Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

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schußmitglieder). Dieselben haben das Recht, Darlehen zu be⸗ 
willigen, und auch der junge Redner hat ein Darlehensgesuch 
eingebracht.“ 
Beispiele für Verlesen und Verschreiben (aus Freud a. a. O.). 
„In den WWitzigen und satirischen Einfällen“ von 
Lichtenberg findet sich eine Bemerkung, die wohl einer 
Beobachtung entstammt und fast die ganze Theorie des Ver— 
lesens enthält: Er bas immer Agamemnon statt „n— 
genommen', so sehr hatte er den Homer gelesen. 
In einer übergroßen Anzahl von Fällen ist es nämlich 
die Bereitschaft des Lesers, die den Text verxändert und etwas, 
worauf er eingestellt oder womit er beschäftigt ist, in ihn hinein— 
liest. Der Text braucht dem Verlesen nur dadurch entgegen— 
zukommen, daß er irgendeine Aehnlichkeit im Wortbild bietet, 
die der Leser in seinem Sinn verändern kann. Flüchtiges Hin— 
schauen, besonders mit unkorrigiertem Auge, erleichtert ohne 
Zweifel die Möglichkeit einer solchen Illusion, ist aber keines— 
wegs eine notwendige Bedingung für sie.“ 
„Aergerlich und lächerlich ist mir ein Verlesen, dem ich 
sehr häufig unterliege, wenn ich in den Ferien in den Straßen 
einer fremden Stadt spaziere. Ich lese dann jede Ladentafel, 
die dem irgendwie entgegenkommt, als Antiquitäten. Hierin 
äußert sich die Abenteuerlust des Sammlers. 
Ich glaube, die Kriegszeit, die bei uns allen gewisse feste 
und langanhaltende Präokkupationen schafft, hat keine andere 
Fehlleistung so sehr begünstigt wie gerade das Verlesen.“ Ich 
konnte eine große Anzahl von solchen Beobachtungen machen, 
von denen ich leider nur einige wenige bewahrt habe. Eines 
Tages greife ich nach einem der Mittags- oder Abendblätter 
und finde darin groß gedruckt: Der Friede von Görz. Aber 
nein, es heißt, ja nur: Die Feinde vor Görz. Wer gerade zwer 
Söhne als Kämpfer auf diesem Kriegsschauplatz hat, mag sich 
leicht so verlesen.“ 
Nach W. Siekel zitiere ich folgenden Fall, für dessen 
Authentizität ich gleichfalls einstehen kann: „Ein geradezu 
unglaubliches Beispiel im Verschreiben und Verlesen ist in der 
Redaktion eines verbreiteten Wochenblattes vorgekommen. Die 
betreffende Leitung wurde öffentlich als ‚äuflich“ bezeichnet. 
Es galt, einen Artikel der Abwehr und Verteidigung zu 
schreiben. Das geschah auch — mit großer Wärme und großem
	        
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