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Heilung, nämlich: eine Einsicht in das Getriebe seiner Seele
uͤnd der menschlichen Gemeinschaft überhaupt, die ihn dauernd
vor einer Wiederkehr nervöser Symptome schützt.
Aus dieser Stellung der Psychoanalyse ergibt sich,
daß sie nicht für jeden Kranken geeignet ist, sondern
ein Minimum an Intelligenz voraussetzt — an In—
telligenz, nicht an erleruter Bildung, die ihrerseits
bielen Patienten den Zugang z3u dieser Heilmethode
sperrt. Alle Analytiker geben übereinstimmend an, daß sie
lieber mit ungebildeten Menschen arbeiten als mit solchen,
deren Verstand durch Vorurteil und Verbildung erst aus Ketten
befreit werden muß, die ihn für uns ere Anschauung unfähig
machen. Die Meinumg, daß die Krankheit ein Ding sei, das
man mit Händen greifen und daß sie infolgedessen nur mit
handgreiflichen Dingen, wie den Medizinen der Apothebe, dem
Messer des Chirurgen, geheilt werden könne, gehört zu dem
Materialismus, der unsere Zeit oder mindestens eine Zeit, die
erst ganz knapp hinter uns liegt, beherrscht. Gern spricht man
Schillers Satz nach, daß es der Geist sei, der sich den Körper
baut. Aber schwer ringt man sich zur Ueberzeugung durch, die
diesen Satz buchstäblich ernst nimmt. Selbst nach gelungener
Heilung durch Psychoanalyse weiß man oft. nicht vecht, was
einem da geschehen ist. Konflikte wurden gelöst, Liebesfähigkeit
wurde freigemacht, Mißtrauen in Glauben an die Welt ver—
wandelt, und der größte Erfolg hat sich eingestellt. Ein ehe⸗
maliger Patient sagte einmal zu seinem Analytiker: „Daß es
mir besser geht, kann ich nicht leugnen. Wenn Sie mir ein
Rezept gegeben hätten, würde ich sagen, Sie seien ein guter
Doktor, der mir eine ausgezeichnete Medizin verschrieben hat.
Aber Sie haben mir kein Rezept gegeben, und was Sie da
gemacht haben, weiß ich nicht.“ Dieser Patient war allerdings
einer von. den weniger Intelligenten, die man in die end—
gültige Klarheit nicht führen kann. Er gehörte zu den ana⸗
lytischen Heilerfolgen zweiten Ranges, der, wie der im zweidten
Kapitel mitgeteilte Fall, auf Grund psychoanalytischer Er⸗
kenntnis gebessert, aber nicht eigentlich durchleuchtet werden
konnte
Seitdem einiges von der Psychoanalyse ins Volk gedrungen
ist, kommen Patienten häufig mit der Frage, wie man ihnen
eigentlich helfen wolle. Sie wüßten, daß es sich bei der Ps ycho⸗
analyse um unbewußte Konflikte handle, die bewußt gemacht
Dr. Wittels: Psychoanalyse.
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