Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
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düng in erster Linie angeführten Tatsachen auf mehr als
neun Monate zurückgehen und als die königliche Regierung
seit diesem Zeitpunkte wiederholt ihren Wunsch kundgab,
die Bande der Allianz zwischen unseren beiden Ländern
aufrechtzuerhalten und noch zu verstärken, einen Wunsch,
der in Österreich-Ungarn immer eine günstige Aufnahme
und herzlichen Widerhall gefunden hat.
Die Gründe, die die k. u. k. Regierung zwangen, an
Serbien im Monat Juli vergangenen Jahres ein Ulti
matum zu richten, sind zu bekannt, als daß es nötig wäre,
sie hier zu wiederholen. Das Ziel, das sich Österreich-
Ungarn setzte und das einzig und allein darin bestand, die
Monarchie gegen die umstürzlerischen Machenschaften Ser
biens zu schützen und die Fortsetzung einer Agitation zu
verhindern, die geradezu auf die Zerstücklung Österreich-
Ungarns ausging und zahlreiche Attentate und schließlich
die Tragödie von Serajewo im Gefolge hatte, konnte die
Interessen Italiens in keiner Weise berühren. Denn die
k. u. k. Regierung hat niemals vorausgesetzt und hält es für
ausgeschlossen, daß die Interessen Italiens irgendwie mit
den verbrecherischen Uintrieben identifiziert werden könnten,
die, gegen die Sicherheit und die Eebietsintegrität Öster
reich-Ungarns gerichtet, von der Belgrader Regierrmg leider
geduldet und ermutigt worden waren.
Die italienische Regierung war übrigens davon in Kennt
nis gesetzt und wußte, daß Österreich-Ungarn in Serbien
keine Eroberungsabsichten hatte. Es ist in Rom ausdrücklich
erklärt worden, daß Österreich-Ungarn, wenn der Krieg
lokalisiert bliebe, nicht die Absicht hatte, die Eebietsintegrität
oder die Souveränität Serbiens anzutasten.
Als infolge des Eingreifens Rußlands der rein lokale
Streit zwischen Österreich-Ungarn und Serbien im Gegensatze
zu unseren Wünschen einen europäischen Charakter annahm
und sich Österreich-Ungarn und Deutschland von mehreren
Großmächten angegriffen sahen, erklärte die königliche Regie
rung die Neutralität Italiens, ohne jedoch die geringste Anspie
lung darauf zu machen, daß dieser von Rußland hervorgerufene
und von langer Hand vorbereitete Krieg geeignet sein könnte,
dem Dreibundvertrage seinen Eristenzgrund zu entziehen.
Es genügt, an die Erklärungen, die in jenem Zeit
punkte weiland Marchese di San Eiuliano abgab, und an
das Telegramm, das Seine Majestät der König von Ita
lien am 2. August 1914 an Seine Majestät den Kaiser
und König richtete, zu erinnern, um festzustellen, daß die
königliche Regierung damals in dem Vorgehen Österreich-
Ungarns nichts sah, was den Bestimmungen unseres Bundes
vertrages entgegen gewesen wäre.
Von den Mächten des Dreiverbandes angegriffen, mußten
Österreich-Ungarn und Deutschland ihre Gebiete verteidigen,
aber dieser Verteidigungskrieg hatte keineswegs ,die Ver
wirklichung eines den Lebensinteressen Italiens entgegen
gesetzten Programms' zum Ziele. Diese Lebensinteressen
oder das, was vön ihnen bekannt sein konnte, waren
in keiner Weise bedroht. Wenn übrigens die italienische
Regierung in dieser Hinsicht Bedenken gehabt hätte, so hätte
sie sie geltend machen können, und sicherlich hätte sie sowohl
in Wien als auch in Berlin den besten Willen zum Schutze
dieser Interessen gefunden.
Die königliche Regierung war damals der Ansicht, daß
sich ihre beiden Verbündeten nach Lage der Dinge Italien
gegenüber nicht auf den Bündnisfall berufen konnten, aber
sie machte keine Mitteilung, die zu dem Glauben be
rechtigt hätte, daß sie das Vorgehen Österreich-Ungarns als
eine flagrante Verletzung des Wortes und des Geistes des
Bündnisvertrages' ansehe.
Die Kabinette von Wien und Berlin ließen, wenn sie
auch Italiens Entschluß, neutral zu bleiben — einen Ent
schluß, der nach unserer Ansicht mit dem Geiste des Ver
trages kaum vereinbar war — bedauerten, die Ansicht der
italienischen Regierung dennoch in loyaler Weise gelten, und
der Meinungsaustausch, der in jenem Zeitpunkte stattfand,
stellte die unveränderte Aufrechterhaltung des Dreibundes fest.
Gerade mit Berufung auf diesen Vertrag, insbesondere
auf dessen Artikel 7, legte uns die königliche Regierung ihre
Ansprüche vor, die dahin gingen, gewisse Entschädigungen
für den Fall zu erhalten, daß Österreich-Ungarn seinerseits
aus dem Kriege Vorteile territorialer oder anderer Natur
auf der Balkanhalbinsel zöge.
Die Beschießung Anconas durch die österreichisch-ungarische Flotte am Morgen des 24. Mai 1915.
Nach authentischen Quellen gezeichnet von Alex. Kivcher.