Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Unterbrechung der Friedensverhandlungen. 
□□ 
hatten in manchen Gehirnen eine gewisse Ver 
wirrung angerichtet, die später schwere Folgen 
hatte. 
* * * 
Am 6. Januar j 9j 3^ nachmittags 4 Uhr, 
traten die Delegierten in London zur Sitzung 
zusammen. Der erste Bericht über diese Sitzung 
lautete: 
Die Friedenskonferenz wurde heute 
von den Alliierten wegen der ungenügen 
den Antwort der Türken als auf unbe 
stimmte Zeit unterbrochen erklärt. 
„Les travaux de la Conference sont sus- 
pendus", „die Arbeiten der Konferenz sind 
suspendiert", heißt es im offiziellen Protokoll. 
Uber den Verlauf der Sitzung, die unter 
dem Vorsitz des serbischen Chefdelegierten Vo- 
vakovic stattfand, wurde zunächst gemeldet: 
Die Türken unterbreiteten in einer längeren 
schriftlichen Darlegung ihre Antwort auf die 
am vorigen Freitag abgegebene Erklärung der 
Alliierten. Die Antwort lief auf eine Ablehnung 
aller damals gestellten Forderungen hinaus. 
Sie besagte, daß die Türkei Adrianopel keines 
falls zedieren kann und daß sie auf ihre Rechte 
über Kreta unter der Bedingung verzichtet, daß 
ihr keine weiteren Inseln abverlangt werden. 
Vach kurzer Beratung antworteten die Alli 
ierten in folgender Erklärung: 
Da die Vorschläge der ottomanischen Ex 
zellenzen den von den Alliierten in der letzten 
Sitzung formulierten Forderungen nicht ent 
sprechen und da die Verhandlungen auf der 
vorgeschlagenen neuen Basis nicht zu einer 
Einigung führen können, sehen sich die Dele 
gierten der Alliierten genötigt, die Arbeiten der 
Konferenz zu suspendieren. 
Die türkischen Delegierten versuchten hieraus 
eine Diskussion zu beginnen, die aber von den 
Alliierten rundweg abgelehnt wurde. Die Kon 
ferenz sei unterbrochen und zu Diskussionen kein 
Anlaß. 
Hierauf hob der Vorsitzende Vovakovic die 
Sitzung auf und man ging auseinander, ohne 
daß eine neue Sitzung angeordnet worden wäre. 
In einer Schilderung des unmittelbaren 
Eindrucks, den der Vorgang auf die Delegierten 
selbst hervorrief, heißt es unter anderem: 
Die durch die heutigen Vorgänge geschaffene 
Situation ist gewiß ernst, aber es fehlt dem 
düsteren Bilde auch nicht an Lichtpunkten. Vor 
allem haben die Alliierten den Mächten eine 
freundschaftliche Vermittlung dadurch erleichtert, 
daß sie die Konferenz nur als unterbrochen, 
nicht als abgebrochen erklärten. Dadurch wird 
es der Pforte möglich gemacht, ohne Verlust an 
Prestige mit neuen Vorschlägen zu kommen, die 
auch, wenn sie auf den Rat der Mächte er 
folgen sollten, immer noch die Vorschläge der 
Türkei sein würden. 
Ein günstiges Moment ist es auch, daß alle 
Balkandelegierten, die sich über den Vorgang 
äußerten, auf den Unterschied zwischen Unter 
brechung und Abbruch der Konferenz hinweisen. 
Es kann ruhig gesagt werden, daß keine einzige 
Balkanmacht einer Wiederaufnahme des Krie 
ges anders als mit dem größten Widerwillen 
entgegensieht. 
Endlich glaubten einzelne Balkandelegierte, 
in der heutigen Antwortnote der Türken eine 
wenn auch nicht sehr große Abschwächung des 
Standpunktes der Türken von der Vorwoche zu 
erblicken, und machten namentlich auf folgende 
Punkte aufmerksam: 
Die heutige Antwort der Türken spricht nur 
von Adrianopel schlechtweg, dessen Zession ver 
weigert wird, während vorige Woche die Vor 
schläge der Türkei das ganze Vilajet Adrianopel 
betrafen. Darin liegt vielleicht implizite enthal 
ten, daß in bezug auf den Rest des Vilajets, 
ausgenommen Adrianopel, die Türkei mit sich 
reden lassen wird, daß sie nur in bezug auf 
Adrianopel noch auf absolut ablehnendem Stand 
punkt steht. 
Ähnlich sprachen die Türken heute nur vom 
Verzicht auf ihre Rechte über Kreta, während 
sie letzthin von der Zession dieser Rechte an die 
Mächte sprachen. 
Manche Balkandelegierte verweisen auch 
darauf, daß die Türken heute, nachdem die Alli 
ierten ihren Beschluß kundgegeben hatten, eine 
Diskussion beginnen wollten, vermutlich deshalb, 
um den Anschein hervorzurufen, daß trotz for 
meller Unterbrechung der Konferenz weiter ver 
handelt werde. 
Die türkischen Delegierten sehen viel schwär 
zer. Dazu trägt wohl bei, daß die in der letzten 
Zeit von den Mächten in bezug auf den Ver 
zicht auf Adrianopel erteilten Ratschläge die 
Türken sehr verstimmt haben. Sie sehen darin 
eine einseitige Stellungnahme zuungunsten der 
Türkei und verweisen auf die ursprüngliche Er 
klärung der Mächte, daß der Krieg den Status 
quo nicht verändern werde. 
Immerhin macht diese bittere Stimmung eine 
Vermittlung der Mächte doppelt schwierig. Die 
Türken haben keinerlei Garantie, daß man sie 
wenigstens im ungestörten Besitz ihrer asiatischen 
Besitzungen und des Streifens lassen wird, den 
die Alliierten ihnen in Europa vergönnen. Sie 
würden nach wir vor um den Rest ihrer euro 
päischen Besitzungen zittern und vielleicht eine 
große Armee zwischen Konstantinopel und der 
Tschataldschalinie halten müssen. 
Es ist klar, daß bei etwaigen Vermittlungs 
versuchen die Mächte jetzt damit zu rechnen 
haben, daß die Türkei ernstlich an eine Mieder-
	        
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