Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Die k. u. k. Negierung nahm diesen Standpunkt an und 
erklärte sich bereit, die Frage einer Prüfung zu unterziehen, 
indem sie gleichzeitig darauf hinwies, daß es, solange man 
nicht in Kenntnis der Österreich-Ungarn etwa zufallenden 
Vorteilesei, schwer wäre, hierfür Entschädigungen festzusetzen. 
Die königliche Regierung teilte diese Auffassung, wie 
sowohl aus der Erklärung des seither verstorbenen Marchese 
di San Eiuliano vom 25. August 1914 hervorgeht, in der 
es heißt: ,Es wäre verfrüht, jetzt von Entschädigungen zu 
sprechen/ wie aus den Bemerkungen des Herzogs von Avarna 
nach unserem Rückzüge aus Serbien' gegenwärtig gibt es 
kein Entschädigungsobjekt/ 
Nichtsdestoweniger ist die k. u. k. Regierung immer be 
reit gewesen, über diesen Gegenstand Unterhandlungen zu 
beginnen. 
Als die königlich italienische Regierung, indem sie auch 
jetzt noch ihren Wunsch nach Aufrechterhaltung und Be 
festigung unseres Bündnisses wiederholte, gewisse Forde 
rungen vorbrachte, welche unter dem Titel einer Entschädi 
gung die Abtretung unveräußerlicher Bestandteile der Mon 
archie an Italien betrafen ... hat denn auch die k. u. k. Re 
gierung, die auf die Erhaltung bester Beziehungen zu Italien 
den größten Wert legte, selbst diese Verhandlungsgrundlage 
angenommen, obwohl nach ihrer Meinung der in Rede 
stehende Artikel 7 niemals auf die Gebiete der zwei ver 
tragschließenden Teile, sondern einzig und allein auf die 
Balkanhalbinsel Bezug hatte. 
In den Verhandlungen, die über diesen Gegenstand ge 
pflogen wurden, zeigte sich die k. u. k. Regierung stets von 
dem aufrichtigen Wunsche geleitet, zu einer Verständigung 
mit Italien zu gelangen; und wenn es ihr aus ethnischen, 
politischen und militärischen Gründen, die in Rom ausführ 
lich auseinandergesetzt worden sind, unmöglich war, allen 
Forderungen der königlichen Regierung nachzugeben, so sind 
doch die Opfer, die die k.u.k. Regierung zu bringen bereit war, 
so bedeutend, daß sie nur der Wunsch, ein seit vielen Jahren 
zum gemeinsamen Vorteil unserer beiden Länder bestehendes 
Bündnis aufrechtzuerhalten, zu rechtfertigen vermag. 
Die königliche Regierung bemängelt es, daß die von 
Österreich-Ungarn angebotenen Zugeständnisse erst in einem 
unbestimmten Zeitpunkte, das heißt erst am Ende des 
Krieges, verwirklicht werden sollten, und sie scheint daraus 
zu folgern, daß diese Zugeständnisse dadurch ihren ganzen 
Wert verlieren würden. 
Indem die k. u. k. Regierung die materielle Unmöglich 
keit einer sofortigen Übergabe der abgetretenen Gebiete her 
vorhob, zeigte sie sich dennoch bereit, alle nötigen Garantien 
zu bieten, um diese Übergabe vorzubereiten und sie schon 
jetzt für eine wenig entfernte Frist zu sichern. 
Der offensichtliche gute Wille und der versöhnliche Sinn, 
den die k.'u. k. Regierung im Laufe der Verhandlungen 
bewiesen hat, scheinen die Meinung der italienischen Regie 
rung, man müsse auf jede Hoffnung verzichten, zu einem 
Einvernehmen zu gelangen, in keiner Weise zu rechtfertigen. 
Ein solches Einvernehmen kann jedoch nur erreicht wer 
den, wenn auf beiden Seiten derselbe aufrichtige Wunsch 
nach Verständigung herrscht. 
Die k. u. k. Regierung vermag die Erklärung der italieni 
schen Regierung, ihre volle Handlungsfreiheit wiedererlangen 
zu wollen und ihren Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn 
als nichtig und fortan wirkungslos zu betrachten, nicht zur 
Kenntnis zu nehmen, da eine solche Erklärung der königlichen 
Negierung in entschiedenem Widerspruch zu den feierlich ein 
gegangenen Verpflichtungen steht, die Italien indem Vertrage 
vom 5. Dezember 1912 auf sich genommen hat, der die Dauer 
unserer Allianz bis zum 8. Juli 1920 festsetzte, seine Kün 
digung nur ein Jahr vorher gestattete und keine Kündigung 
oder Nichtigkeitserklärung vor diesem Zeitpunkte vorsah. 
Da sich die königlich italienische Regierung aller ihrer 
Verpflichtungen in willkürlicher Weise entledigt hat, lehnt 
die k. u. k. Regierung die Verantwortlichkeit für alle Folgen 
ab, die sich aus dieser Vorgangsweise ergeben könnten. 
Wien, am 21. Mai 1916." 
Diese Note konnte den Krieg ja nicht mehr verhindern, 
aber sie stellte die Vertragsbrüchigkeit Italiens schlagend 
und überzeugend vor aller Welt dar. Jedem unbefangenen 
Leser mußte sich die Frage aufdrängen, ob ein Staat, der 
sich über getroffene Verträge so leichtfertig hinwegsetzt, 
überhaupt noch bündnisfähig sei. Diese Erwägungen kamen 
wohl auch in denKreisen des Dreiverbandes zum Durchbruch. 
In der französischen Presse äußerten sich verschiedene Stim 
men, Italien kämpfe ja nicht für den Dreiverband, sondern 
nur für sein eigenes Interesse, und man könne ihm deshalb 
weder militärische noch finanzielle Unterstützung gewähren. 
Serbien verwahrte sich gegen die Hilfe Italiens, weil 
es darauf ausgehe, slawische Gebiete am Balkan zu erobern. 
Für Italien blieb jetzt nur noch ein letzter Schritt übrig: 
die Kriegserklärung, und diese ließ nicht lange aus sich warten. 
Es wurden zwar vorher verschiedene Versuche gemacht, 
Österreich-Ungarn oder Deutschland zu einer Kriegserklärung 
zu veranlassen, denn Italien wollte gar zu gern den an 
gegriffenen Staat spielen. Aber diesen Gefallen taten ihm 
die Zentralmächte nicht. 
Am 23. Mai überreichte schließlich der italienische Bot 
schafter in Wien die Kriegserklärung, ein Machwerk, das 
sich quält, aus dem Nichts einen wichtigen Kriegsgrund 
herauszupressen. Kaiser Franz Joseph erließ darauf das 
folgende Manifest: 
An meine Völker! 
Der König von Italien hat mir den Krieg erklärt. Ein 
Treubruch, dessengleichen die Geschichte nicht kennt, ist vom 
Königreich Italien an seinen beiden Verbündeten begangen 
worden. Nach einem Bündnis von mehr als dreißigjähriger 
Dauer, währenddessen es seinen territorialen Besitz mehren 
und sich zu ungeahnter Blüte entfalten konnte, hat uns 
Italien in der Stunde der Gefahr verlassen und ist mit 
fliegenden Fahnen in das Lager unserer Feinde überge 
gangen. Wir haben Italien nicht bedroht und sein An 
sehen nicht geschmälert, wir haben seine Ehre und seine 
Interessen nicht angetastet; wir haben unseren Bündnis 
pflichten stets getreu entsprochen und ihm unseren Schirm 
gewährt, als es ins Feld zog. Wir haben mehr getan: 
Als Italien seine begehrlichen Blicke über unsere Grenzen 
sandte, waren wir, um das Vündnisverhältnis und den 
Frieden zu erhalten, zu großen und schmerzlichen Opfern 
entschlossen, zu Opfern, die unserem väterlichen Herzen be 
sonders nahegingen. Aber Italiens Begehrlichkeit, das den 
Moment nützen zu sollen glaubte, war nicht zu stillen, und 
so mutz sich das Schicksal vollziehen. 
Dem mächtigen Feinde im Norden haben in zehnmona- 
tigem gigantischen Ringen in treuester Waffenbrüderschaft 
mit dem Heere meines erlauchten Verbündeten meine Ar? 
meen siegreich standgehalten. Der neue heimtückische Feind 
im Süden ist ihnen kein neuer Gegner. Die großen Erinne 
rungen an Novara, Mortara, Custozza und Lissa, die den 
Stolz meiner Jugend bilden, der Geist Radetzkys, Erzherzog 
Albrechts und Tegetthoffs, der in meiner Land- und See 
macht fortlebt, bürgen mir dafür, daß wir auch gegen Süden 
hin die Grenzen der Monarchie erfolgreich verteidigen werden. 
Ich grüße meine kampfbewührten, siegerprobten Trup 
pen, vertraue auf sie und ihre Führer! Vertraue auf meine 
Völker, deren beispiellosem Opfermute mein innigster-väter 
licher Dank gebührt. Den Allmächtigen bitte ich, daß er 
unsere Fahnen segnen und unsere gerechte Sache in seine 
gnädige Obhut nehmen möge. 
Franz Joseph. Stürgkh. 
Wien, am 23. Mai 1915. 
l Fortsetzung folgt.) 
Illustrierte Kriegsberichte. 
Italiens militärische und finanzielle 
Kri egsb er eits ch a^t. 
(Hierzu die Bilder Seite 444, 445 und 449.) 
Dem Vertragsbruch und der Kriegserklärung Italiens 
ist auf dem Fuß ein Angriff der österreichisch-ungarischen 
See- und Luftflotte gefolgt, der von Erfolgen begleitet war, 
die Italien nicht erwartet hatte und aus denen hervorgeht, 
daß es nicht in dem für sich selbst und seine Verbündeten 
wünschenswerten Maß vorbereitet war. Seit dem Beginn 
des großen Krieges war Italiens Stellung für die tiefer 
Blickenden Zweifelhaft und schwankend. Österreich-Ungarn 
ließ sich jedoch durch freundschaftliche Versicherungen des
	        
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