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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Schrei einer Torpedopfeife, und jeder hält mit seiner Arbeit
inne. Der Parkführer! Die ratternden Motore werden ab
gestellt, und in das plötzliche Schweigen hinein dröhnt das
Kommando: Antreten!
Im langen Mittelgang der Halle treten die schwarzen
Gesellen in zwei Gliedern an, vor einer jeden Kolonne die
Unteroffiziere. Der Parkführer tritt heran. Laut schallt
seine Stimme durch die Halle.
„Der Autopark hat Befehl erhalten, eine Spreng-
kvlonnenfahrt mit Pionieren auszuführen, mit fünf Wagen.
Freiwillige — Unteroffiziere und Fahrer — treten vor."
Sprengkolonnenfahrt! Es durchzuckt einen jeden bei
dein Wort. Für unsere Leute vom Auto ist es wie das
Zeichen zum Sturmangriff — Höhepunkt ihrer Tätigkeit
im Felde. Ohne Besinnen drängt es aus den beiden Gliedern
nach vorn. Im nächsten Augenblick stehen alle Unteroffiziere
und der weitaus größte Teil der Fahrer vor der Front.
Uber das bärtige Antlitz des Parkführers fährt es wie
ein Leuchten; doch dann spricht er, ruhig und gelassen, wie
es seine Art ist: „Das freut mich, Leute, aber so viel kann ich
nicht gebrauchen: nur zwei Unteroffiziere, und mit den
Reservefahrern insgesamt zehn Mann. Also wir müssen
eine Auswahl treffen. Unteroffizier M. und S." — er winkt
zwei der Unteroffiziere zu sich heran — „ich bestimme Sie
zur Mitfahrt. M., Sie führen die Kolonne. Suchen Sie
sich selber die geeigneten Leute aus. Aber schnell! Es ist
keine Zeit zu verlieren. Abmarsch in fünfzehn Minuten."
Die Unteroffiziere, die ihre Leute kennen, wählen ans
ihren eigenen Kolonnen je fünf Mann. Enttäuscht treten
die anderen zurück. Mit etwas Neid blicken sie auf die Aus
erwählten, die nun zu ihren Wagen eilen. Aber dann folgen
sie in einem echt kameradschaftlichen Gefühl, und Dutzende
von Händen helfen, die Wagen marschfertig zu machen.
So ist denn zur befohlenen Zeit alles in Ordnung, die zehn
Wagen fahren vom Park ab.
Zunächst geht es zum Bahnhof. Dort wird die Spreng-
munition geladen, die schon telephonisch beordert worden ist,
und dann geht es weiter zum Standort der Pioniere. Als
die Kolonne hier ankommt, steht das Kommando vor seinen
Quartieren schon bereit: ein Hauptmann, ein Leutnant, ein
Feldwebel und sechzehn Mann. Unteroffizier M. tritt vor
den Pionierhauptmann und meldet sich zur Stelle. Die
stramme dienstliche Haltung des Meldenden gefällt dem
Hauptmann. Nun streift sein Blick zu den Autos und ihren
Fahrern hinüber.
„Alles zuverlässige Leute? Und auch die Wagen gut im
Schuß?"
„Zu Befehl, Herr Hauptmann!"
Der Hauptmann nickt befriedigt. Ein kurzes Besinnen,
dann der Befehl: „Lassen Sie auch Ihre Leute hier einen
Augenblick antreten — da, neben meinen Pionieren."
Es geschieht, und der Hauptmann tritt vor die gemein
same Front. Unwillkürlich strafft sich seine gedrungene
Gestalt, als er nun spricht, militärisch kurz, aber mit einem
eigenen Unterton: „Leute, ihr wißt, worum es sich handelt.
Unser Auftrag geht dahin, im Rücken des Feindes die
Sprengung zweier Brücken vorzunehmen und damit eine
wichtige Verbindung des Feindes zu zerstören. Die Aufgabe
ist nicht ungefährlich, und keiner von uns kann wissen, ob
er wiederkommt. Aber das habt ihr ja gewußt, als Frei
willige habt ihr euch gemeldet, und so erwarte ich denn
nun von euch, daß mich auch kein einziger von euch im
Stich läßt, wenn es darauf ankommt. Im übrigen aber —
ein rechter Soldat hat immer Glück. Also wollen auch wir
vertrauen, daß alles gut geht!"
Ein kurzes Kommando, alles eilt in die Wagen, und
eine halbe Minute später fährt die Kolonne ab.
Am Nachmittag brach sie auf. Als die frühe Dunkelheit
sich niedersenkt, hat man die letzten Vorposten bereits
hinter sich. Manche Warnung hat man dabei erhalten: „Vor
sicht! Die Straßen da vorn sind alle vom Feinde besetzt!"
Der Hauptmann hat nur kurz genickt, dann ein Befehl,
und weiter geht es, jetzt aber mit geschloffenem Auspuff
und ohne Licht und mit verringerter Geschwindigkeit,
hinein in die Nacht.
So gehen die Stunden hin, es wird zwei und geht auf
drei Uhr, da endlich ist die Brücke bei D. erreicht. Die Ko
lonne hält in der Deckung eines Hohlwegs, und die beiden
Offiziere gehen nach vorn, um sich näher zu unterrichten.
Aber unerwartet schnell sind sie wieder da. Im Antlitz des
Hauptmanns spiegelt sich eine starke Verstimmung. Die
Brücke war bereits gesprengt. Also auch von anderer Seite
war offenbar ein Befehl ergangen, und der andere ist ihm
zuvorgekommen. Hoffentlich glückt's an der zweiten Stelle
besser. So steigt denn alles wieder in die Wagen, es wird
gewendet, und die Fahrt geht zunächst rückwärts.
An zwei Stunden schon und noch länger wohl dauert
das, es wird Morgen und Tag: Da man sich inzwischen dem
Feinde stark genähert hat, muß haltgemacht werden. Es
heißt den Abend abwarten zur Ausführung des Vorhabens.
So läßt der Hauptmann denn die Kolonne in ein kleines
Gehölz fahren, das hier an die Straße heranreicht. Dann
werden Wachen ausgestellt, Doppelposten, und dem Nest
der Leute ist nunmehr Ruhe gegönnt. Sie ist wohlver
dient. Vierundzwanzig Stunden ist man ja unterwegs, und
das mit angespannten Nerven.
Auch der Hauptmann hat es sich mit seinem Leutnant
vorn im Führerwagen ein bißchen bequem gemacht. Gerade
ist er am Einnicken, da meldet einer der Posten vorn:
„Herr Hauptmann, es sind Kolonnen im Anmarsch! Wir
haben Pferdetrappeln und Wagenfahren deutlich gehört!"
Der Hauptmann ist bei der Meldung aufgesprungen,
ein kurzes Aberlegen, dann sein Befehl: „Der Leutnant,
ein Unteroffizier und zwei Mann gehen als Patrouille
vor, um festzustellen, ob es Freund oder Feind ist."
Ein banges Harren, die vier sind schon längst im Unter
holz verschwunden, das hinter ihnen wieder zusammen
geschlagen ist, lange Minuten, die zu Stunden werden —
da plötzlich ein peitschender Knall, der jäh die Luft aufreißt,
mit mißtönendem Eekrächz streicht ein aufgescheuchter Häher
ab — und nun wieder ein Schuß und noch einer, ein Dutzend
wohl — dann wird es wieder still.
Also Feinde! Der Hauptmann steht, unwillkürlich die
Hand um den Griff des Revolvers gepreßt, und lauscht
mit vorgeneigtem Kopf. Da endlich bricht es in den Zweigen,
die schußbereiten Gewehre der Pioniere senken sich — es
sind die beiden Kameraden, die mit als Patrouille aus
geschickt waren.
„Wo ist Leutnant R.?"
„Gefangen."
„Und der Unteroffizier?"
„Gefallen."
Ein kurzes, ernstes Schweigen. Dann richtet der Haupt
mann entschlossen den Kopf wieder auf. Er sagt zu seinen
Leuten, eilig, mit halbgedämpfter Stimme: „Wir müssen
uns darauf gefaßt machen, daß der Wald vom Feind durch
sucht wird. Also verdeckt die Autos mit Zweigen, so gut
es geht, und dann mir nach!"
Der Hauptmann sieht sich suchend um. Noch ein Stück
chen weiter waldeinwärts ist ein Eewucher von Brombeer
hecken, das Unterholz ist dort dicht verfilzt. Das ist ein
geeigneter Schlupfwinkel. Dorthin geht er nun mit dem
Rest der Leute. Die anderen folgen, nachdem sie die Autos
mit schnell abgebrochenen Zweigen verkleidet haben, und
so liegt denn nun alles hier im Busch am Boden und wartet.
Jeden Augenblick ist man darauf gefaßt, daß die feind
lichen Patrouillen zwischen den Stämmen drüben sichtbar
werden. Aber es geschieht doch nicht. So schleichen die
Stunden hin, schon geht es wieder zum Abend, aber die
ganze Nacht hindurch ziehen feindliche Truppen an dem
Gehölz vorbei; man darf es also nicht wagen, aufzubrechen
und die Fahrt fortzusetzen. So vergeht auch diese zweite
Nacht voller Unruhe und Spannung nur mit einem kurzen
gelegentlichen Hindämmern, aus dem der Schläfer von
selber wieder aufschreckt. Und der dritte Tag kommt. Die
Sachlage bleibt unverändert, die feindlichen Bewegungen
am Rand des Gehölzes hören nicht auf; langsam schleichen
die Stunden hin. Als sich die Dämmerung schon in das
Gehölz stiehlt, leidet es den Hauptmann nicht mehr länger
in seinem Schlupfwinkel. Er geht jetzt nach vorn, zum
Rande des Gehölzes, und hält dort Ausschau. Ganz be
friedigt ist er von dem Ergebnis zwar nicht, aber er kommt
wieder und sagt nun zu seinem Feldwebel: „Ganz gleich —
wir fahren!"
Und die Fahrt geht weiter, wieder in finsterer Nacht
mit abgeblendetem Licht auf Hohl- und Feldwegen, bis
endlich die Brücke südlich von A. erreicht ist. Sie ist unbesetzt,
der Feind nicht in unmittelbarer Nähe, so kann man denn
ans Werk gehen. Mit fiebriger Eile und doch mit voller
Ruhe und Überlegtheit arbeiten die Pioniere, die Spreng-