Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/16. 
Als der Rauch sich verzog, hatten wir meist nur kleine 
Hautschürfungen oder Fleischwunden. 
Es dunkelte bereits. Offiziere und Mannschaften schau 
felten aus Leibeskräften an einem Schützengraben auf der 
befohlenen Höhe bei Sommaisne. Da tauchten, nicht weit 
von uns entfernt, feindliche Schützenlinien auf, denen 
schwache Kolonnen auf 200 Meter folgten. Ein wahnsinniges 
Feuer empfing sie. Scharf tönen die feindlichen Signale 
durch die Nacht. Unwiderstehlich mäht unser Feuer alles 
vor uns nieder. Schon kommen Unterstützungen für uns aus 
Sommaisne herbeigestürmt. Laut gellen unsere Hörner 
zum Gegenangriff. Ratternd wirbeln die Trommeln. 
Ein furchtbares Handgemenge beginnt. Der feindliche An 
griff wird abgeschlagen. 
Todmüde schanzten wir die ganze Nacht weiter. Unsere 
Verbände wurden neu eingeteilt und ergänzt. Fast lieb 
kosend reinigten wir notdürftig unsere Gewehre. Die 
Stellung wird morgen gehalten bis auf den „letzten Mann". 
So lautete der Befehl. Jeder von uns begriff die Lage: 
wir konnten hier unmöglich weiter vor und mutzten die 
Stellung halten, bis rechts und links unsere Nebenarmeekorps 
sich auf die gleiche Höhe vorgekämpft hatten. 
Am 8. September morgens sechs Uhr — wir waren 
halb erstarrt vom kalten Wind, der über die Höhe pfiff — 
sahen wir auf der Höhe vor uns feindliche Kolonnen auf 
tauchen, die in Schützenlinien den gegenüberliegenden 
Höhenkamm besetzten. Fast gleichzeitig schlugen ihre Geschosse 
bei uns ein. — Die Entfernung mochte 1800 Meter be 
tragen. Dort gruben sich die Franzosen ein. Nur kleinere 
Schützenlinien sprangen oder krochen etwas weiter vor in 
eine Schonung vor dem Wäldchen auf der Höhe (siehe 
Bild Seite 57) und hinter die Station La Vaur Maria 
sowie an den dortigen Bahndamm. Wir feuerten hinüber, 
bis es ihnen dort ungemütlich zu werden schien und sie 
sich wieder zurückzogen oder in Geländefalten, Ackern und 
Wiesen verbargen. Plötzlich fing ihre Artillerie an zu sprechen. 
Die Granaten und Schrapnelle umheulten und umzischten 
uns. Wir lagen untätig in unseren Gräben. Kein lohnendes 
Ziel bot sich unseren Gewehren. Wir warteten alle auf 
unser Ende. Aus diesem brodelnden Hexenkessel gab es 
doch kein Entrinnen! Unsere Artillerie kam kaum zu 
Wort. Sie war fast zugedeckt mit feindlichen Geschossen, 
die sogar in ihre Munitionskolonnen, in die Eefechtsbagage 
und die Lazarette gestreut wurden, rings Tod und Ver 
derben sprühend. 
Unsere Flieger versuchten immer wieder, Einblick in die 
gegnerischen Stellungen zu gewinnen. Auch sie wurden mit 
einem wahren Hagel von Geschossen begrützt. Dagegen 
gelang es feindlichen Fliegern, unsere Stellungen aufzu 
klären. Jeder Schützengraben, jede Batterie, die sie er 
spähten, wurde nach ihrer Landung hinter dem Bahnhof von 
La Vaur Maria von dortigen schweren Batterien mit Gra 
naten überschüttet. Der 9. September brachte uns nichts 
Neues. Den ganzen Tag pflügten die Granaten den Boden. 
Da versuchten wir abends noch einen verzweifelten Hand 
streich. Wir hatten festgestellt, datz tagsüber nur wenige fran 
zösische Infanteristen bei den französischen Geschützen als 
Wegefkizze zur Schlacht bei Sommaisne. 
Artillerieschutz lagen. Glückte es uns, sie zu überrennen, 
so waren die Geschütze unser! 
Die 51. Jnfanteriebrigade ging um Mitternacht lautlos 
zum Angriff vor. Ein wilder Regen peitschte unsere ver 
witterten Gesichter und durchnäßte uns binnen kurzem. Der 
Gegner hatte unser Kommen bemerkt. Furchtbar umzischten 
uns seine Geschosse. Wer fällt, bleibt liegen. Vorwärts 
drangen wir. Verzweifelt stürmten wir die gegnerische, über 
Nacht verstärkte Jnfanterielinie. Ein furchtbares Hand 
gemenge entspann sich. Doch der Gegner mutzte zurück. 
Der Morgen dämmerte, die Walstatt übertraf alles, was 
man bisher an Grauen kannte. -Wieder kamen die Gra 
naten von den Geschützen, die wir nicht erreichen konnten. 
Stundenlang, tagelang. — 
Am 13. September wurden wir zurückgezogen und so 
den einbetonierten Feuerschlünden entrissen. Grab an 
Grab reiht sich auf jenen Höhen. Still ruhen viele Offiziere 
und ihre treuen Mannschaften, Seite an Seite, wie sie 
gekämpft und gefallen. Die Überlebenden werden noch 
oft in treuem Gedenken ihre Erzählung schließen: „Er fiel 
als Held in der furchtbaren Schlacht von Sommaisne." 
Deutsche Flugzeuge auf einer Erkundungs 
fahrt über der Nordküste Frankreichs. 
(Hierzu die Bilder Seite 68 und 59.) 
Waren unsere Flugzeuge und „Tauben" lange genug 
der Schrecken der Pariser, denen sie alltäglich ihren Besuch 
abstatteten und aus den Lüften unerbetene Bombengrüste 
hinabsandten, so wirkte ihr Erscheinen über der Nordküste 
Frankreichs geradezu lähmend auf die Einwohner von 
Dünkirchen und Calais, die ohnehin dem Kriege viel näher 
sind und unter seinen Folgen mehr zu leiden haben als die 
Bevölkerung der Hauptstadt. Hier waren es namentlich unsere 
mit Schwimmern versehenen Wasserflugzeuge, die, anfäng 
lich über dem Rand kreuzend, sich alsbald der Küste zu 
wandten und nach kurzer Zeit über Calais schwebten, das 
in ein englisches Truppenlager umgewandelt war und in 
dessen gut angelegtem, geräumigem Hafen Tag für Tag 
neue Regimenter an Land gingen. Aus der Vogelschau lästt 
sich viel besser beurteilen, wohin Verstärkungen abgeschoben 
werden, wo sich Magazine und Waffenlager befinden, deren 
Lage mit Hilfe der Karte leicht zu erkennen ist. In weitem 
Bogen, eine Schleife über dem Kanal ziehend, kehrten die 
Flugzeuge wieder in nordöstlicher Richtung auf Dünkirchen 
zurück, den wichtigsten und stark befestigten Stützpunkt der 
äußersten Flanke des linken französischen Flügels. Hier 
warfen am 30. Dezember vier deutsche Flieger eine halbe 
Stunde lang Bomben auf die Stadt, von denen keine 
ihr Ziel verfehlte: eine explodierte auf den Festungs 
werken, zwei am Bahnhof und mehrere vor dem Arsenal. 
15 Personen wurden getötet, 32 verwundet. In der 
Vorstadt Rosendael zerstörte eine Bombe eine Jutefabrik, 
wodurch ein heftiger Brand entstand, der bei dem stür 
mischen Wetter leicht das ganze Viertel hätte in Äsche 
legen können. 
Dann knatterten unaufhörlich die Gewehre von den 
Forts, und gleich leuchtenden Feuerwerkskugeln schossen, in 
weihe Rauchwolken gehüllt, die Schrapnelle der Batterien 
in die grauen Wolken hinauf, aber keines erreichte sein Ziel. 
Nur eine Granate, die von einer aus dem Fort Firming 
aufgestellten Kanone abgefeuert wurde, explodierte kaum 
fünfzig Futz von dem deutschen Flugzeug entfernt, das durch 
die Erschütterung wohl für einige Augenblicke aus dem 
Gleichgewicht gebracht, aber nicht zum Landen gezwungen 
wurde. Auch feindliche Flieger stiegen auf, um die deut 
schen zu vertreiben, doch diese kehrten immer wieder zurück, 
bis sie ihre Erkundungsfahrt beendet hatten und dann nach 
der deutschen Front zu verschwanden. 
Die Kämpfe bei Turka. 
(Hierzu das Bild Seite 49.) 
An der Bahnlinie, die von Lemberg über Sambor zu 
den Karpathen führt und diese durch den Uszoker Pah 
überschreitet, um über Ungvar und Csap nach Debreczin 
in das Herz Ungarns zu gelangen, liegt die galizische 
Bezirksstadt Turka. Es ist ein altes, schön gelegenes 
Städtchen mit wenig über 10 000 Einwohnern, das der
	        
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