Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Phot. Stengel & (So., Dresden. 
WzMÄ«. 
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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
uns mit diesem Staate verband. Es verletzte dieses Ab 
kommen durch die Form, indem es unterlassen war, mit 
uns sei es eine vorherige Verständigung zu treffen oder 
uns auch nur eine einfache Mitteilung zu machen, und ver 
letzte es in der Sache, indem es darauf ausging, zu unserem 
Nachteile das empfindliche Netz territorialer Besitzungen 
und Einflußbereiche zu stören, das sich auf der Balkanhalb 
insel herausgebildet hatte. Aber mehr noch als der eine 
oder andere besondere Punkt wurde der ganze Geist, der 
diesen Vertrag erfüllte, verletzt und sogar unterdrückt, denn 
indem in der Welt der schreckliche Krieg entfesselt wurde im 
geraden Gegensatze zu unseren Interessen und unseren Ge 
fühlen, wurde das Gleichgewicht zerstört, das das Bündnis 
sichern sollte, und es erhob sich tatsächlich, aber unwider 
stehlich die Frage der nationalen Unversehrtheit Italiens. 
Nichtsdestoweniger widmete sich die Regierung während 
langer Monate geduldig der Aufgabe, eine Verständigung 
zu suchen, die dem Vertrage seine Daseinsberechtigung, die 
er sonst verloren hatte, wiedergeben sollte. Diese Verhand 
lungen mußten indessen beschränkt sein nicht nur der Zeit 
nach, sondern auch durch die Rücksicht auf unsere Würde, 
da sonst die gesamten Interessen und die Ehre unseres 
Landes bloßgestellt worden wären. 
Infolgedessen und um diese höchsten Ziele aufrechtzu 
erhalten, sah die königliche Regierung sich gezwungen, der 
Herzen aller sich zu einem einzigen Herzen zusammen 
schließen. Möge ein einmütiger Wille zu dem beschworenen 
Ziele führen und Kraft, Herz und Wille ihren einzigen 
leidenschaftlichen und heldenhaften Ausdruck finden in der 
Armee und Flotte Italiens und in dem erhabenen Führer, 
der sie zu den Schicksalen einer neuen Geschichte anführt. 
Es lebe der König! Es lebe Italien!" 
Am Schluffe erfolgte eine begeisterte Kundgebung. Die 
Rede wurde fast bei jedem Satz durch stürmischen Beifall 
unterstrichen und durch Rufe:^„Hoch Italien! Hoch der 
Krieg!" unterbrochen. Nur die Sozialisten blieben ruhig und 
erhoben sich nicht von ihren Plätzen. 
Das während der Kammersitzung verteilte Erünbuch der 
italienischen Regierung enthält als letztes Aktenstück eine 
Note des Ministers des Auswärtigen, Sonnino, an den ita 
lienischen Botschafter in Wien, Herzog von Avarna, vom 
3. Mai, die Österreich-Ungarn die Schuld an der Auflösung 
des Dreibündvertrages zuzuschieben sucht, und schließt: „Alle 
Bemühungen der königlichen (italienischen) Regierung stießen 
auf den Widerstand der kaiserlichen und königlichen Regie 
rung, die sich nach mehreren Monaten nur zur Anerkennung 
besonderer italienischer Interessen in Valona und zum Ver 
sprechen einer nicht genügenden Gebietseinrüumung im 
Trentino entsprossen hat, einem Zugeständnis, das durch 
aus keine normale Regelung der Lage enthält, weder vom 
Ansicht von Trient. 
kaiserlichen und königlichen österreichisch-ungarischen Re 
gierung am 4. Mai die Zurücknahme aller ihrer Vertrags 
vorschläge, die Aufkündigung des Bundesvertrages und die 
Erklärung, daß sie sich Handlungsfreiheit vorbehalte, bekannt 
zugeben. Anderseits war es aber nicht mehr möglich, Italien 
in einer Vereinzelung ohne Sicherheit und ohne Ansehen zu 
lassen, gerade in dem Augenblick, wo die Weltgeschichte an 
einem entscheidenden Wendepunkt steht. Angesichts dieser 
Sachlage und in Erwägung der Schwierigkeit der inter 
nationalen Lage muß die Regierung auch politisch vorbereitet 
sein auf jede noch so schwere Prüfung und ersucht daher die 
Kammer durch den vorgelegten Gesetzentwurf um die außer 
ordentlichen Befugnisse, deren sie bedarf. Diese Maßnahme 
rechtfertigt sich nicht allein durch Vorgänge bei uns und in 
anderen Staaten jeder Regierungsform, sondern sie stellt 
auch die beste Ordnung und sogar die mildeste Form der 
jenigen Befugnisse dar, die unsere in Kraft stehende Ge 
setzgebung der Regierung auch in anderen Fällen zuweist, 
wo es sich um das höchste Gesetz handelt, nämlich um das 
Wohl des Staates. Ohne prahlerische Worte und ohne 
Stolz, aber mit tiefem Verständnis für die Verantwortung, 
die uns in dieser Stunde zufällt, haben wir das Bewußtsein, 
dafür Vorsorge getroffen zu haben, was die edelsten Be 
strebungen und die Lebensinteressen des Vaterlandes er 
forderten." Salandra richtete nun einen glühenden Auf 
ruf an das Haus, daß es alle Meinungsverschiedenheiten 
beiseite lassen möge, und schloß: „Mögen die Kräfte aller 
in einer einzigen Kraft zusammengefaßt werden und die 
ethischen noch vom politischen oder militärischen Standpunkte 
aus. Außerdem sollte dieses Zugeständnis erst in einem un 
bestimmten Zeitpunkt, nämlich erst am Ende des Krieges, 
verwirklicht werden. Bei diesem Stande der Sache muß 
die italienische Regierung auf die Hoffnung verzichten, zu 
einem Einverständnis zu kommen, und sieht sich gezwungen, 
alle Vorschläge zu einem Übereinkommen zurückzuziehen. 
Es ist ebenso unnütz, den äußeren Anschein eines Bündnisses 
aufrechtzuerhalten, das nur die Bestimmung haben würde, 
das tatsächliche Vorhandensein eines beständigen Mißtrauens 
und täglicher Meinungsverschiedenheiten zu verschleiern. Aus 
diesem Grunde versichert und erklärt Italien im Vertrauen 
auf sein gutes Recht, daß es von diesem Augenblicke an sich 
die volle Freiheit seiner Handlungen wieder nimmt und 
seinen Bündnisvertrag mit Österreich-Ungarn für aufgehoben 
und künftig wirkungslos erklärt!" 
Der Botschafter, Herzog von Avarna, machte dem Baron 
Burian diese Mitteilung am 4. Mai. 
Auch aus der Rede Salandras ist besonders bemerkens 
wert die Begründung der Kündigung des Dreibundes. 
Selbstverständlich folgte auf beide Erklärungen sofort eine 
amtliche Widerlegung in der „Norddeutschen Allgemeinen 
Zeitung", in der es hieß: 
„Der Dreibundvertrag bestimmte, daß der Bündnisfall 
gleichzeitig für die drei Vertragsmächte eintritt, wenn einer 
oder zwei der Vertragschließenden ohne direkte Heraus 
forderung ihrerseits von zwei der drei Großmächte an 
gegriffen und in einen Krieg verwickelt würden.
	        
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