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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
der tapfer verteidigten Befestigungen zusammen. Da
nach dem Ausfall auch die äußerste Beschränkung in der
Verpflegeration nur mehr einen dreitägigen Widerstand
gestattete, hatte der Festungskommandant mittlerweile
den Befehl erhalten, nach Ablauf dieser Frist und nach
Vernichtung des Kriegsmaterials den Platz dem Feinde zu
überlassen. Wie ein Flieger aus der Festung meldete,
gelang es tatsächlich, die Forts samt Geschützen, Munition
und befestigten Anlagen rechtzeitig zu zerstören. Dem
opfermütigen Ausharren und den letzten Kämpfen der
Besatzung gebührt nicht minderes Lob als ihrer Tapfer
keit in den früheren Stürmen und Gefechten. Diese
Anerkennung wird auch der Feind den Helden von Prze-
mysl nicht versagen.
Der Fall der Festung, mit dem die Heeresleitung schon
seit langer Zeit rechnen mußte, hat keinen Einfluß auf die
Lage im großen.
Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes:
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
Welch ein Heldentum sich unter dieser kurzen amtlichen
Meldung verbirgt, darüber berichtete der Rittmeister Georg
hatte den Befehl ausgegeben, bis fünf Uhr früh die Werke
zu halten. Um fünf Uhr verließ die Infanterie dieselben
und zog sich in die Intervalle zurück. Als dann die
Sprengungen begonnen wurden, stellte sich Mangel an
Zündschnüren heraus. Es mußten daher alle Zündschnüre so
knapp bemessen werden, daß die Sprengungen, die für einzelne
Gegenstände bis zu 1500 Kilogramm Ekrasit erforderten,
mit Lebensgefahr verbunden waren. Sappeure haben
sich freiwillig gemeldet, der Festung diesen letzten schweren
Dienst zu tun. Als die Forts in Rauchwolken aufgingen,
schwebte ich über der Festung. Es war halb sechs Uhr. Die
Sonne brach gerade durch, und unter mir flog in die Luft,
was an Przemysl Wehr und Waffe gewesen. Zuerst
wurde das Fort 11 a gesprengt. Als der Feind um fünf
Uhr morgens die Sprengwolke sah, stellte er das Artillerie
feuer in dieser Richtung ein und versuchte mit seiner schweren
Artillerie ein Werk an. der Südwestfront zu Fall zu bringen.
Auch ein Jnfanterieangriff wurde hier eingeleitet, doch ein
paar Minuten später ging auch dieses Werk in Rauch und
Trümmer auf. All dies konnte ich vom Flugzeug aus be
obachten. Rach den Sprengungen am Gürtel wurden die
in das Stadtinnere gebrachten 30,5-em-Mörser zerstört; um
Gesprengte Brücke in den Karpathen, von der nur das darüber führende Eisenbahngleise hängen geblieben ist.
Lehmann vom 4. Ulanenregiment, der mit Leutnant
Stanger als letzter Flieger Przemysl verlassen konnte,
folgendes:
„Am 18. März waren bereits die letzten Lebensmittel-
vorrüte ausgegeben. Da kam der Befehl, den letzten
Durchbruch zu versuchen. Er wurde in der Nacht vom
18. auf den 19. begonnen und scheiterte um zehn Uhr vor
mittags südöstlich Medyka. Bei diesem Ausfall, der an
die durch Hunger und Krankheit geschwächten Menschen
die äußersten Anforderungen stellte, war die Haltung der
Truppen unvergleichlich. In den letzten Tagen bargen die
Spitäler Tausende von Kranken. Die Entbehrungen und
Anstrengungen forderten täglich an 200 Opfer, und so
war es kein Wunder, daß die Soldaten bei dem letzten
verzweifelten Versuch zu den 7 Kilometern ebensoviel
Stunden brauchten. Die Leute gingen dennoch Lieder
singend in den letzten Kampf. Die Obersten Szatmary
und Kralicek marschierten mit Spazierstöcken, und einer
rief seinen Leuten zu: >Alle mit mir! Keiner darf vor mich!'
Mit drei Maschinengewehrschüssen, die ihn in den Mund
trafen, ging Kralicek weiter vor und geriet schwer ver
wundet in Gefangenschaft. Bis zum letzten Augenblick war
die Manneszucht musterhaft. Die Landstürmer, die vor Er
schöpfung im Straßengraben lagen, richteten sich auf,
wenn Offiziere vorübergingen, und leisteten die Ehren
bezeigung. Die Soldaten waren verständigt worden, daß
die Festung nicht mehr zu halten sei, und viele versuchten
noch im letzten Augenblick mit persönlichem Heldenmut,
etwas Außergewöhnliches zu tun. General v. Kusmanek
Unglück zu vermeiden, hatte man sie in Gruben gebettet und
brachte sie dort zur Erplosion. Die Zivilbevölkerung wurde
noch nachts von den bevorstehenden Sprengungen ver
ständigt und aus den gefährdeten Gebäuden nach dem
Tatarenhügel gebracht, dem höchsten Punkt der unmittel
baren Umgebung, von wo aus sie in die Hölle ringsum
schauten. Bis 400 Meter stiegen Feuersäulen hoch, und
in die Detonationen der Sprengungen mischten sich die
russischen Kanonen und knatterte das Maschinengewehr-
feuer. Bald war jedes Werk ein Trümmerhaufen. General
v. Kusmanek hatte befohlen, es solle überall ein Offizier mit
der weißen Fahne den heranrückenden Feind verständigen,
daß der Kommandant wegen Nahrungsmangels die Festung
nicht länger halten könne und das Schicksal der Besatzung
der Ritterlichkeit des Gegners überlasse. Im Augenblick
der Übergabe standen russische Gefangene, etwa 2000,
ausgerichtet am Schloßberg. Unter ihnen waren ein
Regimentsarzt und fünf Offiziere, von denen man zweien
wegen besonderer Tapferkeit gestattet hatte, die Säbel
zu behalten. Nach genauer Aufzeichnung der Nummern
und Serien wurden 8 Millionen Papiergeld verbrannt;
mehr zu vernichten war technisch unmöglich. —- Während die
Besatzung in den letzten Stunden die Forts mit alten
Geschützen vom Typ 1861 verteidigte, weil alle anderen zur
Vernichtung in die Stadt gebracht worden waren, schossen die
Russen die zwei letzten Tage mit modernsten Haubitzen aller
Kaliber bis zu 18 Zentimeter. Die Granaten fielen inmitten
der Zivilbevölkerung auf den Straßen nieder, so daß die
Sanitätsmannschaften fortwährend Arbeit hatten."