Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.- 
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brenuereien keineswegs nur von strategischen Erwägungen 
leiten. Sie brechen eben ein, wo es etwas zu plündern 
gibt, und so mußte auch Memel für wenige Tage unter 
russischen Horden leiden. 
Donnerstag, den 18. März, rückten die Russen, gleich 
zeitig von Norden und Osten kommend, in mehreren Ko 
lonnen gegen Memel vor. Es waren 7 Reichswehr 
bataillone mit 6—8 älteren Geschützen, einige Reichswehr 
eskadronen, 2 Kompanien Marineinfanterie, 1 Bataillon 
Reserve (Regiment Nr. 270) und die Erenzwachtruppen 
aus Riga und Libau, im ganzen etwa 6000 Mann. Der 
schwache deutsche Landsturm mußte von der Grenze auf 
Memel und schließlich auch durch die Stadt über das Haff 
und die Nehrung zurückgehen. Die Russen brannten an den 
Vormarschstraßen von Nimmersatt und Laugallen zahlreiche 
Gebäude, vor allem Scheunen nieder. Im ganzen wurden 
16 Ortschaften schwer geschädigt. Viele Einwohner, auch 
Frauen und Kinder, wurden nach Rußland geschleppt, eine 
Anzahl von ihnen erschlagen. Am Abend des 18. zogen 
die Russen in Memel ein. 
Am Freitag abend erschien der russische Kommandant im 
Rathause, forderte den Oberbürgermeister und später noch drei 
weitere Bewohner als Geiseln und ließ sie in die Kasernen 
bringen, die von den Russen bereits in einen unglaublichen 
Zustand versetzt worden waren. In den Straßen der Stadt 
trieben sich plündernde Trupps russischer Soldaten umher, 
nahmen Verhaftungen vor, drangen in die Häuser, zer 
schlugen Ladenscheiben, plünderten und raubten Lebens 
mittelgeschäfte, zwei Uhrmacherläden und einen Juwelier 
laden vollständig aus. Der russische Kommandant, dem 
das wüste Treiben seiner Leute anscheinend selbst un 
geheuerlich schien, suchte Einhalt zu gebieten, indem er die 
Plünderertruppen in die Kasernen zurückschicken und diese 
sogar schließen ließ. 
Am Samstag vormittag war die Stadt selbst bis auf 
Patrouillen frei von russischen Soldaten. Am Samstag 
abend zogen die Russen ab, nur einzelne versprengte Trupps 
blieben in Memel zurück. Diese wollten bereits ihre Ge 
wehre auf dem Rathause abliefern, als am Sonntag nach- 
mittag von neuem stärkere russische Trupps von Norden 
her in die Stadt einrückten. Sie stießen in Memel bereits 
auf deutsche Patrouillen, denen stärkere deutsche Truppen 
von Süden her folgten. Ein energischer Angriff, bei dem 
sich das Bataillon Nußbaum vom Ersatzregiment Königs 
berg besonders auszeichnete, warf die Russen hinaus. Bei 
dem heftigen Straßenkampf verloren die Russen etwa 
150 Tote. Beim Zurückgehen riß der Gegner die nach 
kommenden Verstärkungen mit in die Flucht. Die Geiseln 
waren beim Herannahen unserer Truppen unter Bedeckung 
nordwärts abgefahren. Bei Königswäldchen blieb der 
Wagen stecken. Die Bedeckungsmannschaften flüchteten. 
Die verhafteten Bürger suchten nach Memel zurückzukom 
men. Die Russen flohen, ohne Widerstand zu leisten, und 
wurden am 22. und 23. energisch verfolgt. Besonders beim 
Durchmarsch durch Polangen erlitten sie durch das Geschütz- 
feuer unserer Kreuzer, die sich an der Verfolgung beteiligten, 
schwere Verluste. Es fielen rund 510 Gefangene, 3 Ge 
schütze, 3 Maschinengewehre und Munitionswagen in unsere 
Hände. Die Russen hatten etwa 3000 Bewohner des Kreises 
Memel mitgeschleppt, die wir ihnen aber auf der Verfol 
gung wieder abnahmen. Bei den deutschen Truppen, die 
Memel säuberten, befand sich der jüngste Sohn unseres 
Kaisers, Prinz Joachim von Preußen. Er wurde überall, 
wo er erkannt wurde, von der Bevölkerung freudig begrüßt. 
In Petersburg suchte man die Schande des tatarischen 
Raubzuges auf Kreis und Stadt Memel abzuschwächen 
durch die Behauptung, daß die Bevölkerung Widerstand 
geleistet habe. Wie man bei deren friedfertigem Charakter 
von vornherein annehmen durfte, war diese russische Er 
klärung eine glatte Erfindung, die aufs neue bewies, daß 
man sich auch in Petersburg nachträglich der ganzen Un 
geheuerlichkeit dieses Unternehmens, das in der Geschichte 
der Kultur kaum seinesgleichen hat, bewußt wurde. Es 
gab zu viele Zeugen, die die Kunde von den Grausamkeiten 
dieser Barbaren in alle Welt hinaustrugen. 
Das „Memeler Dampfboot" vom 24. März brachte 
einen zusammenfassenden Bericht über den Einfall der 
Russen, der so anschaulich und in seinen Einzelheiten so 
überzeugend wirkt, daß wir ihn unseren Lesern in Ergän 
zung der von uns mitgeteilten Tatsachen nicht vorent 
halten wollen. i 
„Kurz vor der Invasion der russischen Horden wurde 
Memel noch in einer der größten deutschen Zeitungen als 
,die friedliche Ecke* bezeichnet. Lange, monatelang war 
unsere Kreisgrenze nur den Angriffen schwacher russi 
scher Truppen ausgesetzt. In den Februar- und März 
wochen häuften sich die Angriffe, und die Gefechte wurden 
heftiger. Schließlich hatten die Russen große Streitkräfte — 
es sind schätzungsweise 6000 Mann gewesen — zusammen 
gezogen, um Memel in ihre Hand zu bekommen. Am 
Mittwoch, den 17. März, wurde der Anmarsch durch die 
ausgestellten Feldwachen gemeldet, am Donnerstag er 
dröhnte Kanonendonner, verwundete deutsche Soldaten 
wurden häufiger durch die Stadt gebracht. Die Lage der 
Verteidigungsmannschaften ward immer schwieriger und 
der Verteidigungsring um die Stadt immer enger. Ihren 
Weg zeichneten die Russen durch Brand. Der ganze Kreis 
Memel ist von diesen Barbarenhaufen niedergesengt, 
Phot. A. Grohs, Berlin» 
Wechseln der Schützengräben in der Abenddämmerung.
	        
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