Volltext: Im Weltkrieg und in der Nachkriegszeit (II. Band / 1929)

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III. Kapitel. 
Selbstbestimmungsrecht auf, sprach der Entente für unerfüllbare 
Reparationsforderungen das Generalpfandrecht zu, das den Kredit 
des Landes schwer schädigte, legte ihm zoll- und handelspolitische 
Bindungen mit anderen Ländern auf und beschränkte die Tarif¬ 
hoheit der Eisenbahnen. 
Der Friedens vertrag von St. Germain unterwarf den revolutio¬ 
nären Willen des österreichischen Proletariats dem konterrevolutio¬ 
nären Willen des Ententekapitalismus. Die österreichische Bour¬ 
geoisie fürchtete sich nicht mehr vor der sozialen Revolution. Die 
Vorherrschaft der Arbeiterklasse in Österreich war zu Ende. 
Am Tage der Annahme des Friedensvertrages im Parlament trat 
die Koalitionsregierung zurück, aus der Otto Bauer schon im Juli 
ausgeschieden war. In der zweiten Koalitionsregierung, die nun ge¬ 
bildet wurde, war der Widerstand der bürgerlichen Vertreter weit¬ 
aus stärker als vorher. 
Die österreichischen Unternehmer, in den ersten Monaten der 
Revolution stark eingeschüchtert, begannen sehr bald wieder ihre 
Kräfte zu sammeln. Schon im Frühjahr 1919 schlossen sich die Ver¬ 
bände der Großkapitalisten zum „Reichsverband der Industrie 
Österreichs“ zusammen. Sie begannen wieder die christlichsozialen 
Gewerkschaften unter den Arbeitern und die nationalen unter den 
Angestellten mit allen Mitteln zu fördern. Gegen die Industrieange¬ 
stellten gründete die Alpine Montangesellschaft im Jahre 
1919 sogar schon eine offene gelbe Gewerkschaft, die „Gewerk- 
schaft der Berg- und Montanwerke“ in Fohnsdorf. 
Das Kraftbewußtsein des Kapitals wuchs, als die Räterepubliken 
in Ungarn und Bayern im Jahre 1919 zusammenbrachen und dem 
weißen Terror Platz machten, als im Laufe des Jahres 1920 in 
Deutschland die kommunistischen Putsche blutig niedergeworfen 
wurden, der Vormarsch der Roten Armee Rußlands vor Warschau 
zusammenbrach, als in den Siegerländern, wie in Frankreich und in 
der Tschechoslowakei, große Streiks mit völliger Niederlage der Ar¬ 
beiter endeten, und die italienischen Arbeiter die wenige Tage lang 
besetzten Fabriken wieder räumen mußten. 
Die Kämpfe der Gewerkschaften in Österreich wurden schwieri¬ 
ger. Zwischen dem stärkeren Widerstand der Unternehmer und dem 
vielfach Illusionen nachjagenden, stürmisch vorwärtsdrängenden 
Proletariat mußten Partei und Gewerkschaften nüchtern den Weg 
nach vorwärts bahnen. Die vielen ungeschulten Gewerkschaftsmit¬ 
glieder rissen öfter die Massen zu Streiks hin, die werlorengingen, 
oder zu Kampfbewegungen, die sich nicht nur gegen das Kapi-
	        
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