Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914/13 
^Fortsetzung.) 
Die auf Seite 430 wiedergegebene erste amtliche Mit 
teilung von Österreich-Ungarns Zugeständnissen an Italien 
durch den Reichskanzler v. Bethmann Hollweg wurde in 
Italien mit großem Unbehagen als geschickter Schachzug 
empfunden. Das damals in Rom soeben ausgegebene 
Erünbuch wurde dadurch unmöglich gemacht. Aber die 
Bedeutung der Zugeständnisse wurde durch eine ver 
schleiernde Anordnung verkleinert. Die Friedenshoffnung 
des Kanzlers wurde verhöhnt. 
Mit welchen Mitteln in Italien für den Krieg gearbeitet 
wurde, beweist ein bereits am 16. Mai in Hunderttausenden 
von Exemplaren verbreiteter „Aufruf an das italienische 
Volk!" des „Popolo d/Jtalia": 
„1. Der Dreibundvertrag wurde am 4. Mai gekündigt. 
2. Am 15. April winde ein Kriegsabkommen mit dem Drei 
verband abgeschlossen, wonach Italien sich verpflichtet, 
Österreich-Ungarn bis zum 24. Mai anzugreifen. 3. Dieses 
Abkommen garantiert Italien die Befreiung aller unerlösten 
Gebiete, die Herrschaft in der Adria und große Entschädi 
gungen in Asien und Afrika. 4. Es wurde bereits zur 
Ausführung dieses Planes geschritten, da Offiziere des 
italienischen Eeneralstabes sich für ein einheitliches mili 
tärisches Vorgehen in Paris und London eingesetzt haben. 
Folglich war Eiolitti, der dies alles wußte, von Bülow 
bezahlt. Er versuchte, das Vaterland zu verraten und an 
Österreich-Ungarn auszuliefern. Angesichts der Majestät 
des italienischen Volkes beschuldigen wir Eiolitti des Hoch 
verrats und überweisen ihn der Verachtung und der 
öffentlichen Rache. Es lebe der Krieg!" 
Erst durch diesen Aufruf wurde die Kündigung des 
Dreibundvertrages einer größeren Öffentlichkeit bekannt. 
Immerhin wußte man noch nicht, womit Italien seinen 
Austritt aus dem Dreibund begründete. 
Der ungarische Ministerpräsident und auch der deutsche 
Reichskanzler haben die Kündigung des Dreibundes mit 
keiner Silbe berührt. Erst in der Sitzung der italienischen 
Kammer vom 20. Mai erfuhr man Näheres, und man ersah 
daraus auch, in wie schamloser Weise Italien alle Begriffe 
von Treu und Glauben mit Füßen trat. Bei Eröffnung der 
Kammer waren 480 Abgeordnete anwesend, die Tribünen 
gedrückt voll, einschließlich derer für das diplomatische Korps, 
die Senatoren und die ehemaligen Abgeordneten. Auf der 
Tribüne der Diplomaten bemerkte man die Botschafter der 
Vereinigten Staaten, Englands, Frankreichs, Rußlands und 
Japans. Auch Gabriele d'Annunzio erschien im Hause, 
von lebhaften Zurufen im Saal und auf den Tribünen 
begrüßt. Nur die Sozialisten beteiligten sich nicht an dieser 
Kundgebung. Alle hervorragenden Persönlichkeiten des 
Parlaments waren anwesend, außer Eiolitti. Um zwei 
Uhr erschien Präsident Marcora, begrüßt von stürmischem 
Beifall im Saal und aus den Tribünen. Alle Abgeord 
neten, mit Ausnahme von 45 Sozialisten, erhoben sich von 
ihren Plätzen, ebenso wie das Publikum auf den Tribünen, 
und riefen: „Es lebe der Präsident!" 
Als die Kundgebung zu Ehren des Kammerpräsidenten 
beendigt war, trat Ministerpräsident Salandra in den 
Saal, hinter ihm der Minister des Auswärtigen Sonnino 
und die anderen Kabinettsmitglieder. Die ganze Versamm 
lung stand. Man ries von allen Seiten: „Es lebe der Krieg!" 
Im Zentrum ertönten- Rufe: „Es lebe der König!" Die 
Huldigung wiederholte sich, begleitet von immer mehr an 
wachsendem Beifall. Unter Rufen: „Es lebe Italien!" 
erneuerte sich die Kundgebung. Ministerpräsident Salandra 
brachte darauf einen Gesetzentwurf ein, der der Regierung 
für den Fall des Krieges außerordentliche Befugnisse über 
trug, und gab sodann folgende Erklärung der Regierung ab: 
„Seitdem Italien sich zur Staatseinheit erhob, hat es 
sich in der Welt der Völker als Faktor der Mäßigung, der 
Eintracht und des Friedens bewährt. Und es kann stolz vor 
aller Welt verkünden, daß es diese Aufgabe mit einer Festig 
keit erfüllt hat, die sich nicht einmal vor den schmerzlichsten 
Opfern beugte. Im letzten Zeitraum von mehr als dreißig 
Jahren hielt es ein System von Bündnissen und Freund 
schaften aufrecht, die hauptsächlich zum Zweck hatten, auf 
diese Art das europäische Gleichgewicht und mit ihm den 
Frieden besser zu sichern. Angesichts der Vornehmheit dieses 
Zieles ertrug Italien sogar nicht allein die Mängel der Sicher 
heit seiner Grenzen und ordnete diesem Ziele nicht nur 
seine heiligsten Wünsche unter, sondern es mußte auch mit 
heimlichem Schmerz den planmäßig angewandten Versuchen 
zusehen, den italienischen Charakter zu unterdrücken, den 
Natur und Geschichte diesen edlen Landen unauslöschlich 
aufgedrückt hatten. Das Ultimatum, das Österreich-Ungarn 
im Jahre 1914 an Serbien richtete, machte mit einem 
Schlage die Wirkungen unserer lange andauernden Anstren 
gungen zunichte, indem es ein Abkommen verletzte, das 
Photo-Bericht Hoffmann, München. 
Mit Bergstöcken, Gebirgschuhen und Schneebrillen ausgerüstete bayrische Infanterie vor dem Ausmarsch. 
Amerika«. Copyright 1915 by Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart. 
II. Band. 
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