Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Zwischen Krieg und Frieden. 
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sind dort bulgarische Truppen und Komitatschis 
eingerückt. 
Wie so oft, mußten sich die Moham 
medaner zuerst in der Moschee versammeln, 
19 von ihnen wurden zusammengebunden, nach 
dem Wardarfluß geführt und teils erschossen, 
teils mit Messern grausam hingerichtet. Dann 
wurde das Dorf unter Mitwirkung der Soldaten 
ausgeraubt und den Einwohnern alles ge 
nommen, Getreide, Vieh, Hausgeräte. Die 
Mädchen bis zu 9 Jahren herunter wurden 
geschändet und noch 26 Türken erschlagen, 
darunter allerdings 5 oder 6, die sich früher 
ihrerseits durch Grausamkeit und Medertracht 
gegen die Bulgaren hervorgetan hatten. Ms 
die beiden Damen kamen, saßen die Frauen in 
einem Hause, in ihre Tücher gehüllt, hungernd, 
ein Bild des Elends. Es ist, als sei man um 
Jahrhunderte zurückversetzt, wenn man von dem 
Treiben der bulgarischen Banden hört und es 
scheint nichts zu sein, dessen sich das Volks 
gewissen schämt. Ms man zwei bulgarischen 
Soldaten, die im Hospital lagen, von dem 
Treiben ihrer Landsleute erzählte, leuchteten 
ihre Augen freudig auf und ein bulgarischer 
Offizier erwiderte, als man ihm sagte, ihr 
rottet die Türken aus: „Freilich tun wir's". 
Es ist schwer, Worte zu finden, die imstande 
sind, das Gefühl des Abscheus und des Ekels 
zu schildern, das uns bei der Aufzählung dieser 
furchtbaren Taten überkommen muß. L'est la 
guerre! sagten die Diplomaten Europas achsel 
zuckend, wenn sie über die Grausamkeiten der 
Bulgaren, der Griechen und Serben interpelliert 
wurden. Gewiß, jeder Krieg hat seine Scheuß 
lichkeiten im Gefolge gehabt, aber so systema 
tisch wurden niemals Wehrlose, Verwundete, 
Frauen und Kinder hingeschlachtet, wie in diesem 
„Kreuzzug" der christlichen Balkanvölker gegen 
den Halbmond. Und wohl denen, die einen 
raschen Tod fandenl Die Bestialität ging in 
diesem Kriege so weit, daß der Mord allein 
nicht mehr genügte,- die Opfer wurden mit 
teuflischem Behagen langsam zu Tode ge 
quält . .. 
Schließen wir dieses häßlichste Kapitel des 
ganzen Krieges: die Verbrechen haben ihre 
furchtbare Sühne gefunden. .. 
Zwischen Krieg und Frieden. 
V*»;« London hatte, wie wir gesehen haben, 
große Feilschen um die Herrschaft 
fcHl ö ^ cr den Balkan begonnen. Die Be- 
dingungen, welche die siegreichen Ver- 
* bündeten der Türkei stellten, waren 
sehr hart; die Türkei versuchte alle diploma 
tischen Kniffe, in denen ihre Politiker von 
alters her so sehr bewandert sind, um die Ver 
handlungen zu verzögern. Zunächst erklärten 
die Türken in London, wie schon erzählt, sie 
hätten keine Autorisation, mit den griechischen 
Delegierten zu verhandeln, da zwischen Griechen 
land und der Türkei kein Waffenstillstand ver 
einbart worden sei. Eine Woche verging, ehe 
diese Frage entschieden werden konnte; die 
türkische Antwort auf das Verlangen der Ver 
bündeten wurde durch einen Spezialkurier von 
Konstantinopel nach London gebracht. Sodann 
begannen die wirklichen Verhandlungen. Wer 
indes geglaubt hatte, daß sie bei der ungemein 
klaren Sachlage ein rasches Ende finden würden, 
der irrte. Mehr als einmal schien die Gefahr 
nahe gerückt, daß die Verhandlungen überhaupt 
abgebrochen würden und niemand konnte mit 
Bestimmtheit sagen, was kommen würde. Selbst 
in der türkischen Hauptstadt herrschte absolute 
Ungewißheit über den Nusgang der Verhand 
lungen. Einer Konstantinopler Korrespondenz 
der „Schlesischen Zeitung" vom 3. Januar 
entnehmen wir das Folgende: 
Wer in Deutschland annähme, man könne 
gegenwärtig hier auch nur ahnen, ob die nächsten 
Tage Krieg oder Frieden bringen werden, der 
wäre im Irrtum. Stündlich fast sieht man sich 
gezwungen, seine Meinung zu ändern. Während 
mir ein dem Hofe nahestehender Pascha ge 
sprächsweise mitteilte, er schließe sich der weit 
verbreiteten Meinung an, der Friede sei schon 
so gut wie unterschrieben, summte über unseren 
Häuptern der erste türkische Fliegerleütnant 
vorüber, der gegenwärtig unter allgemeiner Be 
geisterung über Stambul Ubungsflüge unter 
nimmt und dessen Bild auf der Straße feil 
geboten wird. 
Das Kriegsministerium ist unablässig damit 
beschäftigt, die neuankommenden Truppen dem 
Ganzen einzufügen und Vorräte in der 
Tschataldschalinie anzuhäufen. Die Stellungen 
sind geändert worden und werden in ihrer 
neuen Anordnung so streng geheimgehalten, 
daß nicht einmal Vollbrecht Bey die Erlaubnis 
erhalten konnte, an die Front zu reiten. Man 
muß dort alle Augenblicke einen Spezialpaß 
des Generalkommandos vorweisen. Vazim Pascha, 
der Höchstkommandierende hat sich plötzlich in 
die Front begeben, nachdem er sich vom Stande
	        
Waiting...

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