Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
noch ihre Opfer forderten. Um halb neun Uhr waren wir 
im Besitz von fünf französischen Gräben. Wie ein Wirbel 
wind hatten unsere Tapferen sie genommen und die Fran 
zosen mit eisernem Besen hinausgefegt. Der Erfolg war 
unstreitig einer der wichtigsten im Bereich des 14. Armee 
korps. Von der Lorettohöhe hat man einen wunderbaren 
Einblick auf mindestens 30 Kilometer in das hinter der 
französischen Linie liegende Gelände. Böthune kann aus 
gezeichnet beobachtet werden. Vor allen Dingen aber 
haben wir jetzt eine für Gegenangriffe bedeutend günstigere 
Stellung als vordem. 
War dieses Ziel mit verhältnismäßig geringen Ver 
lusten verbunden, so forderte das Halten der neuen Stel 
lung mehr Opfer. Ein furchtbares französisches Artillerie- 
feuer setzte ein. Sämtliche Kaliber waren vertreten. Es 
war ein ohrenbetäubendes Krachen explodierender Geschosse 
auf dem Berge, der einer Feuersäule glich. Unaufhörlich 
kamen die furchtbaren Eisengrüße durch die Luft geheult, 
einem riesenhaften Maschinengewehrfeuer gleichend. Es 
hatte jeder das Gefühl, als befände er sich auf einem Vulkan. 
Eine erstickende Luft machte das Atmen fast zur Unmöglich 
keit, da die modernen Ekrasit- oder Melinitgeschosse die 
Atmosphäre mit ihren giftigen Gasen verpesten. Die fran 
zösischen Unterstände erwiesen sich als bombensicher, da sie 
etwa 7 Meter tief in die Erde eingegraben waren. Höchst 
wahrscheinlich sind sie auch von der in dieser Gegend an 
sässigen bergbautreibenden Bevölkerung mit großer Fach 
kenntnis angelegt worden. Als das Feuer nachließ, ver 
suchten die französischen Reserven nochmals mit starken 
Kräften eine Wiedereroberung der Höhe. Sie wurden 
jedoch rechtzeitig entdeckt, und der Vorstoß brach zusammen. 
Furchtbar müssen die Verluste der Franzosen bei diesen 
Gelegenheiten gewesen sein. Immer wieder versuchten sie 
den Ansturm, um jedesmal mit blutigen Köpfen kehrt 
zu machen. Der Abend nahte, die Nacht deckte mitleidig 
die Verluste zu. Auch am 4. und 5. wiederholten sich die 
Angriffe, das Endergebnis war gleich Null. 
Wie aber alle Unbequemlichkeiten einmal ein Ende 
nehmen, so auch der dreitägige Aufenthalt in den zer 
schossenen Schützengräben. Der Kompanieführer sammelte 
seine Leute, nachdem das ablösende Bataillon im Graben 
angelangt war. Frohen Mutes ging es nach Souchez und 
mit Gesang nach Lens, wo uns drei Tage Ruhe beschieden 
waren. In dieser Zeit konnte man seine Gedanken sam 
meln. Erst jetzt kam uns die volle Größe des Erfolges zur 
Erkenntnis. Gar mancher tapfere Feldgraue war freilich 
auf dem Felde der Ehre geblieben, viel deutsches Helden 
blut ist geflossen. Loretto, ein klangvolles Wort, eben 
bürtig dem Worte Spichern! 
Kriegsbilder aus der Türkei. 
(Hierzu die Bilder Seite 392 und 393.) 
Uber Thrazien, so entnehmen wir den Schilderungen eines 
nach der Türkei entsandten Spezialberichterstatters, da wo der 
Krieg zwei Jahre lang wütete, liegt es wie Vorahnung neuer 
Kämpfe. Die Strecke, die wir durchfahren, wird in geringen 
Abständen von Schildwachen bewacht. Rauhe und kräftige 
Gestalten sind es, die sich beim Vorüberfahren des Zuges in 
herbem militärischen Stolz kerzengerade neben ihren Bajo 
netten aufrichten. Die Jungtürken, die die Zügel in den 
Händen haben, zogen die alte Türkei in ein verfängliches 
Spiel, aber von soldatischem Geist und Organisation verstehen 
sie etwas. Die Regimenter, die sich in den Straßen Kon 
stantinopels zeigen, sind ja zweifellos die schönsten. Aber 
auch die anderen Truppen hier in Thrazien sowohl wie auch 
längs des Bosporus und ebenso auf der anderen Seite der 
Dardanellen bestehen durchweg aus kraftvollen und flinken 
Soldaten, die geradezu auffallend gut gekleidet sind, das 
beste Schuhwerk und moderne Waffen tragen. Ein wirk 
lich ausgezeichnetes- „Menschenmaterial", um das fürchter 
liche Wort zu gebrauchen. Sehr häufig sieht man zwischen 
zwei Bahnhöfen neuangelegte Militärstationen für rasche 
Truppenbewegungen, von denen sich neue Nebenlinien ab 
zweigen. Fast überall wird gearbeitet. Brückenbauten 
werden verstärkt, neue errichtet, lange Dämme aufge 
worfen. Wie weit auch diel Fahrt geht, überall klingt es 
metallisch von wuchtigen Hammerschlägen. Und alle die 
Arbeitertrupps werden angeleitet und befehligt von blau 
äugigen Menschen mit blonden Haaren; man merkt: Deutsch 
land ist es, das der alten Türkei die Glieder stärkt. Schon 
feit langem geht das Gerücht, daß es an Kohlen fehle. 
Bisher hat indessen niemand etwas davon gewahr werden 
können. Vielleicht entstand die Furcht nur, als in den ersten 
Märztagen die russische Flotte Herakles und Zonguldak am 
Schwarzen Meer — das türkische Kohlenbecken — beschoß. 
Gleich darauf aber verbreitete sich die Nachricht, daß die 
Regierung große Kohlenvorräte in Panderma aufgespeichert 
habe. Ob die Kunde nur zur Beruhigung der Bevölkerung 
dienen sollte oder Wahrheit war — Tatsache ist, daß sämt 
liche Betriebe im Gang sind. Woran es gewiß in absehbarer 
Zeit nicht fehlen wird, das sind Waffen und Munition. 
Deutschland und in kleinerem Umfang auch Österreich-Ungarn 
haben hier gewaltige Mengen zusammengebracht. Tau 
sende von Munitionskisten, ganze Züge von jedem nur 
möglichen Kriegsmaterial sind eingetroffen. Auch auf den 
toten Geleisen der thrazischen Stationen sehe ich lange Reihen 
geschlossener Wagen mit der weithin leuchtenden Auf 
schrift: Feuergefährlich! und wasserdichten Überzügen, die 
die Ziffern deutscher Fabriken tragen. Die Wagen kommen 
aus Dede-Agak und sind nach Konstantinopel bestimmt, 
wurden also über Bulgarien geleitet, das jetzt ein guter 
Nachbar ist. Erst kürzlich konnte man wieder in den 
Zeitungen lesen, mit welcher Herzlichkeit eine Abteilung 
bulgarischer Soldaten einen vorüberfahrenden türkischen 
Militärzug begrüßte und mit wie begeisterten Zurufen 
ihnen gedankt wurde. 
Ein sonniger, frühlingsheller Tag bricht über Konstanti 
nopel an, wo sich der Lenz in diesem Jahr ganz un 
verantwortlich spät eingestellt hat. Verlockend glänzt zwi 
schen den Zypressen- und villenbesäten Ufern der silbrige 
Bosporus in wundersam durchsichtiger Himmelsbläue. Der 
Aufforderung ist nicht zu widerstehen. Sehen wir also 
einmal zu, was auf der anderen Seite gegen Rußland 
vorgeht. 
An der Ealatabrücke liegt der Dampfer bereit. Eine 
Einschränkung des Kurses scheint nicht zu bestehen — nie 
mand hat etwas einzuwenden, als wir unsere Fahrkarten 
bis zum Endpunkt lösen. So können wir doch wenigstens 
sehen, wo sich der Teil der türkischen Flotte befindet, der 
den Eingang ins Schwarze Meer bewacht, können die hoch 
berühmte „Goeben" bewundern, über die seit ihrem russischen 
Abenteuer soviel gesprochen wird. Ihr Schwesterschiff, die 
„Breslau", die auch so manches schon erlebt hat, liegt im 
Goldenen Horn vor Anker, wo sie ein Hofstaat von türkischen 
Kanonenbooten, zahllosen vom Krieg hier zurückgehaltenen 
Segelschiffen und einigen großen deutschen Dampfern um 
gibt, die sich noch rechtzeitig genug hierher flüchten konnten. 
Die Mannschaften der beiden deutschen Kreuzer, die die ersten 
Kanonenschüsse der Türkei abfeuerten, ja noch vor der 
Kriegserklärung Odessa, Noworossiiks und die russischen 
Kreuzer im Schwarzen Meer beschossen (siehe Seite 27), sind 
im Handumdrehen türkisch geworden. Wie ihre Schiffe 
statt der deutschen Farben jetzt den türkischen Halbmond 
und den weißen Stern im roten Felde tragen, so hat 
sich die Mannschaft den Fes statt der Matrosenmütze auf 
gesetzt. Der Admiral Suchon von der „Goeben" befehligt 
die gesamte türkische Streitmacht zur See. 
Vom europäischen Ufer gleiten wir auf sanften Wogen 
zum asiatischen Gestade hinüber, an den weißen Wundern 
des kaiserlichen Palastes von Ceragan und den berühmten 
Sommersitzen der englischen und amerikanischen Fremden 
kolonie vorüber, und gelangen durch die berühmte Meer 
enge zwischen den in Ruinen liegenden alten Forts von 
Rumeli Hifsar und Anadoli Hissar nach Stenia und Terapia, 
das diesmal wohl vergebens des regen sommerlichen 
Treibens warten wird, dem es seine Beliebtheit verdankt. 
Mit uns machen mehrere Offiziere und zahlreiche Unter 
offiziere die Fahrt mit, um sich in die zu Kasernen um 
gebauten ehemaligen Paläste, Wirtshäuser und Moscheen 
zu begeben. Auch in Konstantinopel sind die Soldaten 
vielfach in Moscheen einquartiert. Sehenswürdigkeiten 
kann man jetzt nicht mehr bewundern: die Moscheen, die 
Gärten des Serails, der Park der sieben Türme sind jetzt 
Wohnstätten der Soldaten. Fast vor jedem größeren Ge 
bäude steht ein Soldat, der einem bedeutet: Eintritt ver 
boten! Hier am Bosporus ist es nicht anders. Dazu ge 
nießt man noch das Schauspiel in langer Reihe aufgestellter 
Kanonen, zu Haufen gestapelten Kriegsmaterials und 
ganzer Artillerieparks. In Stenia liegen einige türkische
	        
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