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Die internationale Situation.
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Ursachen zu späteren Komplikationen bilden
könnten.
Die vier Balkanstaaten gehen im voll
ständigen Einvernehmen vor, denn nur so kann
erreicht werden, das) ein jeder das Gebiet er
hält, das er notwendig hat.
Einem anderen Korrespondenten erklärte pa-
sic am gleichen Tage:
Serbien wird, was immer geschieht, durch
Albanien an die Adria marschieren und Häfen
besehen.
Die zwei österreichischen Gegenvorschläge,
das) Serbien an das Agäische Meer gehen oder
einen dalmatinischen Hafen benutzen solle,
sind unmöglich, ebenso die Autonomie Alba
niens.
Ein Zollverein zwischen Österreich-Ungarn
und den Balkanstaaten mag eine Sache der
Zukunft sein, ist aber gegenwärtig ausgeschlossen.
Auch eine internationale Führung der Bahnen
in der europäischen Türkei ist nicht diskussions
fähig. Die Balkanföderation wird die Zukunft
der Bahnen regeln und ohne Zweifel sich mit
Österreich-Ungarn über Fracht etc. einigen, aber
eine Internationalisierung wollen wir nicht
diskutieren.
Nus diesen Äußerungen des serbischen
Staatsmannes geht hervor, wie die Dinge zu
jener Zeit standen. Sie haben sich freilich ganz
anders entwickelt, als Herr pasic dachte. Sehr
interessant zur Charakterisierung der Lage ist
die Rede, die der gemeinsame Minister des
Austern Graf Berchtold am 18. Rovember vor
den Delegationen in Budapest gehalten hat.
Der Minister führte aus:
Ich will nicht die Prätension erheben, auf
die vielen inhaltsreichen Reden zu reflektieren,
welche im Laufe der Debatte über die aus
wärtige Politik gehalten worden sind. Cs ist
von mehr als einer Seite hervorgehoben worden,
dast die Divergenz der hierbei zutage getretenen
Anschauungen kein klares Bild erkennen läßt,
das imstande sein könnte, dem verantwortlichen
Minister seine Aufgabe zu erleichtern. Ich
möchte dies nur bedingt gelten lassen. Denn in
den wesentlichen Richtlinien meiner Politik
glaube ich mich mit wenigen Ausnahmen im
Einklang mit der hohen Delegation zu befinden.
Es sind dies: das treue Festhalten an dem
bestehenden, fest gegründeten Bundesverhältnisse
und die konsequente Verfolgung einer mastvollen,
keine territoriale Expansion anstrebenden, aber
unsere Interessen fest im Auge behaltenden
Realpolitik. Die durch die Kriegsereignisse ge
schaffene Situationsveränderung auf dem Bal
kan bringt es mit sich, dast wir uns mit der
Rückwirkung, welche diese Ereignisse auf unsere
Interessen nehmen dürften, beschäftigen müssen.
Es ist kein Grund vorhanden, zu zweifeln,
dast seitens der Balkanstaaten in objektiver
Einschätzung der Lage mit der hohen Bedeutung
gerechnet wird, welche der Herstellung eines
dauernden, gesunden Verhältnisses mit der
Rachbarmonarchie innewohnen würde. Die
wiederholten Aussprachen, welche ich kürzlich
mit dem bulgarischen Kammerpräsidenten Danew
geführt, haben mich in dieser Auffassung be
stärkt und mir einen schätzenswerten Beweis
geliefert von der klugen Politik, welche auch
angesichts der glänzenden Erfolge der bulgari
schen Armee den Entschließungen der Staats
männer des jungen Königreiches zum Leitstern
dient.
Die unter den Mächten hinsichtlich einer
Mediation eingeleiteten Verhandlungen haben
dazu geführt, dast vor einigen Tagen die Ver
treter der Großmächte bei den Balkanstaaten
beauftragt wurden, das bezügliche türkische An
suchen zum Gegenstände einer Anfrage bei den
Regierungen der vier kriegführenden Staaten zu
machen. Die Antworten auf diese Demarchen
sind uns bis jetzt noch nicht zugekommen.
Mittlerweile hat sich die Pforte, wie Ihnen
bekannt, unter dem Eindruck der bedrohlichen
Lage veranlaßt gesehen, sich direkt an Bulgarien
wegen Einstellung der Feindseligkeiten zu wenden.
Mir können die erfreulicherweise eingeleiteten
Pourparlers nur mit unseren besten Wünschen
begleiten und haben Grund, vorauszusehen,
das) die kriegführenden Staaten auf die legitimen
Interessen anderer Mächte Bedacht nehmen.
In den Diskussionen der Delegationen wie
der Presse ist in sehter Zeit die Frage der zu
künftigen Gestaltung Albaniens im Vorder
grund gestanden. Wie aus den in der italieni
schen Kammer seinerzeit abgegebenen Erklärungen
des damaligen italienischen Ministers des Austern
bekannt ist, besteht zwischen den Kabinetten von
Wien und Rom eine Übereinstimmung hinsicht
lich der künftigen autonomen Gestaltung Alba
niens. Unsere heutige Politik wie jene Italiens
geht von diesem Grundsatz aus.
Wenn die Existenz einer albanesischen Ra
tion hier von mancher Seite angezweifelt wurde,
so möchte ich dem gegenüber geltend machen,
dast die Albanesen unter jahrhundertelangen
ungünstigen Verhältnissen es verstanden haben,
ihre nationalen Traditionen und ethnischen
Eigentümlichkeiten ungeschwächt zu bewahren.
Wenn wir ihnen nunmehr die Möglichkeit
bieten wollen, die Segnungen westeuropäischer
Kultur in erhöhtem Maste sich anzueignen, so
kann ich ein solches Vorhaben nicht als aus
sichtslos ansehen.
Es ist uns wiederholt seitens der Herren
Delegierten sowohl im Ausschüsse als im
Plenum mangelnde Voraussicht bei der Ent
wicklung der Ereignisse auf dem Balkan vorge