Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

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Die Greuel des Krieges. 
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Firma daran schuldig, wenn die Filiale von 
Kanaillen betrieben wird? 
Aber wohlverstanden, durchaus nicht nur 
die „Banditen", die „nichtmilitärischen Elemente", 
wie die Balkanregierungen beschönigend sagen, 
haben die großen Greuel verübt. Die Regulären 
nicht minder. Wo ist der neue Zola, der den 
Balkanstaaten sein „j'sccuse" zuschleudert? 
Was die edlen Serben taten, ist bekannt. Was 
die Bulgaren taten, wird auch einmal ans 
Tageslicht kommen. Sie haben in ihrem Be 
reiche nicht minder umfassend „gewürgt" als 
ihre serbischen Verbündeten. Und die Griechen? 
Geht nach Saloniki und fragt die Konsuln, 
fragt die Kolonien, }. B. die deutsche, die 
österreichische, französische, italienische . . . Vicht 
einer der Befragten, der nicht Dinge erzählen 
wird, daß sich euch die Haare sträuben. 
Die Greuel aber wurden tatsächlich begangen. 
Die fürchterlichsten Greuel, die die Weltgeschichte 
je gesehen. Und sie wurden und werden just 
von denen begangen, die in der Religion der 
Liebe erlogen sind. Greuel, wie kein Teufels 
gehirn sie scheußlicher ausdenken könnte. Zwei 
europäische Kaufleute aus Kawalla, zwei 
Rotable, deren Ramen ich nicht nennen kann, 
um sie nicht der Vendetta der Mörderbande 
auszuliefern, haben mir folgendes in die Feder 
diktiert. 
Es ist die Chronik eines Massakers, wie 
Europa es seit dem IOjährigen Kriege nicht 
wieder erlebte. Erzählt von zwei Augenzeugen, 
die noch heute seelisch und physisch unter den 
fürchterlichen Eindrücken stehen.! 
Freitag den 8. Rovember erscheinen in 
Kawalla zwei bulgarische Komitatschis zu Pferde, 
reiten nach dem Konak und fordern (das 
Militär ist abgezogen) den Bürgermeister zur 
Übergabe auf. Alsdann — die Sache wird 
ganz modern — gehen die beiden Komitatschis 
zum Telephon und sehen ihre in Batem- 
Tschiflik zurückgebliebene Bande von dem 
„Sieg" in Kenntnis. Und schon um 3 Uhr 
nachmittags zieht die berittene Bande, 12 Mann 
hoch, in Kawalla ein. Mittlerweile hat der 
Bandit Tscherneview die „Diktatur" übernommen 
und läßt am zweiten Tage nach der Einnahme 
der Stadt sämtliche Türken verhaften und in 
den Kerker werfen, die ihm von den griechischen 
Mitbürgern als „staatsgefährlich" denunziert 
worden sind. Darunter nicht nur Beamte, 
Advokaten, reiche Leute, sondern auch arme 
Teufel, deren einziges Vergehen darin besteht, 
daß sie — nicht Christen sind. Ferner eine An 
zahl Juden, weil diese als Freunde der religiös 
und politisch toleranten Türken bei den Griechen 
ganz besonders schlecht angeschrieben sind. Das 
bekannteste unter den Opfern ist der in Europa 
wohlbekannte, kluge Edib Bey, ein Mann, der 
mehrere (jähre seines Lebens in Deutschland 
zugebracht. 
Allabendlich um y Uhr werden nun einige 
Dutzend Verhafteter (das erstemal 39) aus dem 
Kerker geholt und im Zuge durch die Stadt 
transportiert. In Kalamiha, J 00 Meter vom 
Meeresstrand, werden die Leute ihrer Ober 
kleidung entledigt, je drei und drei aneinander 
gebunden und in ein ausgetrocknetes Flußbett 
gestellt. Und nun beginnt ein entsetzliches, 
scheußliches Abschlachten. Mit Bajonetten, 
Dolchen, (jatagans wird auf den Menschen 
knäuel eingestochen und gehauen, bis er schließ 
lich nur mehr einen ungeheuren blutigen Fleisch 
haufen bildet. Die noch zuckenden Körper läßt 
man liegen, um am Abend darauf neue Dutzende 
zu ihnen zu gesellen. JO Tage — so lange 
dauert der Terror — bleiben die Leichen un- 
beerdigt und verpesten die Luft. Die ganze 
Bevölkerung geht hinaus, um die Schlächter 
stätte anzusehen und meine europäischen Augen 
zeugen stellen fest, daß viele der Unglücklichen 
von Kopf zu Fuß, ja zur Fußsohle, durch 
Dutzende von Bajonett- und Jataganstichen 
zerfetzt wurden. „Hätte man sie wenigstens er 
schossen 1" meinen die Herren. „Aber die Art 
und Weise dieses Gemetzels war so grausig, 
daß die Phantasie es gar nicht ausmalen kann, 
(ja, die Leichen wurden obendrein noch ver 
stümmelt. Und dies alles nur, weil sie — Türken 
oder (luden waren." 
Das merkwürdigste war, daß wenige Tage 
nach Beginn der Dauermorde die regulären 
bulgarischen Truppen in Kawalla einrückten. 
Die europäischen Konsuln wandten sich nun 
mehr an den bulgarischen Militärkommandanten 
mit der Bitte, die Greuel zu beendigen. Aber 
hatten die bulgarischen Komitatschis zuvor den 
Konsuln bedeutet, sich mäuschenstill zu ver 
halten, da ja keinem Ausländer ein Haar ge 
krümmt worden und das übrige sie nichts an 
gehe — so erklärte der bulgarische Militär 
kommandant zynisch: „Bedauere, ich kann nichts 
tun. Die Stadt untersteht nicht uns, sondern 
den Komitatschis . . ." 
Die bulgarischen Militärbehörden ließen 
also ruhig morden, die Konsuln desgleichen und 
dabei lagen zwei fremde Kriegsschiffe im Hafen? 
Warum lassen Sie Ihre Truppen nicht landen? 
fragte man die beiden Kommandanten. Und sie 
antworteten ihren Instruktionen entsprechend: 
„Wir dürfen nicht landen lassen, so lange nicht 
das Leben der Ausländer bedroht ist." 
Aber hätten die Konsuln nicht Mittel und 
Wege gehabt, eventuell durch drahtlose Tele 
graphie ihre Regierungen von den Metzeleien 
zu unterrichten, sie im Ramen der Menschlich 
keit um die Erlaubnis zu militärischen Rot 
maßregeln zu ersuchen? Welches Kabinett,
	        
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