Volltext: Illustrierte Geschichte des Balkankrieges 1912 - 13 Zweiter Band (Zweiter Band / 1914)

Die Greuel des Krieges. 
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festen Plan mehr, die Postämter selbst können 
erst im letzten Moment darüber Auskunft geben. 
Dazu gesellen sich bereits die Vorboten einer 
Hungersnot; schon mangelt es an Brot, die 
Bäckereien sind von Hungrigen umlagert, sie 
können den Anforderungen nicht mehr genügen. 
Alle Lebensmittelpreise steigen, wer nicht recht 
zeitig für sein Haus vorgesorgt hat, must nun 
die Folgen tragen. Man empfindet es als eine 
Erleichterung, dast sich die Griechen genötigt 
ehen, Truppen nach Sorowitsch M entsenden, 
denn die letzten Kämpfe um Monastir sind für 
sie ungünstig ausgefallen. Dadurch wird hier 
wenigstens etwas Luft, obgleich auch nach ihrem 
Abgänge die Stadt noch nicht in der Lage ist, 
Unterkunft für diese Massen von Griechen und 
Bulgaren zu bieten, die in und um Saloniki 
lagern. 
Allgemein wird auf ein sehr gespanntes Ver 
hältnis Mischen Griechen und Bulgaren hin 
gewiesen, was seinen Grund darin haben soll, 
dast sich die Griechen beeilten, Saloniki vor den 
Bulgaren )u besehen, bevor sie ihre Aufgabe 
hinsichtlich des Epirus und Monastirs erfüllten. 
Es verlautet, dast die Bulgaren Saloniki nicht 
früher verlassen werden, bevor nicht volle Klar 
heit über das weitere Schicksal Salonikis ge 
schaffen worden ist. Die Griechen dagegen be 
setzten schon alle Ämter und öffentlichen Gebäude, 
histten überall die griechische Flagge, auch auf 
den alten byzantinischen Kirchen, welche die 
Türken in Moscheen verwandelt hatten, und 
halten ein Tedeum nach dem andern über die 
„glorreiche Befreiung der Stadt und der Christen 
heit von den Tyrannen" ab. Sie betrachten sich 
als die Eroberer Salonikis, während sie in 
Wirklichkeit nur einen militärischen Spalier- 
gang hierher unternommen haben, mit Aus 
nahme der Kämpfe bei Serfidze und Kotschani. 
Der Korrespondent drückt sich noch ungemein 
vorsichtig aus. Dr. Hans Barth, der bekannte 
Publizist, hat, wie schon mitgeteilt, im „Berliner 
Tageblatt" eine ausführliche Schilderung dessen 
gegeben, was er in Saloniki selbst erlebt hat. 
In der Wochenschrift „Mär)" hat er seine Er 
lebnisse noch schärfer zusammengefastt und von 
authentischen Mitteilungen, die ihm aus Salo 
niki zugegangen sind, Kenntnis gegeben. Es 
heistt in dem Artikel: 
Roch krampst sich mir das Her) zusammen, 
wenn ich an jenen Rovemberabend in Saloniki 
denke. Der Kai von griechischen und bulgari 
schen Soldaten und Komitatschis wimmelnd, 
dazwischen festtäglich gekleidete Hellenen, den 
Revolver bereit, um jeden Augenblick scharfe 
Freudenschüsse abzufeuern . . . plötzlich staut 
sich die Menge. Eine blauweiste Riesenfahne 
in der Hand, kommt ein untersetzter griechischer 
„Papas" herangeschritten, den randlosen Zylinder- 
hut auf dem Haupt mit dem Weichselzopfe von 
Haaren und in dem aufgeschwemmten roten 
Gesichte ein paar boshaft flimmernde kleine 
Augen. So schreitet er langsam und feierlich 
einher, immer seine Fahne schwingend. Aber 
hinter ihm, wie auf der Via Crucis alter 
Meister, Mei armselige Menschen, gefesselt, in 
der braunen Uniform türkischer Militärtele- 
graphisten, misthandelt, geschlagen, gestosten von 
einer johlenden Menge, die die Ärmsten zum 
Richtplatze treibt. 
Rie ist mir und sicher jedem europäischen 
Christen (Rotabene nicht „Balkanchristen") die 
furchtbare Kluft Mischen christlicher Lehre und 
ihrer Befolgung so zum Bewusttsein gekommen, 
wie in diesem Kriege. Kein Cesare Borgia, 
kein Torquemada, kein Tilly hat in seinem 
ganzen Leben so teuflisch gehaust, wie der 
Balkanklerus, der wahre Urheber dieser Greuel, 
in ein paar Monaten . . . Selbst der rasendste 
spanische Fanatiker tritt vor den Pfaffen zurück, 
die im Türkenkriege im Ramen Christi „wirken" 
und würgen . . . Schaut sie nur an, mit dem 
höhnisch satten Kalchasgesichtel Auf der Brust 
ein riesengrostes Krucifix in Gold oder Silber, 
im Gurt ein paar Pistolen und womöglich noch 
einen Jatagan . . . Ad majorem Dei gloriam! 
Drausten häufen sich Berge von Toten, der 
Leichengestank verfolgt uns bis in unser Hotel. 
Was kümmert das diese Prediger der Liebe? 
Sie sitzen mit roten Köpfen im Kaffeehaus, 
leeren ein Likörglas nach dem andern, politi 
sieren, bramarbasieren und leiden, dast die 
Soldaten und Banditen sich zu ihrem Tische 
herandrängen und die haarige Popenhand 
küssen ... Um mit dem Segen des „Papas" 
sofort zu neuem Morden zu gehen. 
Der „Papas" ist es, der die Schuld an 
dem grosten Mord trägt . . . Denn die Auf 
stachelung des religiösen Hasses ist es ja, die 
dem Balkanklerus einzig und allein seine all 
beherrschende Stellung verschafft. In demselben 
Augenblick, wo die Völker anfangen würden, 
an der Allweisheit und Gottähnlichkeit des 
Popen zu Meifeln, wäre es um seine Herrschaft 
geschehen und weder der „Gebildete" noch der 
Ungebildete würde dem Kalchas mehr die Hand 
küssen . . . Aber diese Zeit ist ferne. Erst recht 
ferne gerückt durch das groste Schlachten für 
Gott und Humanität ... 
In und um Saloniki wird noch heute ge 
wütet, dast es eine Freude ist. Ein Konsul 
schreibt mir, dast seinen Quellen zufolge (ich 
nehme dem Brief nach an, dast der Konsul 
nur von Makedonien spricht), mindestens 
240.000 Türken hingemordet worden sind. Und 
als Pendant dazu hörte ich beim Frühstück auf
	        
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