Volltext: Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit (II. Band / 1929)

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V. Kapitel. 
bei der deutschen Verkehrsgewerkschaft) bedeutungslos erscheinen. 
Von 100 Österreichischen Gewerkschaftsmitgliedern waren damals 
89 in den freien Gewerkschaften. Aber es galt nun, diese in Um¬ 
sturz- und Inflationszeit zur Millionenbewegung hinaufgeschnellte 
freigewerkschaftliche Bewegung auf ihre neuen Aufgaben einzu¬ 
stellen. 
Daß diese richtig gesehen wurden, beweist der zweite 
deutschösterreichische Gewerkschafts kongreß*), 
der vom 25. bis 28. Juni 1923 in Wien tagte, und zur Richtschnur 
für die Gewerkschaftsbewegung während der Krisenjahre werden 
sollte. „Die Einheitsfront unserer Gegner ist geschlossen vom Re¬ 
gierungssitz bis zum Schwarzenbergplatz“, sagte der Vorsitzende 
Domes in seiner Eröffnungsrede. Der Kongreß nahm daher nicht 
nur in einem großen Referat Renners Stellung zur wirtschaft¬ 
lichen Lage, führte im Anschluß an ein Referat von Hanusch 
eine große Diskussion über Sozialpolitik durch, nahm einen Bericht 
Ellenbogens über gemeinwirtschaftliche Organisationen ent¬ 
gegen — die von Hueber vertretene Statutenänderung und die 
Vorschläge von Domes zur Organisationsfrage richteten die Auf¬ 
merksamkeit der Gewerkschaften auf die Notwendigkeit, ihren er¬ 
schwerten Aufgaben auch organisatorisch zweckmäßiger gerüstet 
gegenüberzustehen. 
In seinem Tätigkeitsbericht legte Hueber einen Beschlu߬ 
antrag über die organisatorische Zusammenfassung 
der freien Gewerkschaften vor. Die beiden Angestellten¬ 
sektionen, deren Bildung sich in den letzten Jahren als nützlich er¬ 
wiesen hatte, wurden damit in das Statut eingebaut, die Zahl der 
Mitglieder der Gewerkschaftskommission auf 20 erhöht, ihr Wir¬ 
kungskreis erweitert. Das Streikreglement wurde verschärft. Jede 
Organisation hat von der Absicht eines Streiks oder eines Boykotts 
die Gewerkschaftskommission oder die Landesgewerkschaftskom¬ 
mission zu verständigen, Streiks in lebenswichtigen Betrieben dür¬ 
fen erst dann begonnen werden, wenn der Gewerkschaftskommis¬ 
sion eine angemessene Frist zur gütlichen Beilegung des Konfliktes 
gelassen wurde. Wilde Streiks können weder von den Zentralver¬ 
bänden, noch von der Gewerkschaftskommission anerkannt werden. 
Bei Streiks von Unorganisierten bleibt die Entscheidung über An¬ 
erkennung und Unterstützung der Gewerkschaftskommission vorbe- 
*) Vergleiche Protokoll des 2. deutschösterreichischen (9. österreichi¬ 
schen) Gewerkschaftskongresses Wien, Verlag A. Hueber, 1923.
	        
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