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Die internationale Situation.
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serbische Gesandte, Dr. Spalajkovic, machte
um die gleiche Zeit einem Korrespondenten
folgende Mitteilung:
Ich war in Nisch mit Herrn pasic, der von
Usküb kam, eine Stunde zusammen und holte
mir Instruktionen bezüglich des bevorstehenden
Waffenstillstandes. Die Bedingungen, die Ser
bien im Einvernehmen mit den Verbündeten
an die Türkei stellt, wurden heute vom bul
garischen Gesandten auch namens Montenegros
Herrn Geschow telegraphiert. Ich selbst treffe
noch heute mit Herrn Geschow zusammen.
Unsere wichtigste Bedingung ist, das) die
Türkei alle Truppen zurückzieht, dies unter der
Kontrolle der Balkanstaaten. Ich glaube, das)
dies auch Bulgariens Vorbedingungen sind.
Natürlich war in Msch auch von der Reise
Dr. Danews die Rede. Dr. Danew hat für
uns plaidiert, er hat sich sogar mit Feuer unserer
Sache angenommen und hofft auf Grund des
ihm bereiteten glänzenden Empfanges auf aller
besten Erfolg. Mir haben den Eindruck, das)
Österreich-Ungarn unsere Situation zu würdigen
wissen wird. Für uns Serben war es bequemer,
das) Bulgarien für uns spricht.
Leider haben vor dem Kriege Klischees bei
den europäischen Diplomaten eine größere Rolle
gespielt als reale Wirklichkeit. Hätte vor dem
Kriege ein Diplomat die Zertrümmerung der
europäischen Türkei vorhergesagt, so hätte man
über diesen Scherz gelacht. Wir haben wahr
haftig ehrlich mitgeholfen, ein Kreuz auf den
Halbmond zu legen.
Betrachten Sie auf der Landkarte die drei
Linien, welche wir in drei Wochen durchmessen
haben. Vom Norden nach Saloniki, vom
Rdriatischen zum Schwarzen Meer, sie bilden
ein Kreuzzeichen.
Eine der wichtigsten Grundlagen unseres
Rllianzvertrages ist, das) uns ein freier Kontakt
mit dem Meere geschaffen wird. Schon aus
geographischen Gründen hat Serbien darauf
verzichtet, den Krieg zum Agäischen Meer
hinüberzuspielen. Die albanesische Frage ver
dient, ernst und lange studiert zu werden; eine
dauernde Lösung mus) resultieren, welche
Österreich-Ungarns Interessen am besten ent
spricht. Man müßte praktisch sein.
Es muß vermieden werden, daß ein auto
nomes Albanien das Foyer zukünftiger Konflikte
der Balkanstaaten untereinander, wie auch
Österreich-Ungarns und Italiens werde. Man
sollte sich nicht damit beeilen, die Autonomie als
eine Lösung zu betrachten. Die Frage ist noch
nicht reif und vielleicht könnte man davon später
sprechen, wenn eine Administration schon ein
gerichtet ist. Es wäre vielleicht für Österreich-
Ungarn besser, vorteilhafter, sich mit den Balkan
staaten zu verständigen, um eine Lösung zu
finden, die den Balkanstaaten und Österreich-
Ungarn in gleicher Weise entspricht.
Ich selbst war vielleicht manchmal ein poli
tischer Gegner, nie aber ein Feind Österreich-
Ungarns, von dem wir unser Wohl erwarten,
nicht von anderer Seite. Alljährlich bin ich mit
meiner Familie in Österreichs Gebirgen, bei
den guten Menschen, die so ehrlich denken und
sprechen.
Wir Balkanstaaten könnten ja den Alba-
nesen große Konzessionen machen, indessen muß
es uns unsere Würde verbieten, von ihnen
Konzessionen zu erbitten. Serbien will und wird
nie eine Flotte haben, die keinen Zweck hätte,
da wir niemals wie Bulgarien oder Griechen
land eine breite Meeresküste haben werden.
Von der Errichtung eines Kriegshafens kann
keine Rede sein, selbst wenn dies, was ich
kategorisch verneine, unsere Wünsche wären.
Dies könnte wirklich für einen Handelsverkehr,
den wir zu unterhalten wünschen, gleich-
giltig sein.
Glauben Sie mir, ich spreche genau so, wie
meine Regierung denkt. Gibt uns die Freund
schaft Österreich-Ungarns einen Handelshafen,
nicht auf fremden, sondern auf unserem Gebiet,
wird unsere Dankbarkeit unendlich sein. Die
adriatische Frage ist unsere Lebensfrage. Wie
kann man sich unsere Unabhängigkeit denken,
wenn unser Handelsverkehr ewig vom guten
Willen unserer Nachbarn abhängt? Selbst das
kleine Montenegro hat seinen Hafen. Der freie
Zugang zu dem Meere ist für uns eine Ehren
sache. Erhalten wir Satisfaktion, so leben und
sterben wir für Österreich-Ungarn und wollen
eventuell auch eine Zollunion abschließen. Wird
unser natürliches Verlangen nicht erfüllt, so ist
die ganze öffentliche Meinung Serbiens gegen
Österreich-Ungarn. Wer soll sie eindämmen?
Zeder selbständige Staat muß seine Verteidigung
sicherstellen können. Was gilt ein Staat, der
sich nicht seine Kriegsmaterialien bringen kann?
In dieser Hinsicht wollen wir von ganz Europa
unabhängig sein. In den letzten sechs Jahren
hat Österreich-Ungarn nie erlaubt, daß auch nur
eine für Serbien bestimmte Patrone die Mon
archie passiert. Wir mußten uns an die Türkei,
unseren Erbfeind wenden.
Ist es nicht ein Hohn, uns von einem selb
ständigen Albanien abhängig zu machen? Diese
Bahn ist ja sehr wertvoll für uns, aber unsere
Unabhängigkeit bedeutet sie nicht. Übrigens sind
die Albanesen ein mittelalterlicher Volksstamm,
mit dem wir immer Schwierigkeiten hätten.
Ewig müßten wir dort um Gnade bitten. Zur
Zeit der Annexion Bosniens und der Herzego
wina zeigte es sich, worin Serbiens Lebens
frage besteht. Damals hatte Serbien ein offi
zielles Programm betreffs territorialer Kompen