Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Schleppender Gang der Zriedensverhandlungen. 
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Balkankrieg nur von sehr kurzer Dauer, dann 
aber wahrscheinlich für einen dauernden Frieden 
reif sein. 
Dagegen sollte eine andere Frage der Türkei 
ernstlich zu denken geben. Durch die Berichte 
türkischer Statthalter ist festgestellt, das) auch 
durch die asiatischen Provinzen, wo das osmani- 
sche Reich aus den Wurzeln türkischer Rational 
kraft eine neue Zukunft begründen will, starke 
separatistische Strömungen gehen. Jur alten 
Idee eines arabischen Kalifats, welches seit den 
türkischen Riederlagen in Rumelien die schwan 
kenden Sympathien der reichen Mohammedaner 
Britisch- und Mederländisch-Indiens völlig für 
sich gewonnen hat, zu den Bestrebungen für 
eine Ausdehnung der Autonomie des Libanon 
auf ein von Frankreich protegiertes Syrien tritt 
jetzt auch eine scharfe Propaganda für eine 
Autonomie Armeniens. Es kann heute noch 
nicht festgestellt werden, ob diese Propaganda 
wirklich den Schutz Rußlands genießt, welches 
von den armenischen Revolutionskomitees lange 
Zeit als weit gefährlicher bekämpft wurde, denn 
die Türkei. Die Ergebnisse des Balkankrieges 
haben aber auch in dem vielgeprüften armeni 
schen Hochlande alle Begriffe umgewertet. Die 
armenischen Komitees, welche in der türkischen 
Revolution auf Seiten der Iungtürken eine so 
große Rolle spielten, sehen sich seit dem Sturze 
ihrer Verbündeten um ihre Hoffnungen, daß die 
Konstitution ihnen gegen die Bedrückung durch 
die kurdischen Feudalherren wirksamen Schutz 
verschaffen werde, betrogen. Die Kurden selbst, 
durch die Riederlagen der Türkei in ihrem 
religiösen Fanatismus gereift und durch keine 
türkische Autorität mehr im Zaume gehalten, 
gebärden sich mehr denn je als eigentliche 
Herren des Landes. Und da die Pforte alle 
verfügbaren Truppen von Erzerum bis Adana 
aus dem Lande zurückgezogen hat, um sie bei 
Gallipoli gegen die Bulgaren zu verwenden, 
ist Armenien tatsächlich heute in den Händen 
der als Grenzwächter bestellten, aus den 
Tagen Abdul Hamids berüchtigten kurdischen 
Milizen. Zum Schutze gegen ihre Raub 
und Mordlust beginnen die armenischen Revo 
lutionskomitees wieder wie einst gutbewaffnete 
Banden auszurüsten, während die armenische 
Kirche durch den Katholikos von Edschmiadzin 
einerseits den Schutz Rußlands, anderseits 
durch Entsendung des früheren Patriarchen 
Ormanian nach London die Hilfe Englands 
anruft. Die altarmenische Residenz Wan und 
das Bergnest Ieitun im Vilajet Adana scheinen 
die Hauptherde der neuesten armenischen Be 
wegung zu sein und die türkischen Behörden 
rufen vergebens nach Truppen zu ihrer Unter 
drückung. 
Hier lauern vielleicht noch größere Gefahren 
als in der europäischen Türkei, wo die Pforte 
entschlossen zu sein scheint, in einem verzweifelten 
va banque alles auf die Karte „Adrianopel" 
zu setzen: Alles oder nichts! Schon im ersten 
Jahre der jungtürkischen Ara wurde auf die 
Wichtigkeit der drei A für den Bestand der 
Türkei hingewiesen: der Albanesen, Araber und 
Armenier. Von diesen Hauptelementen und Eck 
pfeilern des Osmanenreiches ist der westlichste 
in Europa geborsten. Auch die arabischen Erz 
länder des Islam wurden durch den Verzicht 
auf Tripolis einer harten Belastungsprobe aus 
gesetzt. Die Türkei wird sich mit ihrem Reform 
projekt für Armenien sehr beeilen müssen, wenn 
sie nicht wegen einiger sehr ehrwürdiger Mo 
scheen in Adrianopel dem russischen Expansions- 
drang gegen die anatolische Urheimat die Tore 
von Erzerum und Erzinghian öffnen will. 
Aus dieser Korrespondenz geht zunächst 
hervor, daß die maßgebenden türkischen Kreise 
sich mit dem Gedanken an die Abtretung von 
Adrianopel vorläufig durchaus nicht befreunden 
konnten. Es wird aber auch gezeigt, welche 
Fülle von inneren Gefahren auf die türkische 
Regierung drückte und sie den Forderungen der 
verbündeten Sieger in Europa gefügig machen 
konnte. Bezeichnend für die Art des türkischen 
Denkens ist auch, was der frühere türkische 
Minister, Dschavid Bey, am 27. Dezember 
einem Ausfrager in Wien erklärte. Der be 
kannte jungtürkische Führer sagte unter anderem: 
Morgen wird die Türkei den Balkan 
delegierten ihre Antwort auf ihre wohl sehr 
unbescheidenen Forderungen erteilen. Es ist 
völlig ausgeschlossen, daß die Türkei Adrianopel 
abtritt. Wie schwach auch das gegenwärtige 
Kabinett ist, an dessen Spitze der alte Kiamil 
Pascha steht, so kann es die Ungeheuerlichkeit 
einer Abtretung Adrianopels doch nicht wagen. 
Es war ja schon arg genug, daß diese Re 
gierung zu einem Waffenstillstand sich hat ver 
leiten lassen, der nicht die Versorgung Adria 
nopels mit Lebensmitteln gestattete. Eine starke 
Regierung hätte sich zu dergleichen nie herbei 
gelassen. 
Auf die Frage, ob die Türkei sich bereit 
finden würde, an die Verbündeten eine Kriegs 
entschädigung zu zahlen, antwortete der ehemalige 
Minister: Davon kann gar keine Rede sein. 
Wie immer die Verhandlungen enden mögen, 
jedenfalls wird der Friedensschluß mit einem so 
großen Verlust an Territorium verbunden sein, 
daß die Türkei unmöglich außerdem noch eine 
Kriegsentschädigung zu bewilligen vermag. 
Dschavid Bey war seit Bestand des jung 
türkischen Regimes Deputierter seiner Vaterstadt 
Saloniki. So scheint er besonders berufen, sich 
über die Zukunft dieser Stadt zu äußern. Er 
sagte darüber: Wenn Saloniki in den Besitz
	        
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