99
Das Motiv der Haß—-Liebe ist bei älteren Romanschrift—
stellern sehr beliebt gewesen, und wenn auch ein moderner
Dichter die Darstellung solcher Verwandlung verschmäht, so
hindert das gar nicht, daß es im Leben der meisten Menschen
so zugeht wie im verachteten Kolportageroman. Ob das deshalb
geschieht, weil die Menschen ihr eigenes Leben dichten und
nun einmal nicht besser dichten können, oder ob die Motive
der Kolportageromane vielleicht besser sind als ihr Ruf, wäre
eine interessante Frage.
Die Hysterie im engeren Sinne wandelt andere Wege als
die der Verwandlung eines Triebwunsches in Angst, in Haß
oder irgendein Gefühl, das den eigentlichen Trieb maskiert. Die
Hysterie verwandelt den unterdrückten Trieb in eines ihrer
zahlreichen Symptome. Wenn der rechte Arm gelähmt ist
und es sich um eine hysterische Lähmung handelt, dann steckt
dahinter der Wille zu dem, was verboten ist, und zugleich der
Gegenwille, der sich in Lähmung des Armes ausdrückt. Aehnlich
ist Heiserkeit und Stimmlosigkeit zu erklären. Es gibt viele
Berufskrankheiten, deren Ursachen auf die besonderen Konflikte
des Berufes zurückgehen. Die sogenannten Berufsneurosen
galten der früheren Schule in der Medizin für schwer oder gar
nicht heilbar. Wenn eine Geigerin vom Violinspielen un—
erträgliche Schmerzen in der Hand oder Störungen in der
Beweglichkeit bekommit, dann kann sie nach Ansicht des gesunden
Menschenverstandes nur geheilt werden, wenn sie das Violin—
spielen läßt.
Als man erkannt hatte, daß es sich hier weniger um
mechanische Schwierigkeiten als um psychische handelt, wurde
die Sache zunächst nicht heilbarer. Alfred Adler und seine
Schule erklären die Berufsneurosen einfach so, daß diesen
Kranken ihr Beruf, zuwider ist. Sie verfallen deshalb in eine
Krankheit, welche ihnen die Ausübung ihres Berufes unmöglich
macht. Sie können dann behaupten, daß sie nicht den Beruf,
sondern der Beruf sie im Stiche gelassen hat. Das ist angeblich
Ziel und Zweck der ganzen Krankheit. Vom Berufe gilt aber
dasselbe, was vom Gelde gesagt wurde. Der Mensch lebtnicht,
um Geld zu verdienen, und er lebt auch nicht, um einen Beruf
auszuüben. Beruf und Gelderwerb sind nur Mittel zum Zweck,
und der Zweck ist immer nur das Ausmaß an Liebe und Genuß,
das man im Leben befriedigen kann. Glückliche Menschen, deren
—X