Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

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jene andere Patientin viel zu lieblos, und sie habe längst 
erkannt, daß er nur äußerlich höflich und liebenswürdig, inner— 
lich aber ein Egoist und ein Eisklotz sei. Hier hat die Patientin 
zuerst auf eine andere Patientin übertragen, die sie vorschiebt, 
um ihre eigene Uebertragung auf den Analytiker ein wenig, 
aber durchsichtig genug, zu verhüllen. J 
Durch fortwährende Beachtung der analytischen Situation 
in den verschiedenen Formen der Uebertragung gelangt man 
immer tiefer in die gegenwärtigen und vergangenen Schwierig— 
keiten der Patienten hinein. Wenn man nur lange genug 
arbeitet, stößt man nach Auflösung der gegenwärtigen 
Schwierigkeiten, manchmal aber auch, bevor man die aktuellen 
Schwierigketen zu hören bekommt, auf längst vergangene 
Situationen bis ins Kindesalter der Patienten, die alle auf den 
Analytiker übertragen werden, so daß der Analysierte sich 
kindisch benimmt und hinter dem Tun und den Worten des 
Erwachsenen kindische Bedürfnisse, kindischer Trotz und kindische 
Ohnmacht zum Vorschein kommen. 
Uebertragung spielt auch sonst im Leben die größte Rolle, 
indem sie in die realen Beziehungen der Menschen zueinander 
unvernünftige Momente einfließen läßt, die häufig so aus— 
schlaggebend sind, daß alle Vernunft der Welt gegen sie nicht an 
kann. Manche Menschen können sich nur in viel ältere Personen 
verlieben, auf die sie übertragen, was ihnen dereinst Vater oder 
Mutter gewesen sind. Man kann sehen, daß ein Mann im Eben— 
bilde seiner Mutter heiratet, eine unglückliche Ehe führt, weil 
die Frau eben doch nicht die Mutter ist und auch nicht dazu da 
ist, um die Mutter zu ersetzen. Wenn solche Männer sich dann 
scheiden lassen, bleiben sie gewöhnlich nicht lange in der so hart 
erkämpften Freiheit. Sie heiraten von neuem, und, durch die 
Erfahrungen einer unglücklichenEhe beineswegs gewitzigt, wieder 
einen Mutterersatz. Man kann sehen, daß Frauen ungeliebte 
Männer heiraten, die in gar keiner Hinsicht zu ihnen passen, und, 
wenn sie überhaupt die Kraft aufbringen, solche Männer zu 
verlassen, ihr Los durchaus nicht verbessern. Manche retten 
sich in das Dreieck eines Liebhabers und halten sich dann, wenn 
sie anständige Frauen sind, für schlecht, entwertet, hassen ihren 
Mann wie einen Kerkermeister, und kommen dennoch nicht von 
ihm los. Wenn sie aber losgekommen sind, stellt sich heraus, 
daß sie ohne den gehaßten Mann auch dem geliebten Manne
	        
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