Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. 
Interesse gelesen wurde. Das Flugblatt ging von der 
„Hindustan-Gadar-Partei" aus, die ihren Sitz in San 
Franzisko hat. Es ist interessant und bedeutend genug, um 
seinem Gedankengang nach hier wiedergegeben zu werden. 
Die Schrift führt den Titel „Die Bilanz der britischen 
Herrschaft in Indien" und stellt in 14 Punkten „einige 
Haupttatsachen" zusammen. Zunächst wird darauf hin 
gewiesen, daß die Engländer jedes Jahr 60 Crores Rupien 
oder 167 Millionen Dollar aus Indien herauspressen und 
nach England bringen,' auf Grund hiervon seien die Inder 
so arm geworden, daß das durchschnittliche Tageseinkommen 
pro Kopf nur noch 5 Pices oder 2^ Cents (also 10 Pfennig) 
betrage. Die Grundsteuer belaufe sich auf mehr als 65 vom 
Hundert. Es folgte eine schlagende Gegenüberstellung der 
Ausgabeposten für Erziehung, Gesundheitswesen und Heer 
in Indien. Für die Erziehung von 240 Millionen Indern 
werden jährlich TU Crores Rupien oder 25 Millionen Dollar 
ausgegeben. Auf das Gesundheitswesen werden nur 2 Lro- 
res (wenig mehr als 6 Millionen Dollar) verwandt, aber 
das Heer erfordert 29^ Crores, was der Summe von 
97 Millionen Dollar gleichkommt. Die nächsten Punkte 
verfolgen das Versagen Englands auf dem Gebiete der 
indischen Gesundheitspflege des weiteren. Unter britischer 
Herrschaft, so heißt es, haben sich die Hungersnöte ständig 
vermehrt, und in den letzten 10 Jahren sind 20 Millionen 
Männer, Frauen und Kinder in Indien Hungers gestorben. 
Außerdem hat in den letzten 16 Jahren die Pest 8 Mil 
lionen Todesfälle verursacht, und es hat sich während der 
letzten 30 Jahre das Verhältnis der Todesfälle von 24 
auf 34 pro Tausend erhöht. Hiernach geht das Flugblatt 
zu einigen Angaben rein politischer Natur über. Es weist 
darauf hin, daß von englischer Seite Mittel angewandt 
werden, um in den Eingeborenenstaaten Uneinigkeit und 
Unordnung hervorzurufen und auf diese Weise den eng 
lischen Einfluß daselbst zu stärken. Ferner wird hervor 
gehoben, daß Engländer, wenn sie Hindu töten, Hindu 
frauen beleidigen oder ihre Ehre antasten, dafür keine Strafe 
zu gewärtigen haben. Beachtenswert sind die Punkte, 
welche die Gemeinsamkeit der Interessen der Hindu und 
der Mohammedaner hervorheben. Es heißt da, daß von 
dem Gelde, das den Hindu und den Mohammedanern 
abgenommen wird, christliche Geistliche, nämlich Missionare, 
unterstützt werden, und besonders wird betont, daß die 
Engländer immer bemüht seien, zwischen den beiden großen 
Bevölkerungselementen Indiens Feindschaft zu säen. Indiens 
Gewerbe und Industrie seien zugunsten Englands ver 
nichtet worden. Mit Hilfe indischen Geldes und unter 
Aufopferung des Lebens zahlreicher Hindu habe England 
in einer Reihe von fremden Staaten, China, Afghanistan, 
Birma. Ägypten und Persien, Eroberungen gemacht. 
Nach allen diesen Hinweisen und Anführungen geht das 
Flugblatt zu den Schlußfolgerungen über. Die Bevölkerung 
von Indien, so heißt es, betrage in den Eingeborenen 
staaten 70 Millionen, im britischen Gebiete 240 Millionen. 
Ihnen wird die britische Militärmacht in Indien gegen 
übergestellt: 79 614 englische Offiziere und Soldaten und 
38948 Freiwillige. Auf diese Voraussetzungen gründet sich 
dann die Aufforderung der Flugschrift: „Es sind 57 Jahre 
seit dem Aufstande von 1857 verflossen; jetzt ist ein zweiter 
Aufstand dringend nötig." Also ein Aufruf zur offenen 
Erhebung gegen England! 
Es ist überflüssig, all die zahlreichen englischen Nachrichten 
wiederzugeben, die sich bemühen, die Aufstandsbewegung 
in Indien als harmlos darzustellen. Selbstverständlich 
spielen sich die Engländer stets als die Herren der Lage 
auf; so geben sie sich auch den Anschein, die indische Gärung 
nur als das Erzeugnis weniger verschrobener Köpfe an 
zusehen. Ein ganz anderes Bild dagegen erhielt man durch 
einen zusammenfassenden Bericht, den die „Kölnische 
Zeitung" aus Weltevreden in Java erhielt. Dieser Bericht 
lautete: 
„Die Soldaten des 5. indischen Regiments hatten schon 
einige Wochen vorher durchaus kein Geheimnis daraus 
gemacht, daß sie losschlagen würden, sobald man sie an die 
Front bringen würde. Sie wollten keinen Aufstand gegen 
England anzetteln, würden aber als Mohammedaner unter 
keinen Umständen gegen die Bundesgenossen des ,Großen 
Herrn' in Konstantinopel kämpfen. Auch in Rangun und 
Kalkutta kam es aus demselben Anlaß zu Meutereien. 
Erzählungen indischer Soldaten zufolge sind alle Glaubens 
genossen in Indien von den gleichen Gefühlen beseelt. Die 
Engländer waren so unvorsichtig, dieser in der mohamme 
danischen Bevölkerung herrschenden Stimmung, die amt 
lich stets abgeleugnet worden war, auch in der Praris nicht 
Rechnung zu tragen, und haben es sich daher selbst zuzu 
schreiben, daß die sonst so friedlichen Inder die Waffen 
gegen die Regierung kehrten. Am 17. Februar sollte das 
5. indische Regiment nach Europa abgehen. Erst am 
Morgen vorher wurde dies der Mannschaft mitgeteilt. Zu 
ihrem Ersatz waren schon 100 Mann eingeborene Truppen 
des Sultans von Johore in Singapore eingetroffen. Als 
der Befehl zur Abreise nach Europa zur Gewißheit wurde, 
begannen die indischen Truppen — zusammen 1400 Mann — 
sofort zu meutern, drangen in den Offizierklub ein und 
erschossen dort 27 Offiziere. Andere Abteilungen durch 
zogen die Stadt und schossen jeden Europäer nieder, der 
ihnen entgegentrat. Durch einen Zufall wurde auch eine 
englische Dame getötet; andere Frauen ließ man vorbei. 
Im deutschen Internierungslager erschienen um vier Uhr 
nachmittags 20 Mann. 17 Deutsche spielten auf einer Wiese 
vor dem Lager gerade Fußball, von 15 Mann Freiwilligen 
und einem Offizier bewacht. Plötzlich sahen sie die heran 
schleichenden Inder, die ihnen durch Handbewegungen be 
deuteten, sich niederzulegen. Dann begann ein mörderisches 
Feuer auf die Engländer, die in wenigen Sekunden fielen, 
ohne einen Schuß abgegeben zu haben. Hierauf unter 
handelten die Inder mit den Deutschen wegen Teilnahme 
an dem Aufstande, die aber mit Rücksicht auf das den 
Engländern gegebene Ehrenwort abgelehnt wurde. Es 
folgten noch weitere Ausschreitungen. Alle Schichten der
	        
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