Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die weiteren Kriegsereignisse M See während der Zriedensverhandlungen. 
Augenzeuge, der Kapitän des Lloyddampfers 
„Prag", M. Dabcevich, erzählte über das Ge 
fecht folgendes: 
Am Abend des 17. Januar war die „Prag" 
von Konstantinopel nach Triest ausgefahren und 
am Morgen des 18. kamen wir vor Ragara 
an, wo wir anhalten mußten, um den Ferman 
für die Durchfahrt durch die Meerengen zu 
übergeben, um dann in Begleitung eines 
Lotsenschiffes die Minenzone zu durchfahren. 
Ich war nicht wenig erstaunt, als ich von der 
türkischen Flotte, die sonst hier verankert war, 
nichts bemerkte, und als ich weiter wahrnahm, 
wie ein Lazarettschiff und ein großer Transport 
dampfer eben ausführen. Dies ließ mich ver 
muten, daß ein Seegefecht im Gange fei. Um 
9 Uhr vormittags konnten wir unsere Fahrt 
fortsetzen. Als wir Kap Helles hinter uns 
hatten, bemerkten wir 1 Kreuzer und 6 Torpedo 
boote, sowie 1 Minenschiff. Weit draußen auf 
hoher See sah man das Lazarettschiff, das am 
Morgen die Dardanellen unter Volldampf ver 
lassen hatte. 
Mein Dampfer sehte seine Fahrt ungestört 
fort und hielt sich zwischen der Insel Tenedos 
und der kleinasiatischen Küste. Es war ein 
herrlicher Sonntag und weithin konnte man den 
Horizont überblicken. Weit verstreut sah man 
hie und da einige Dampfer, die nach den 
Dardanellen fuhren, oder von dort kamen und 
deren Konturen sich bei dem prachtvollen Lichte 
scharf abhoben. Man konnte alle Gegenstände 
auch in weitester Entfernung wahrnehmen. Der 
Tag war für ein Seegefecht sehr günstig und 
wie wir uns bald darauf überzeugen konnten, 
fand auch tatsächlich ein solches statt. 
Rachdem wir an der Insel Tenedos vorüber 
gefahren waren, kurz vor Mittag, hörten wir 
eine heftige Kanonade, die unseren Dampfer 
erzittern machte. Der Kampf spielte sich nicht 
weit von den Inseln Tenedos und Lemnos ab. 
gn dieser Richtung bemerkte man zwei große, 
schwere Massen gelblichen Rauches, der Horizont 
war von diesen dichten Rauchwolken verdunkelt. 
Wir setzten unsere Fahrt fort. Es war die 
Dejeuneurstunde; aber niemand an Bord dachte 
daran, zum Speisen zu gehen. Offiziere, 
Matrosen, Passagiere, alles war auf Deck, um 
das schreckliche Schauspiel mit anzusehen. Bald 
konnten wir die Mastbäume und die Schorn 
steine und dann endlich auch die Kriegsschiffe 
selbst deutlich wahrnehmen. Es waren zwei 
Formationen: die türkische befand sich nördlich, 
die griechische südlich. Von den türkischen 
Schiffen beteiligten sich bloß die 2 Panzer 
kreuzer, die im vorigen Jahre in Deutschland 
gekauft worden waren, an dem Gefecht,- auf 
griechischer Seite war nur der „Averoff" enga 
giert, der allein die Attacke aufnahm und bald 
die rechte, bald die linke Breitseite gegen die 
beiden türkischen Kriegsschiffe abfeuerte. Die 
anderen Kriegsschiffe der beiden Parteien hielten 
sich außerhalb der Schußweite. 
Von 12 bis 1 Uhr mittags war der Kampf 
außerordentlich erbittert. Kanonenschuß dröhnte 
auf Kanonenschuß. Um 1 Uhr befand sich die 
„Prag" kaum vier Seemeilen vom „Averoff", 
und wir konnten ganz deutlich die Flammen 
wahrnehmen, die bei jedem Schuß aus dem 
Schlunde der Geschütze herauszüngelten, sowie 
die riesigen Wassersäulen, welche die Geschosse 
beim Einschlagen in das Meer aufpeitschten- 
„Averoff" stand in zwei Feuern, die feindlichen 
Geschosse fielen hageldicht um das Schiff 
herum, aber es hielt dem Gegner sehr gut 
stand. Um 1 Uhr wurde das Feuer auf beiden 
Seiten weniger heftig, und um 1 Uhr 40 Mi 
nuten hörte es vollständig auf. Wir sahen, wie 
die türkische Flotte sich nach den Dardanellen 
zurückzog. Bald darauf nahm auch die griechi 
sche Flotte Kurs gegen Lemnos. 
Rach der Ansicht des Kapitäns und der 
anderen Offiziere der „Prag" müssen beide 
Parteien Havarien erlitten haben, und von 
einem Siege oder einer Riederlage des einen 
oder des anderen Teiles könne man eigentlich 
nicht sprechen. Die Position der kleineren Ein 
heiten beider Parteien scheint nach der Meinung 
des Kapitäns und der Offiziere der „Prag" 
einiges zu wünschen übrig gelassen zu haben. 
* , * 
* 
Die „Marine-Rundschau" entwirft auf 
Grund der vorliegenden Berichte von dem Ge 
fecht bei Tenedos folgendes Bild: 
Vielleicht in der Annahme, daß die griechi 
sche Blockadeflotte durch Detachierungen zur 
Verfolgung der „Hamidijeh" geschwächt sei, 
lief Kommodore Ramsi Bey am 18. Januar 
mit seinen gesamten Hochseestreitkräften aus, 
um das griechische Gros aufzusuchen und wo 
möglich in seinem Stützpunkt Lemnos zu über 
raschen. 
„Medschidijeh" und einige Zerstörer waren 
bereits am vorhergehenden Abend zu Erkundi 
gungen nach Tenedos in See gegangen. Um 
9 Uhr morgens standen „Torgut Reis", „Bar 
barossa", „Messudijeh", „Assar-i-Tewfik", 
„Medschidijeh" und 13 Torpedofahrzeuge vor 
der Dardanelleneinfahrt, wo „Assar-i-Tewfik" 
zurückgelassen wurde. 
Das türkische Gros nahm zunächst Kurs 
auf Imbros und dann auf die Südostspihe von 
Lemnos. Das griechische Gros, bestehend aus 
„Averoff" und den drei „Hydra", kam ihm 
von der Mudrosbucht her entgegen. Konter 
admiral Konduriotis ließ seinen Schiffen unter 
anderem signalisieren: „Die Zukunft unseres
	        
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