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Elternhause Schwierigkeiten bereitet. Wir verstehen, warum
zjunge Leute so oft Vorliebe für ältere Männer oder Frauen
zeigen, und nennen das eine Uebertragung ihrer ersten Liebe
hon den Eltern auf deren sexualisierbaren Ersatz da draußen.
Wir sind sogar gewillt, den kindischen Anspruch ernst zu
nehmen: wenn ich groß bin, heirat ich die Mutter (den Vater),
und nennen das mit einem Worte, das den Schöpfer der Psycho—
analyse berühmt gemacht hat: das Oedipusmotiv. Wir wissen,
daß zu viel Zärtlichkeit in der Kinderstube schadet. Die Zärt—
lichkeit ist aber wegen der biologischen Hilflosigkeit der mensch—
lichen Brut aus der Kinderstube nicht auszuschalten. Sie ge—
hört zum Menschen, und jeder Mensch lernt seine Liebe da.
Wenn der Mensch in das Alter der Geschlechtsreife tritt,
erhält er eine neue Fähigkeit, sich körperlich zu entladen. Zu
den Entladungen, die ihm schon vorher gegeben waren, tritt
an der nämlichen Stelle des Leibes eine dritte. Sie und ihre
Notwendigkeiten sind das Sprengmittel des Elternhauses, von
dem an der obzitierten Stelle geschrieben steht: „Der Mann
micht, wie gewöhnlich falsch zitiert wird: das Weib) verläßt
Vater und Mutter und hängt seinem Weibe an und werden
die zwei ein Fleisch sein.“ Was das Elternhaus zu bieten hat:
unwandelbare Beständigkeit, Verläßlichkeit und etwas Drittes,
von dem noch die Rede sein wird — sie genügen nicht mehr,
um den Herangereiften zu bannen. Seinem mächtigsten Triebe
teht im Hause der Eltern und Geschwister die Inzestschranke
unübersteigbar entgegen. So kommt es zur „Exogamie“. (Das
Hinausheiraten).
Der Muß in die Freiheit ist also klar und physiologisch.
Wenn man nun fragt, warum der Kulturmensch sich mit dieser
Freiheit nicht zufrieden gibt, sondern, von Ausnahmen ab⸗
gesehen, früher oder später die Einehe als neue Bindung ein—
geht, so geben mehrere Wissenschaften darauf Antwort. Wir
erfahren aus der Geschichte der Ehe, wie sie ehedem anders
oder gar nicht existierte, wie sie bei höheren Tieren eingerichtet
ist, bei Menschenaffen und bei Vögeln. Der Zusammenhang
zwischen der Seßhaftigkeit des Ackerbaues und der Ehe wird
klargelegt. Die Ehe als Keimzelle des Staates. Armut und
Reichtum als Ehe fördernde und Ehe störende Faktoren. Die
Treue der Frau durch das Eigentum des Mannes erzwungen,
der einen Leibeserben wünscht. Die Familie als pädagogische
Anstalt. Dem allen gegenüber steht der ungelehrte Haufe, der
wissenschaftliche Erklärungen nicht kennt und auch nicht braucht.