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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Blick über die Maas vom Camp des Romains.
schließen. Gegen Abend wurde ein Teil der Polangen-
Straße nach Zivilpersonen abgesucht. Männer, Frauen,
Greise und Kinder, selbst Schwerkranke und Säuglinge
wurden aus den Häusern getrieben, um dann planlos durch
die Stadt geführt zu werden, bis man schließlich zur Ka
serne gelangte, wo alle wieder freigelassen wurden. Ver
mutlich sollten die Gefangenen den Russen als Deckung
gegen die anrückenden Deutschen dienen. Ein furchtbares
Eewehrfeuer setzte abends gegen sieben Uhr ein. Die
Hauptmasse der Russen hatte schon am Morgen die Kaserne
verlassen, so daß sich wahrscheinlich nicht allzu viele des
Russengesindels in der Stadt befanden.
In der Nacht war es still. Am Montag morgen konnte
man das Ergebnis des Gefechts sehen: eine Anzahl toter
Russen lag in der Libauer Straße und ebenso am Steintor.
Ein gräßlicher Anblick! Mit wachsbleichen Gesichtern und
gebrochenen Augen lagen sie da. Zwei hatten gehofft, in
einem ausgeschlagenen Schaufenster Sicherheit zu finden.
Doch sie waren von deutschen Kugeln getroffen worden
und lagen zusammengekauert an ihrer Zufluchtsstätte. (Diese
Szene stellt unser Bild Seite 281 unten dar.) Auch zwei
deutsche Soldaten hatten dabei den Tod gefunden. Draußen
neben der Chaussee nach Althof lagen außer vielen Russen
leichen auch elf erschossene Zivilpersonen, die aus den letzten
in jener Stadtgegend gelegenen Häusern dorthin geschleppt
worden waren. Jammer und Elend überall.
Es sind der Eindrücke so viele, die man während der
dreitägigen Russenzeit und nach der Befteiung in unserer
Stadt empfangen, hat, daß man die ganze Furchtbarkeit
des Krieges aus eigener Anschauung ermessen kann. Ekel
und Grauen ergreifen einen bei der Erinnerung der ab
scheulichen Schandtaten, die man mit eigenen Augen hat
ansehen müssen. So furchtbar haben diese Greueltaten
auf einzelne Personen gewirkt, daß sie aus Verzweiflung
ihrem Leben selbst ein Ende gemacht haben oder aus Todes
angst gestorben sind. Opfer des Krieges, des furchtbarsten
Krieges!"
Rach der Vertreibung der Russen verfügte Eeneral-
feldmarschall v. Hindenburg eine Reihe von Gegenmaß
nahmen: Die Städte des von uns besetzten russischen Ge
biets haben zur Strafe größere Summen als Entschädigung
zu zahlen. Für jedes auf deutschem Boden niedergebrannte
Dorf oder Gut sollen drei Dörfer oder Güter des von uns
besetzten russischen Gebiets den Flammen übergeben werden.
Jeder Brandschaden in Memel soll mit der Riederbrennung
der russischen Regierungsgebäude in Suwalki und den
anderen in unseren Händen befindlichen Eouvernements-
hauptorten beantwortet werden. In der Stadt Suwalki
wird die Kontribution auf 100 000 Mark erhöht und der
Grund der Erhöhung dem Magistrat mitgeteilt. Um die
Durchführung der Kontribution zu sichern, werden zehn
Geiseln aus angesehenen Kreisen in Haft genommen.
Der Eindruck auf die Bevölkerung von Suwalki war
schon ein paar Stunden nach dem Befehl festzustellen. Auf
Ansuchen der Bürgerschaft wurde freigestellt, einen Teil
der Summe in Getreide oder Mehl, statt in bar beizu
bringen. Deutsche Flieger bekamen gleichzeitig den Auf
trag, die Festungen Kowno und Erodno mit Bomben zu
belegen, und entledigten sich am 20. und 21. März trotz
ungünstigen Flugwetters erfolgreich ihrer Aufgabe. Der
Marktplatz von Erodno wurde von sechs Bomben getroffen,
deren starke Wirkung deutlich festgestellt werden konnte.
Während die Russen in Memel den Hunnen gleich
hausten, waren am 18. März vor Tauroggen, das nur von
vierzehn deutschen Landsturmkompanien besetzt war, die
Hauptstreitkräfte des Generals Apuchtin erschienen. Gegen
die acht russischen Bataillone der durch Reichswehr ver
stärkten Jnfanterieregimenter Nr. 269 und 270 mit rund
20 Geschützen hatte der deutsche Landsturm einen schweren
Stand. Als seine beiden Flanken umfaßt waren, mutzte
er, um der Gefahr des Abgeschnittenwerdens zu entgehen,
sich auf Laugszargen durchschlagen. Auf dem linken Flügel
war dabei die Landsturmkompanie des Grafen Hagen in
eine verzweifelte Lage geraten. Obwohl von allen Seiten
von den Russen umstellt, durchbrach sie chen Ring und nahm
dabei noch 50 Russen gefangen. Am 23. März stand der
Landsturm mit dem rechten Flügel an den Jurafluß an
gelehnt bei Ablenken und in der Gegend nordwestlich davon,
zur Deckung der Straße nach Tilsit. An diesem Tage ge
lang es dem Feinde, sich in den Besitz von Ablenken zu
setzen.
Die Gefahr, daß der deutsche rechte Flügel völlig ein
gedrückt und der Landsturm von der Tilsiter Straße nord
wärts abgedrängt würde, lag sehr nahe. Da trafen aber
auch schon die ersten deutschen Verstärkungen ein. Es
war ein Ersatzbataillon aus Stettin, geführt von Major
v. der Horst, das nach dreißigstündiger Bahnfahrt in
Tilsit ankam und sich nach kurzer Rast alsbald nach der
gefährdeten Stelle in Bewegung setzte. Rach einem Fuß
marsch von 24 Kilometern näherte sich das Bataillon
gegen Abend Ablenken und warf die Russen in einem
glänzenden Nachtangriff nach Norden zurück. Die Krisis
war dadurch auf deutscher Seite überwunden, und als in
den nächsten Tagen weitere Verstärkungen eingetroffen
waren, konnte General v. Pappritz, der die Maßnahmen
leitete, zum Angriff übergehen. Das inzwischen ein
getretene Tauwetter erschwerte die Bewegungen auf den
Nebenwegen aufs äußerste. Hier stand das Wasser derart
hoch, daß auf einem solchen Wege die Geschütze stecken
blieben und die Infanterie bis zum Knie, teilweise selbst
bis zum Leib im Wasser watete; ein Artilleriepferd ertrank
buchstäblich auf dem Wege, der in einen wahren Sumpf
verwandelt war. Als die Russen die gegen sie eingeleitete
Umfassung erkannten, gingen sie hinter die Jura auf
Tauroggen zurück. Unsere Truppen, die zum Teil die
Spuren der von den Russen in Memel verübten Greuel