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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
aller Hintergedanken baren Freundschaft ist, lediglich um
den Preis solcher territorialen Zugeständnisse erreicht werden
kann, haben wir auch diesen Weg betreten, im vollen Be
wußtsein der Schwere des gebrachten Opfers, im vollen Be
wußtsein der auf uns lastenden großen Verantwortung, aber
nicht zu taktischen Zwecken, nicht zur Überwindung augenblick
licher Schwierigkeiten, sondern von der Überzeugung durch
drungen, dadurch in Wahrheit den ständigen Interessen
unseres Vaterlandes und damit der Monarchie zu dienen."
Am 18. Mai kam es auch im deutschen Reichstag zu einer
bedeutsamen Kundgebung über das Verhältnis zu Italien.
Der deutsche Reichskanzler, der allein mit Rücksicht auf die
Lage in Italien erschienen war, teilte ausführlich die un
gewöhnlich weit entgegenkommenden Zugeständnisse mit, die
sein Kollege Tisza begreiflicherweise verschwieg. Er sagte:
„1. Der Teil von Tirol, der von Italienern bewohnt ist,
wird an Italien abgetreten.
2. Ebenso das westliche Ufer des Jsonzo, soweit die Be
völkerung rein italienisch ist, und die Stadt Eradisca.
3. Triest soll zu einer kaiserlich freien Stadt gemacht
werden, eine den italienischen Charakter der Stadt sichernde
Stadtverwaltung und eine italienische Universität erhalten.
4. Die italienische Souveränität über Valona und die
dazugehörige Interessensphäre soll anerkannt werden.
5. Österreich-Ungarn erklärt seine politische Uninteressiert
heit hinsichtlich Albaniens.
6. Die nationalen Interessen der italienischen Staats
angehörigen in Österreich-Ungarn werden besonders berück
sichtigt.
7. Österreich-Ungarn erklärt eine Amnestie für mili
tärische oder politische Verbrecher, die aus den abgetretenen
Gebieten stammen.
8. Wohlwollende Berücksichtigung von weiteren Wün
schen Italiens über die Gesamtheit der das Abkommen
bildenden Fragen wird zugesagt.
9. Österreich-Ungarn wird nach dem Abschluß des Ver
trages eine feierliche Erklärung über die Abtretungen geben.
10. Gemischte Kommissionen zur Regelung der Einzel
heiten der Abtretung werden eingesetzt.
11. Nach Abschluß des Abkommens sollen die Soldaten
der österreichisch-ungarischen Armee, die aus den abgetre
tenen Gebieten stammen, nicht mehr an den Kämpfen teil
nehmen.
Ich kann noch hinzufügen, daß Deutschland, um die
Verständigung zwischen seinen beiden Bundesgenossen zu
fördern und zu festigen, dem römischen Kabinett gegenüber
im Einverständnis mit dem Wiener die volle Garantie für
die loyale Ausführung dieser Anerbietungen ausdrücklich
übernommen hat. Österreich-Ungarn und Deutschland haben
hiermit einen Entschluß gefaßt, der, wenn er zum Ziele
führt, nach meiner festen Überzeugung auf die Dauer
von der überwältigenden Mehrheit der drei Nationen gut
geheißen werden wird. Mit seinem Parlament steht das
italienische Volk vor der freien Entschließung, ob es die
Erfüllung alter nationaler Hoffnungen im weitesten Um
fange auf friedlichem Wege erreichen oder ob es das Land
in einen Krieg stürzen und gegen seinen Bundesgenossen
von gestern und heute morgen das Schwert ziehen will.
Ich mag die Hoffnung nicht ganz aufgeben, daß die Wag
schale des Friedens schwerer sein wird als die des Krieges.
Wie aber Italiens Entschließung auch ausfallen möge, in
Gemeinschaft mit Österreich-Ungarn haben wir alles im
Bereich der Möglichkeit Liegende getan, um ein Bundes
verhältnis zu stützen, das im deutschen Volke feste Wurzel
gefaßt hatte und das reichen Nutzen und Gutes gebracht
hat. Wird der Bund von dem einen Partner zerrissen, so
werden wir in Gemeinschaft mit dem anderen auch neuen
Gefahren unerschrocken und zuversichtlichen Mutes zu be
gegnen wissen."
«Fortsetzung folgt.)
Illustrierte Kriegsberichte.
Die führenden Männer
in den Verhandlungen zwischen Dsterreich-
Ungarn und Italien.
(Hierzu die Bilder Seite 428 und 429.)
In dem heißen Ringen der Diplomaten, das durch zehn
Monate in Rom um die Frage ging, welchem Lager sich
Italien endgültig zuwenden werde, war für uns die wichtigste
Person unstreitig der ehemalige deutsche Botschafter in
Rom und spätere Reichskanzler Fürst Bülow (Bild S. 428).
Als er am 4. Dezember vorigen Jahres die Botschaft in
Rom wieder übernahm, folgte ihm unsere Zuversicht, daß
ihm, dem Vielerprobten, auch die Lösung seiner Aufgabe
gelingen werde. Er selbst aber machte sich wohl viel weniger
Hoffnung, kannte er doch Land und Leute gründlich. In
Erkenntnis dieser Dinge hatte er ja schon früher, zur Zeit
der Algeciraskonferenz, das Wort von dem „Ertratanz"
geprägt, den man dem Verbündeten im Süden gelegentlich
gestatten müsse. Was damals zum erstenmal zutage trat,
die heimliche Untreue Italiens, sobald eine Verfeindung
mit England drohte, ist jetzt zur Tatsache geworden, und
auch Fürst Bülows Meisterschaft in diplomatischen Dingen
konnte dies Ereignis nicht abwenden. Trotzdem gebührt
ihm, wie es auch der deutsche Reichskanzler v. Bethmann
Hollweg im Reichstag ausdrücklich anerkannt hat, unser
aufrichtiger Dank für seine Bemühungen.
Nicht minder schwierig und opferheischend war die Stel
lung des österreichisch-ungarischen Ministers für auswärtige
Angelegenheiten, des Barons Burian (Bild S. 428); sollte
doch er, der in schwierigster Zeit die politische Hinter
lassenschaft des Grafen Berchtold übernommen hatte, nun
auch noch seinen Namen unter Verzichterklärungen auf alt
österreichische Gebietsteile setzen, während die österreichisch
ungarischen Truppen mit unerhörter Tapferkeit dem russi
schen Anprall standhielten. Daß er dennoch dazu bereit
war, des „gemeinsamen Zieles" wegen, soll ihm auch in
Deutschland nicht vergessen werden. Sachlich war er zu
diesen Verhandlungen besonders befähigt, denn während
seiner Amtszeit als k. u. k. gemeinsamer Finanzminister
(1903—1912) lag ihm auch die Verwaltung des ehemaligen
Okkupationsgebietes Bosnien und Herzegowina ob, und er
wurde so ein gründlicher Kenner der Balkanverhältnisse.
Einen treuen und tüchtigen Mitarbeiter hatte er im k. u. k.
Botschafter in Rom, Baron Macchio (Bild S. 428), der in
eifriger Zusammenarbeit mit dem Fürsten Bülow Italien
für die Zentralmächte zurückzugewinnen suchte.
Der Mann dagegen, in dem man die letzte und sicherste
Stütze des Dreibundes sah, König Viktor Emanuel III.
(Bild S. 429), ist nach außen am wenigsten hervorgetreten,
ganz entsprechend seiner Veranlagung, die gern der Öffentlich
keit ausweicht. Nur bei großen Unglücksfällen, zum Beispiel
dem Erdbeben von Messina oder dem letzten Vesuvausbruch,
war er stets als Helfer sofort persönlich zur Stelle, in dem
Bewußtsein, damit am leichtesten die so nötige „Populari
tät" zu erringen. Denn als er bei dem gewaltsamen Tode
seines Vaters unerwartet früh auf den Thron berufen
wurde, fand er bei seinem Volk sehr kühle Aufnahme, wozu
die von ihm erzwungene Heirat mit der montenegrinischen
Prinzessin Helene nicht wenig beitrug. Seinem Streben
nach Popularität entsprang es auch, daß er unter dem
Schein, sich jede Einmischung in die Parteikämpfe zu ver
sagen, die demokratische Richtung Eiolittis förderte, um
die breiten Volksmassen zu gewinnen, die dort unten gern
republikanische Neigungen an den Tag legen. Der Angst
um den Thron hat er nun auch sein Königswort geopfert,
und was das Geschrei der Straße nicht vermochte, hat wahr
scheinlich der Einfluß seiner Gemahlin vollendet; Königin
Helene, die Schwägerin des russischen Oberbefehlshabers
Nikolai Nikolajewitsch, trug den Sieg über den Mann und
König davon. Endlich soll seine Mutter, die Königin-Witwe
Margarita, plötzlich zur Kriegspartei übergegangen sein;
vielleicht war auch bei ihr die Angst um den Thron des
Sohnes der letzte Ansporn, mit aller Vergangenheit zu
brechen.
Von den Männern, denen nach außen für alle Zeiten
am meisten die Schmach für den Treubruch Italiens an
haften wird, ist Ministerpräsident Salandra (Bild S. 429)
ein echter Vertreter jener Advokaten aus dem italienischen
Süden, die unter der Maske der Ernsthaftigkeit ihre Schlau
heit verbergen, bis sie am Ziel ihrer Wünsche stehen. Auch
sein Gönner Eiolitti (Bild S. 429) mußte das erfahren,