern abends (aus russischer Quelle) ganz 
bestimmt erfuhr, das) der Zar heute mit der 
Eisenbahn zu erwarten sei. Die Ankunft des 
Zuges, der den Salonwagen des Herrschers 
aller Bulgaren führte, war für 2Vs Uhr nach 
mittags festgesetzt, am Bahnhöfe hatten bul 
garische Truppen Aufstellung genommen und 
die Prinzen Boris und Cyrill, begleitet von den 
Herren des bulgarischen Generalstabes, begaben 
sich dahin. Der Zug traf um 3 Uhr ein. Der 
Zar begrüßte feine beiden Söhne überaus herz 
lich, reichte dann den anderen bulgarischen 
Herren die Hand, worauf die Begrüßung des 
Gefolges stattfand. Es bestand aus General- 
stabsoffizieren und Herrn Geschow. Der Zar 
trug bulgarische Generalsuniform, bestieg, nach 
dem er die Front der Truppen abgegangen hatte, 
den bereitstehenden Kraftwagen und fuhr nach 
der Vorstadt Kalamaria zum bulgarischen 
Generalkonsulat, wo er bis auf weiteres ab 
steigt. Im Hofe dieses Gebäudes und vor ihm 
hatte sich eine größere Menschenmenge, meist 
Bulgaren aus der Stadt und einige neugierige 
Griechen eingefunden. Da stand die gesamte 
bulgarische Geistlichkeit, die Lehrerschaft, Ab 
ordnungen der Schule und zahlreiche angesehene 
Kaufleute, welche den Zaren, als er vorfuhr, 
lebhaft begrüßten. Die Aegimentsmusik spielte, 
die Truppen präsentierten und als sie der König 
fragte, ob sie noch ermüdet seien und wie sie 
sich befänden, erwiderten sie laut und fest, daß 
sie nicht mehr müde und daß sie auch zufrieden 
seien. An bulgarischen Truppen befinden sich 
derzeit 1 Brigade und 2 Artillerieregimenter 
nebst einer Schwadron Aeiterei in und um 
Saloniki. 
Kronprinz Konstantin von Griechenland, so 
wie die Prinzen Vikolaus und Alexander be 
gaben sich im Kraftwagen gleichfalls zur Be 
grüßung des Zaren zum Bahnhöfe, kamen aber 
zu spät, deshalb fuhren sie beim bulgarischen 
Konsulatsgebäude vor, wo sie den König will 
kommen hießen. Bisher konnte man noch nichts 
über die Dauer des Aufenthaltes in Saloniki in 
Erfahrung bringen. Man müht sich selbstredend 
außerordentlich ab, um zu erfahren, welchen 
Zweck der Zar mit seinem Herkommen verfolgt, 
wobei die Veugierde leider nicht befriedigt 
werden kann. Ist es das Los Salonikis, das 
hier entschieden werden soll? Ist es die Mit 
hilfe der Griechen für den Fall der Fortsetzung 
des Krieges mit den Türken und die Feststellung 
der daran zu knüpfenden Bedingungen? Nie 
mand kann heute schon darüber bestimmte Aus 
kunft geben, da man sich, wie nicht anders zu 
erwarten ist, in bulgarischen maßgebenden 
Kreisen in diesen Fragen sehr zugeknöpft ver 
hält und von den Griechen natürlich auch noch 
nichts zu erfahren ist. 
Jedenfalls beherbergte Saloniki in dieser 
Zeit zwei Könige, für die Stadt des Elends, 
die man aus der blühenden Handelsstadt an 
der blauen Ägäis gemacht hatte, wirklich mehr 
als genug. Denn Saloniki war eine Stadt des 
Elends und des Grauens. Wir haben von den ab 
scheulichen Menschenschlächtereien bereits ge 
sprochen, die hier von Griechen und Bulgaren ver 
übt worden sind, von Aaub und Plünderung und 
Mord; hier sei noch ein Bericht von Anfang 
Dezember nachgetragen, der von dem Elend 
spricht, das unter der türkischen Bevölkerung 
ausgebrochen war. Wie es der türkischen Be 
satzung ergangen war, die man halbverhungert 
in Empfang genommen hatte, die man außer 
halb der Stadt in einer verfallenen Zitadelle 
weiter hungern ließ, wissen wir. Der Bericht 
spricht von den Leiden der Türken in der Stadt; 
es heißt hier unter anderem: 
Während sich bulgarische und griechische 
Soldaten aller Waffengattungen in den Straßen 
Salonikis drängen, daß für die angesessene 
Bevölkerung buchstäblich kein Platz mehr übrig 
bleibt, irren die mohammedanischen Flüchtlinge 
scheu durch das Gedränge und erheben hin und 
wieder die Hand gegen einen Europäer, um ein 
Almosen zu erflehen. Unbeschreiblich ist die Vot 
unter ihnen, herzzerbrechend die Szenen, be 
sonders wenn man die Schritte nach den oberen 
Türkenvierteln lenkt. Die bitteren Folgen des 
Krieges für die mohammedanische Bevölkerung 
Mazedoniens treten uns da mit einem Schlage 
vor die Augen, wir sehen plötzlich, daß dieser 
Krieg tatsächlich ein Krieg des Kreuzes gegen 
den Halbmond war, daß die Verehrer des 
Halbmondes nichts mehr von denen des Kreuzes 
zu hoffen haben, denn aus den erschütternden 
Erzählungen der Flüchtlinge geht zu deutlich 
hervor, daß die Balkanchristen die Zeit ge 
kommen sehen, für all die Bedrückung, die sie 
im Laufe der Jahrhunderte türkischer Herrschaft 
erdulden mußten, mit diesen armen, unschuldigen 
Menschen abzurechnen anstatt mit den Ge 
waltigen, welche die türkifchen Behörden ver 
körperten und die sich zumeist längst schon in 
Sicherheit gebracht haben. Vertrieben aus den 
großen Moscheen, den ehemaligen byzantinischen 
Kirchen, wo sie nach ihrem Eintreffen hier
	        
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