Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
mit großem Schneid durchgeführter Jnfanterieangriff der 
Franzosen, die bis in die Schützengräben vordrangen. In 
zwischen hatte aber der Führer, Hauptmann Goetze, Teile 
des zweiten und dritten Bataillons zum Gegenstoß bereit- 
geste-llt. Auf das Zeichen zum Angriff stürmten die Sachsen 
mit unwiderstehlichem Anlauf vorwärts. Ein wildes Hand 
gemenge entspann sich, in dessen Verlauf 80 Franzosen 
fielen: der Nest der eingedrungenen 170 bis 180 Mann 
wurde zu Gefangenen gemacht. Der Verlust des Feindes 
war um so schwerer, als weitere 300 Franzosen vor Erreichen 
des Grabens gefallen waren. Nach diesem mit glänzender 
Tapferkeit erzielten Erfolg war die Stimmung der tapferen 
Sachsen eine derart gehobene, daß alles begeistert „Deutsch 
land, Deutschland über alles" anstimmte. Die Durchführung 
dieses Kampfes gibt einen deutlichen Beweis dafür, daß 
trotz andauernden Feuers und steter Strapazen die Stoß 
kraft und Haltung der Truppen gar nicht besser sein könnte. 
Italiens militärische und finanzielle 
Kriegsbereitschaft. 
ii. 
(Hierzu die Bilder Seite 466 und 467.) 
Was die italienische Flotte betrifft, so äußerte sich der 
englische Marineschriftsteller Fred Jane sehr abfällig über die 
„Geeignetheit" zum Siege (silnes8 to win) der italienischen 
Marine und erklärte: „Lissa beendete den letzten Seekrieg 
der italienischen Flotte, und ein anderes Lissa wird wahr 
scheinlich ihren nächsten beschließen." Aber den Wert der 
italienischen Flotte zu urteilen, hatte man bis heute keine Ge 
legenheit. Der Ausbau litt durch die ungenügende Leistungs 
fähigkeit der Werften. Die Bauzeiten für die Großkampf 
schiffe waren sehr lang. Auch befand sich die Industrie des 
Landes in vollkommener Abhängigkeit von der ausländi 
schen, namentlich der englischen und amerikanischen. Aber 
man weiß, daß das vorhandene Material durchaus kriegs 
brauchbar ist und daß italienische Schiffbauer als hoch 
befähigt bekannt sind. 
Gefechtsbereit sind 12 Linienschiffe, darunter 4 Dread 
noughts. Im April sollten fertiggestellt werden: „Andrea 
Doria" und „Caio Duilio" mit einer Wasserverdrängung 
von 22 700 Tonnen, einer Bestückung von dreizehn 6- und 
sechzehn 15,2-om-Kanonen, einer Geschwindigkeit von 
22 Knoten und einer Besatzungstärke von 1000 Mann. 
Wahrscheinlich sind sie fertig. Vier weitere im Bau befind 
liche 31400-Tonnen-Dreadnoughts, die Vertreter der Cristo- 
foro-Colombo-Klasse, mit je acht 38,1-om-Eeschützen, liegen 
noch auf Stapel. Schlachtkreuzer sind nicht vorhanden. 
Panzerkreuzer besitzt die Marine acht fertige, von denen aber 
keiner neuzeitigen Anforderungen entspricht. Die beiden 
neuesten, „San Marco" und „San Giorgio", liefen 1908 
vom Stapel, verdrängen 10 300 Tonnen, sind 23 Knoten 
schnell und mit vier 25,4- sowie acht 19-om-Eeschützen be 
stückt. Die Zahl der geschützten Kreuzer ist gering, sieben, 
von denen die vier neuesten etwa 3600 Tonnen groß sind 
und 28 Knoten laufen. Ihre Bestückung besteht aus 12- 
und 15-om-Eeschützen. Fertige, sehr schnelle Torpedoboot 
zerstörer sind 33 vorhanden, 69 Hochseetorpedoboote mit 
einer Schnelligkeit unter 30 Knoten und 20 Unterseeboote, 
denen man vorzügliche Eigenschaften nachsagt. Das Per 
sonal Eriedenstand) der italienischen Flotte hat eine Stärke 
von insgesamt 37 600 Köpfen, darunter 999 Offizieren, und 
steht unter dem Oberbefehl eines Großadmirals, des Prinzen 
Thomas, Herzogs von Genua (Bild Seite 466). 
Empfindlicher noch als für das Heer wird für die Flotte 
Italiens die Kohlennot werden. Italien selbst erzeugt nur 
eine halbe Million Tonnen Kohlen im Jahr, von dieser 
Eigenerzeugung entfällt im Jahr je 1 Tonne Kohle auf 
500 Köpfe der Bevölkerung, während in Deutschland auf 
jeden Kopf der Bevölkerung 3 x /2 Tonnen kommen. Im 
Frieden bezog Italien überwiegend englische Kohle. Jetzt 
aber kann es trotz aller Bundesgenossenschaft auf Eng 
lands Hilfe in der Kohlennot nicht genügend rechnen. 
England hat schon in den letzten Monaten Italien, um es 
bei guter Laune zu erhalten, freigebiger als fast alle an 
deren neutralen Staaten mit Kohle versorgt: dennoch er 
hielt Italien bereits im vorigen November von England nur 
603000 Tonnen Kohle gegen 784000 im Vorjahr, und im 
Januar sogar nur 470000 Tonnen gegen 791000 im Vor 
jahr. In Friedenszeiten ging etwa V? bis Vs der gesamten 
englischen Kohlrnausfuhr allein nach Italien. Jetzt, wo Eng 
lands Kohlenerzeugung um rund 40 Prozent vermindert 
wurde, ist der Kohlenmangel im eigenen Lande zeitweise 
so empfindlich, daß das an Kohlen überreiche England Ersatz 
aus Nordamerika herbeischaffen mußte. 
Aber nicht nur Heer und.Flotte, vor allem auch die In 
dustrie wird durch die Kohlennot betroffen. Es ist bekannt, 
daß der allgemeine Niedergang, der sich im Jahre 1913 in 
allen Industrieländern zeigte, sich in Italien besonders scharf 
ausprägte. Namentlich die Textilindustrie, die für das Land 
eine sehr wesentliche Nolle spielt, litt unter der Krisis, und 
wenn man von dem Gewinn absieht, den der Krieg zeitweise 
einigen Vaumwollfabriken verschafft haben mag, so haben 
sich die Verhältnisse naturgemäß seitdem noch verschlechtert. 
Die italienische Eisenindustrie kann gewiß nicht als gefestigt 
angesehen werden, nachdem sie erst vor einigen Jahren durch 
Zusammenschluß und Sanierung von einer schweren Krisis 
geheilt werden mußte, von der sie sich noch keineswegs ganz 
erholt hat. 
Ebenso unverständlich wie uns das Eingreifen Italiens 
in den europäischen Krieg vom politischen Standpunkt er 
scheint, ist dieser Entschluß angesichts der wirtschaftlichen 
Verhältnisse des Landes. Es sei ganz von dem Schaden 
abgesehen, den der Krieg einem jeden Lande bringt und den 
die italienische Regierung in greifbarer Nähe zu beobachten 
hinreichend Gelegenheit hatte; es soll auch durchaus nicht 
geleugnet werden, daß in mancher Beziehung Italien sich 
etwas günstiger stellt als Deutschland, indem nämlich die 
überseeische Zufuhr zwar erschwert und verteuert, aber nicht 
in dem gleichen Umfang behindert ist. Anderseits sind die 
finanziellen Verhältnisse Italiens nicht allein im Vergleich 
zu Deutschland, sondern auch zu England und Frankreich 
doch noch so wenig gefestigt, daß es unbegreiflich erscheint, 
wie man diesen Krieg überhaupt wagen konnte. Durchaus 
zutreffend ist, daß die Finanzlage sich in den letzten Jahren 
vor dem Ausbruch des Kriegs wesentlich gebessert hat. Man 
hat zum Beweis hierfür auf den verhältnismäßig hohen 
Stand der italienischen Rente sowie auf die Tatsache hin 
gewiesen, daß die italienische Bevölkerung einen großen Teil 
der im Ausland untergebrachten Renten zurückgekauft hat. 
Aber das allein genügt nicht, selbst wenn hierfür nicht zu 
einem großen Teil auch andere Ursachen maßgebend wären, 
um das Gesamturteil wesentlich zu ändern. Es braucht, um 
die wirtschaftlichen Verhältnisse zu beleuchten, nur daran 
erinnert zu werden, daß Italien beim Ausbruch des Krieges 
ein Moratorium erlassen mußte. Die Besserung in den 
Staatsfinanzen war zum Teil die Folge einer empfindlich 
belastenden Besteuerung. Noch im Jahre 1913 hatten zahl 
reiche italienische Volkswirtschaftler, Theoretiker und Prak 
tiker, in einem Mailänder Blatt scharf gegen die Steuer 
politik der Regierung Stellung genommen. Es wurde darauf 
hingewiesen, daß die der Industrie abgenommenen Steuern 
fortgesetzt gestiegen wären, während die Dividenden der 
Aktiengesellschaften zurückgingen. So kam es denn auch, 
daß das Kapital, nicht allein das ausländische, sondern auch 
das heimische, sich mehr und mehr von jeder Betätigung in 
der Industrie abwandte; der hohe Kurs der italienischen 
Rente aber, so wurde gleichfalls von italienischer Seite mehr 
fach behauptet, hänge wesentlich auch mit dem geringen 
Interesse des Kapitals für industrielle Werte zusammen. 
In der letzten Zeit waren die finanziellen Verhältnisse 
im Lande unbefriedigend. Sie werden nicht nur durch das 
mehr als zehnprozentige Disagio der italienischen Währung 
(Wechselkurs auf London 28,30) gekennzeichnet, das jetzt 
noch mehr anschwellen dürfte, und durch den Mißerfolg der 
im Januar ausgegebenen Nationalanleihe, wovon die Banken 
einen ansehnlichen Teil übernehmen mußten, sondern auch 
durch den Kurs der viereinhalbprozentigen Rente, der um 
ein Prozent unter den Ausgabekurs gesunken ist. Die 
Staatseinnahmen sind in der Zeit vom 1. April bis zum 
1. Mai um nahezu 100 Millionen Lire hinter dem Vor 
anschlag zurückgeblieben. Der Goldbestand derBanca d'Jtalia 
hat sich seit Ausbruch des Weltkriegs nur wenig verändert, 
aber der Notenumlauf ist um 600 Millionen Lire gestiegen, 
ein Beweis, wie sehr Italien, obwohl bisher am Krieg nicht 
tätig beteiligt, die Notenpresse in Bewegung setzte. Die dem 
Staat von der Bank gewährten Vorschüsse haben sich mehr 
als verdoppelt; auch hier ist ein starkes Anwachsen zu er 
warten. Die aufzunehmende Kriegsanleihe soll in Italien 
wie im Ausland gedeckt werden. Der Dreiverband soll dem
	        
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