Volltext: Die Psychoanalyse [538/540]

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Könnte man aufrichtige Antwort auf die Frage erhalten: 
Warum haben Sie geheiratet ?, so müßte sie lauten: Weil alle 
heiraten. Vielleicht dürfen wir schon hier dieses „alle“ auf 
feinen Kern zurückführen: die Eltern haben geheiratet, darum 
ich auch. Daß Walter von Stolzing sein Evchen liebt, ist un— 
mittelbar verständlich. Daß er sie gleich zur Ehe nimmt, kommt 
davon, daß er selber „frei und ehrlich geboren“. So tun, wie 
der Vater tat, nennt man recht eigentlich die Sitte. In der 
großen Stadt spürt man diesen Druck nicht wie in der Klein⸗ 
stadl und auf dem Lande. Ein berühmter Gelehrter, der ein 
hohes Alter erreichte und an einer kleinen Universität wirkte, 
hatte das Unglück, eine geliebte Frau schon nach zweijähriger 
Ehe zu verlieren. Er heiratete nach kurzer Zeit wieder und 
lebte mit seiner zweiten Frau über fünfzig Jahre. Dennoch 
sprach er immer nur von der ersten, und auf Reisen ging er 
immer allein. Als man ihn einmal fragte, warum er überhaupt 
wieder geheiratet habe, sagte er: „Weil ein Professor in J—, 
wenn er nicht verheiratet ist, ungefähr für einen Lumven an— 
gesehen wird.“ 
Daß hinter dem Entschluß zur Ehe das Gestrige steckt, 
besagt noch nichts für oder wider. Man müßte die tieferen 
Gründe dieses Gestrig-Sittlichen kennen. Die wissenschaftlichen 
und moralischen Ausführungen darüber, so tief, so interessant, 
so schön sogar sie sein mögen, haben alle miteinander gegen 
sich, daß unsere Triebkräfte, die im Unbewußten wurzeln, fast 
gar nichts von ihnen wissen. Das Unbewußte weiß in seinen 
tiefsten Schichten von Seßhaftigkeit, Eigentum, nationalen, 
pädagogischen, religiösen Idealen so wenig wie ein Tier. Wenn 
man dem entgegenhält, daß auch Tiere vielfach in Einehe leben, 
so ist zu sagen: die Tierehe ist nicht die Menschenehe. Wo im 
Tierreich Einehe vorkommt, dort gehört sie zu dieser Tierart 
wie das Eierlegen, das besondere Gefieder oder die Brunst-⸗ 
zeit. Menschen aber haben nicht immer in Einehe gelebt, auch 
heute gehört die Ehe nicht zu allen menschlichen Gemeinschaften, 
uͤnd es gibt unter uns Menschen genug, die sich dem Zwang der 
Ehe entziehen können. Die Einehe liegt nicht in der biologischen 
Slruktur des Menschen. Sie ist aus bestimmten sozialen 
Gründen irgendeinmal in die Menschheit gefahren. Für den 
Fall, als andere soziale Gestaltungen die Ehe unnötig oder 
gar schädlich machen sollten, bliebe aber gleichwohl ein psycho⸗ 
logisches Moment bestehen, das den Abbau der Ehe noch für 
bange Zeit hindanhalten könnte.
	        
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