Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

410 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
gelangte, seine Befestigungen; Gewehre und Kochgeschirre 
wurden weggeworfen, ungeheure Mengen Jnfanteriemuni- 
tion und zahlreiche Tote in den Gräben zurückgelassen. An 
einer Stelle zerschnitt der Gegner selbst die Drahthindernisse, 
um sich den Deutschen zu ergeben. Vielfach leistete er auch 
in den zweiten und dritten Linien keinen nennenswerten 
Widerstand mehr, während seine Gegenwehr an anderen 
Stellen der Durchbruchsfront lebhaft und erbittert war. 
Zusammen mit den österreichisch-ungarischen Truppen 
griffen bayrische Regimenter den 250 Meter über ihren 
Sturmstellungen gelegenen Zameczykoberg, eine wahre 
Festung, an. Eines von ihnen errang sich dabei unvergäng 
liche Lorbeeren. Nachts hatten sich Pioniere an die Draht 
verhaue herangeschlichen, die am Fuß des Berges den 
feindlichen Schützengräben vorgelagert waren. Morgens 
sehte unsere Artillerie ein, die Granate auf Granate gegen 
die starke Höhenstellung schleuderte. Die Bayern warteten 
währenddessen ungeduldig auf den Befehl zum Sturm. 
Sobald das Kanonengebrüll verstummte und plötzlich einer 
doppelt tief und unheimlich wirkenden Stille wich, waren die 
Bayern nicht mehr zu halten. Sie brachen sprungweise 
mit einem brausenden Hurra los, das die Stille siegesgewiß 
zerriß. Die russische Artillerie hatte längst die schwachen 
Abwehrversuche eingestellt, aber ihre Flinten und Ma 
schinengewehre knatterten desto wütender. Die Bayern 
kümmerte das nicht. Sie stürmten bergauf, Graben nach 
Graben, Verhau nach Verhau, drehten die Gewehre um, 
schlugen mit den Kolben drein, zogen die griffesten Messer 
aus dem Stiefelschaft und wurden raufend der Russen Herr, 
die sich mit erhobenen Händen ergaben, soweit sie nicht 
tot oder verwundet am Boden lagen. 
Links von den Bayern stürmten schlesische Regimenter 
die Höhen von Sekowe und Sokol. Andere junge Regimenter 
entrissen dem Feinde die hartnäckig verteidigte Friedhof 
höhe von Eorlice und den zäh gehaltenen Eisenbahnwall 
von Komieniza. Von den k. u. k. Truppenteilen hatten 
galizische Bataillone die steilen Höhenstellungen des Pustki- 
berges angegriffen und erstürmt, ungarische Truppen in 
heißem Kampfe die Wiatrowkahöhen genommen. Preußi 
sche Garderegimenter warfen den Feind aus seinen Höhen- 
stelkungen östlich der Biala und stürmten bei Staszkowka 
sieben hintereinander gelegene, erbittert verteidigte russische 
Linien. Entweder von den Russen angezündet oder von einer 
Granate getroffen, geriet die hinter Gorlice gelegene große 
Naphtaquelle in Brand. Haushoch schlugen die Flammen 
aus der Tiefe empor, und eine mehrere hundert Meter 
hohe Rauchsäule stieg gen Himmel. 
Am Abend des 2. Mai, als die heiße Frühlingsonne 
allmählich der Nachtkühle zu weichen begann, war die erste 
Hauptstellung in ihrer ganzen Länge und Tiefe in einer 
Ausdehnung von etwa 16 Kilometern durchbrochen, ein 
Geländegewinn von durchschnittlich 4 Kilometern erzielt. 
Mehr als 20 000 Gefangene, mehrere Dutzend Geschütze 
und etwa 50 Maschinengewehre befanden sich in den Händen 
der verbündeten Truppen, die in denr Kampfe um die 
Siegespalme gewetteifert hatten. Außerdem wurde eine fast 
unübersehbare Menge von Kriegsmaterial aller Art erbeutet, 
darunter große Massen von Gewehren und Munition. 
Den verbündeten Truppen war es nicht nur gelungen, 
die russische Front zwischen Karpathenkamm und mittlerem 
Dunajec zu durchbrechen, es war auch am Unterlauf dieses 
Flusses geglückt, das östliche Ufer zu gewinnen. Die k. u. k. 
Truppen waren es, die in der Nacht vom 1. zum 2. Mai 
bei Mondschein den Dunajecübergang erzwangen. Das 
Unternehmen war so gut vorbereitet und ausgeführt 
worden, daß der gegenüberstehende Feind völlig über 
rascht wurde. Neben mehr als 1000 Gefangenen wurden 
zahlreiche Geschütze und Maschinengewehre erbeutet. Am 
8. Mai nahm die Durchbruchschlacht ihren Fortgang, war 
doch am 2. Mai erst die vorderste Hauptstellung der Nüssen 
gefallen und hatten diese doch bis zur 
Wisloka, das ist auf einer Strecke von 
etwa 30 Kilometern, noch drei weitere 
mehr oder weniger stark ausgebaute 
befestigte Stellungen vorbereitet. In 
der russischen zweiten Hauptstellung 
fanden die Verbündeten wenig Wider 
stand. Es kam hier vielfach nur zu 
Nachhutgefechten. Größere Kämpfe 
fanden nur an vereinzelten Stellen, 
vor allem an Punkten statt, wo der 
Feind rückwärtige Verstärkungen heran 
gezogen hatte. Vielfach wurden diese 
in den Strudel des fluchtartigen Rück 
zuges mit hineingerissen. Am Nach 
mittag des 3. Mai standen die ver 
bündeten Kräfte vor der dritten Haupt 
stellung des Feindes. Die Truppen des 
Generals v. Francois kämpften an die 
sem Tage noch um den jener dritten 
Stellung vorgelagerten Wilczakberg, 
den Schlüsselpunkt für den Besitz der 
Stadt Merze. Diesen Berg hatten die 
Russen besonders stark ausgebaut. Wie 
derum lagen ihre Schützengräben stock 
werkartig übereinander. Die Russen 
versuchten das Herankommen der deut 
schen Truppen an den Berg zu ver 
zögern, indem sie von Süden her zu 
einem Gegenangriff ansetzten. Ein 
paar Schrapnelle genügten aber, um 
den schon schwer erschütterten Feind zur 
Umkehr zu zwingen. Schon am Abend des 3. Mai war der 
Wilczakberg in deutscher Hand. Ebenfalls ain 3. nahm die 
preußische Garde nach heißen Waldkämpfen die Höhe von 
Lipie. Dem rechten Flügel der österreichisch-ungarischen 
Truppen, der Armee des Erzherzogs Joseph Ferdinand, 
gelang es an demselben Tage, die Nüssen von den steilen 
Waldbergen des Bialatales zu werfen und in Richtung 
Tuchow weiter Gelände zu gewinnen. 
Standen die Russen am 3. Mai noch ganz im Bann 
ihrer Tags zuvor erlittenen schweren Niederlage, so glaubten 
sie doch am 4. Mai das Vorgehen der Verbündeten zum 
Stehen bringen zu können. Mit den am 3. Mai eingesetzten 
Teilen verfügten sie über vier bis fünf Infanterie- und 
vier Kavalleriedivisionen, die sie am 4. den Angreifern 
entgegenwarfen. In einem großen nach Südwesten ge 
richteten Bogen, der als eine Art von großem Brückenkopf der 
Stadt Jaslo /Karte Seite 408) auf etwa 12 bis 15 Kilometer 
vorgelagert war, hatten die Russen ihre dritte Hauptstellung 
angelegt. In ihr waren die Höhen von Sczerzyny nördlich 
Biecze und die Ostra-Eora wichtige Stützpunkte. Der Feind 
leistete an vielen Stellen erbitterten Widerstand, aber ihm 
fehlte, wie auch von gefangenen Offizieren bestätigt wurde, 
die planmäßige und einheitliche Leitung. Wie es scheint, 
waren die Verbände durch die Kämpfe am 2. und 3. Mai 
auch sehr erheblich vermengt worden. Ohne bestimmten 
Plan wurden die Verstärkungen regiments- und bataillons- 
^ r r y Phot. Hoblwein L Gircke, Berlin. 
König Friedrich August von Sachsen (X) 
begibt sich mit Generalfeldmarschall v. Hrndenburg (XX) zu einer Besichtigung sächsischer Truppen 
auf dem östlichen Kriegschauplatz. Dahinter in der Mitte. General Ludendorff.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.