Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

370 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
eine Rolle. Der von uns bereits geschilderte Besuch dreier 
Zeppeline über Calais und die Belegung der Stadt mit 
Bomben war nur die Antwort auf den am 17. März erfolgten 
Besuch französischer Flieger über Schlettstadt, wo sie Bom 
ben abwarfen, von denen nur eine wirksam wurde, indem 
sie in das Lehrerinnenseminar einschlug, zwei Kinder tötete 
und zehn andere schwer verletzte. Ebenfalls der Vergeltung 
für den Angriff auf Schlettstadt diente ein Fliegerbesuch, 
der in der Nacht vom 20. auf den 21. März der Festung 
Paris und dem Eisenbahnknotenpunkte Compiegne ab 
gestattet wurde. Dieser Angriff, bei dem einige schwere 
Bomben abgeworfen wurden, versetzte die Pariser Be 
völkerung in um so größere Aufregung, als er völlig über 
raschend kam, zumal die Regierung nicht den Mut gehabt 
hatte, den wahren Grund des Luftschiffangriffes auf Calais 
bekanntzugeben, daß es sich nämlich nur um eine Ver 
geltungsmaßnahme für den französischen Luftangriff auf 
die offene Stadt Schlettstadt handelte. 
Um 3 /41 Uhr nachts hatten die Wachmannschaften in 
Compiogne das Herannahen zweier von Norden herkommen 
den Zeppeline entdeckt und unverzüglich sämtliche Außenforts 
und Befestigungswerke benachrichtigt. Zugleich wurde die 
gesamte Pariser Polizei und Feuerwehr alarmiert, die 
sich alsbald mit allen verfügbaren Fahrzeugen, Rettungs 
wagen, Spritzen unter Alarmsignalen in Bewegung setzte, 
während die Polizeibeamten überall dafür sorgten, daß 
die Menschen sich schleunigst von den Straßen zurückzogen und 
ebenso wie die schon in den Häusern Befindlichen nach Mög 
lichkeit tiefer gelegene Stockwerke und Keller aufsuchten. 
Es war eine wolkenlose, mondhelle Nacht. Von den alar 
mierten Außenforts, dem Mont Valerien, dem Eiffelturm 
und vielen anderen Stellen der Stadt aus wurde der Himmel 
mit mächtigen Scheinwerfern abgesucht. Außerdem pa 
trouillierten Zahlreiche mit Geschützen bewaffnete Flug 
zeuge den Himmel ab. Von den herannahenden Luftriesen 
flog der eine in ungefähr 800 Meter Höhe, der andere, 
größere, etwa 1500 Meter hoch. Dieser wurde beschossen, 
doch ohne sichtlichen Erfolg. Besonders über Argenteuil 
kam es zwischen einem der Zeppeline und mehreren ge 
panzerten Aeroplanen zu einem aufregenden Zweikampfe. 
Die ersten Bomben, die einen ungeheuren Gebäudeschaden 
und schwere Brände verursachten, fielen in Batignolles, 
in der Rue des Dames, der Passage Dösiroe und der Rue 
Dulong nieder. Von da nahmen die Luftschiffe ihren Weg 
über St.-Cloud und den Mont Valerien. Dabei wurden 
mehrere Bomben, die nach einer Pariser Zeitung zwei 
Fuß lang waren und auch Benzin enthalten hatten, und 
die außer einer unbeschreiblichen Panik auch sehr großen 
Schaden an Gebäulichkeiten und Menschenleben anrichteten, 
auf die Rue Milord, Rue Brisson, Rue Boccard und die 
Rue Puis geworfen. Die gegen Uhr über Puteaur und 
Suresnes von den beiden Zeppelinen niedergeworfenen 
Brandbomben sollen dort besonders viel Unheil angerichtet 
haben. Nähere Einzelheiten hierüber fehlen jedoch noch. 
Außer in der Rue Ulbach in Coubevoir fielen dort noch zwei 
Bomben auf eine beleuchtete Fabrik, die vollständig ein 
geäschert wurde; mehrere Arbeiter wurden erschlagen. 
Auch in Ct.-Germain-en-Laye, Argenteuil, Adomont, Co- 
lombe, Levallois, Peret, Place Corneille und in Asnisres 
wurde durch die Zeppelinbomben viel Materialschaden 
angerichtet und Menschenleben vernichtet. Auf die' letzt 
genannten Orte wurden sieben Bomben geworfen. Um 
Vs5 Uhr waren beide Zeppeline, deren Erscheinen überall 
unbeschreibliche Panik verursacht hatte, aus dem Gesichts 
kreis verschwunden. 
Am 26. Mürz erschienen über Straßburg, Bapaume 
und Metz französische Flieger und warfen Bomben ab, 
wurden aber durch Artilleriefeuer vertrieben. Auch die 
Stadt Freiburg wurde mehrere Male von Bombenwürfen 
heimgesucht, und jedesmal wurden Zivilpersonen, meistens 
Kinder, verletzt. Im April setzten die französischen Flieger 
ihre Tätigkeit gegen offene friedliche Städte fort. Am 
18. April gelang es, den französischen Flieger Garros zur 
Landung zu zwingen und gefangen zu nehmen. Am 20. 
erschienen wieder feindliche Flieger über dem Städtchen 
Kandern und über Lörrach. In Kandern fiel eine Bombe 
auf eine Schule. Hierbei wurde ein Kind schwer, mehrere 
leichter verletzt, ein anderes getötet. Ähnlich war es in 
Lörrach. 
Bemerkenswert ist das Erscheinen eines französischen 
Luftschiffes über Straßburg in der Nacht zum 17. April. 
Es war das erstemal in diesem Kriege, daß sich ein fran 
zösisches Luftschiff bemerkbar machte; vorher hatten die 
Franzosen nur mit Flugzeugen gearbeitet. Erfolg hatte 
auch dieses Luftschiff nicht; es wurden nur Fensterscheiben 
zertrümmert und einige Zivilpersonen verletzt. Seitdem 
hat sich das Luftschiff nicht mehr sehen lassen. 
* * 
* 
Wenden wir uns jetzt wieder dem Krieg zur See zu, 
so sehen wir, daß die Unterseebootgefahr immer schwerer 
auf England lastete. Es sah sich nun aus einmal aus der 
Rolle einer seebeherrschenden Macht verdrängt und zu 
einer Untätigkeit verurteilt, an die es in seinem Dünkel 
gewiß nie gedacht hatte. Es gab so gut wie gar kein Mittel, 
um sich dieser „Mäuse" zu erwehren, die mit geradezu un 
glaublicher Kühnheit sich überall heranwagten und selbst 
eine vielfach überlegene Seestreitmacht nicht fürchteten. Als 
Beispiel für die Kühnheit unserer Unterseeboote sei hier 
angeführt, wie ein solches Boot sich selbst von zwei Torpedo 
jägern nicht abhalten ließ, sein Ziel zu verfolgen, um den 
aufs Korn genommenen Dampfer 311 vernichten. Unterm 
30. März wurde nämlich berichtet, den Torpedojägern, die 
die Küste der Scillyinseln abpatrouillierten, sei die An 
wesenheit eines deutschen Unterseebootes gemeldet worden. 
Sie fuhren mit Volldampf dorthin und bemerkten bei 
ihrer Ankunft tatsächlich ein deutsches O-Boot, das im Be 
griff stand, einen englischen Dreimaster zu versenken. Die 
Torpedojäger eröffneten das Feuer, ohne jedoch zu treffen. 
Das D-Boot tauchte unter, und schon glaubten die Eng 
länder es vertrieben zu haben, als es etwa zwei Seemeilen 
weiter ostwärts wieder auftauchte, einen Torpedo zwi 
schen den beiden Torpedojägern hindurchfeuerte und den 
englischen Dreimaster zum Sinken brachte. Während einer 
der Torpedojäger sich mit der Rettung der Mannschaft 
des Dreimasters befaßte, nahm der andere die Verfolgung 
des Li-Bootes auf, mußte sie jedoch nach kurzer Zeit als 
ergebnislos einstellen. 
Das Gespenst der Hungersnot, das England uns zu 
gedacht hatte, schien sich immer mehr den britischen Gestaden 
zu nähern. England glich weit mehr einer belagerten Festung 
als wir. Unerfahrene Beurteiler des Seekrieges in Eng 
land hatten gemeint, daß ein Vorgehen mit Unterseebooten 
nur dann wirtschaftlich wirksam werden würde, wenn, ähn 
lich wie früher im Falle einer tatsächlichen Blockade, jede 
Verbindung des Jnselreiches mit anderen Ländern abge 
schnitten werden könnte. Sie hatten, um sich über die 
bevorstehenden Unannehmlichkeiten hinwegzutäuschen, nur 
den äußersten Fall im Auge gehabt. Der Unterseebootkrieg 
wirkte aber, obwohl der äußerste Fall nicht eintrat, auf die 
englische Volkswirtschaft in höchstem Maße schädigend. Ein 
mal stellte sich dieser Krieg als ein Mittel dar, England in 
dem Bezüge der für seine Ernährung notwendigen Nah 
rungsmittel zu behindern; zweitens aber —und dies darf 
nicht übersehen werden — wirkte der Unterseebootkrieg 
mittelbar dahin, diejenigen Vorräte an Getreide, die für die 
Folge nach England kamen und gleichzeitig alle übrigen 
Rohstoffe, auf deren Einfuhr das Jnselreich angewiesen 
war, so zu verteuern, daß England von den größten wirt 
schaftlichen Schwierigkeiten bedroht wurde. Der Untersee 
bootkrieg wirkte also zum Schaden Englands nicht nur auf 
die Zufuhr, sondern auch auf die Preisbildung ein. 
Man ist von Friedenszeiten her gewohnt gewesen, Eng 
land als den „Weltmarkt" von Getreide anzusehen. Der 
englische Weizenpreis galt als der niedrigste, der sich im 
Wettbewerb der ausführenden Getreideländer herausbildete. 
Wenn irgend ein Land des Zollschutzes seine eigenen Preise 
mit denen des „freien Marktes" verglich, so wurde der 
englische Preis als Maßstab herangezogen. Welche Wir 
kung aber der Unterseekrieg auf die Weizenpreise hatte, 
zeigt eine Meldung, nach der in der zweiten Hälfte des 
März 1915 der Weizen in England 56 sh gegen 31 sh 
im Vorjahre kostete, während der Preis in Chikago 
46 »h 6 d gegen 31 sh 1 d im Vorjahre, und in Winnipeg 
48 sh 4 ä gegen 31 sh IV2 d im Vorjahre war. Vergleichs 
weise sinkende Preise in Amerika, steigende Preise in Eng 
land! England, dessen Weizenpreise für das heimische Er 
zeugnis (der bessere amerikanische Weizen kostet in England 
stets wesentlich mehr) denjenigen Nordamerikas gleichkamen, 
erlebte das bisher unbekannte Schauspiel, daß ihm das
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.