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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Von den Russen auf der Flucht zurückgelassene schwere
Tagen mit Artilleriefeuer belegte. Die deutschen Truppen
hatten die geplanten Aufstellungen bereits eingenommen,
als der russische Armeeführer, wie aus Aussagen gefangener
Stabsoffiziere hervorgeht, noch einen Befehl erließ, in
welchem von großen Erfolgen auf der ganzen Front die
Rede war und die Unterführer zu den „energischsten Ver
folgungsoperationen" bis in „den Rücken des Feindes", deck
man bei Calvaria anzunehmen schien, angespornt wurden.
In großer räumlicher Trennung sehten sich das 3. russische
Armeekorps von Simno auf Lodzije und das 2. Armee
korps von Grodno über Kopiowo—Seiny auf Krasnopol
in Bewegung. Die übrigen russischen Korps gingen durch
den Forst von Augustow vor, stießen hier aber sehr bald
auf starken Widerstand, den zu brechen ihnen nicht gelang,
obwohl sie mit zwei- und dreifacher Überlegenheit mehrere
Tage hintereinander die deutschen Stellungen angriffen.
Am 9. März begann der deutsche Vormarsch gegen das
auf dem russischen rechten Flügel aufgestellte 3. Armee
korps. Als sich dieses plötzlich bei Lodzije und Swiento—
Jeziory von Norden her in der Flanke bedroht und umfaßt
sah, trat es eiligst den Rückzug in östlicher und südöstlicher
Richtung an, mehrere hundert Gefangene und einige
Maschinengewehre in unserer Hand lassend. Durch diesen
Rückzug gab der russische Führer die Flanke des benach
barten 2. Armeekorps preis, dessen Kolonnen am 9. März,
wie unsere Flieger meldeten, Berzniki und Eiby erreichten.
Gegen dieses Armeekorps richtete sich also die Fortsetzung
des deutschen Angriffs. Es war dies keine leichte Arbeit,
da elf und mehr Grad Kälte herrschten und die Wege so
glatt waren, daß Dutzende von Pferden aus Erschöpfung
umfielen und die Infanterie nur 2—3 Kilometer in der
Stunde zurückzulegen vermochte. Am 9. und 10. März
kam es bei Seiny und Berzniki zum Kampfe gegen den
überraschten Gegner, dessen Vorhut sich bereits zum An
griff in westlicher Richtung bei Krasnopol entwickelte und
sich jetzt gezwungen sah, nach Norden Front zu machen.
Seiny und Berzniki wurden noch in der Nacht vom 9. zum
10. März erstürmt. Bei Berzniki wurden zwei ganz junge
russische Regimenter völlig aufgerieben und deren Komman
deure gefangen genommen. Der russische Armeeführer, der
wohl eine Wiederholung der Umfassungsschlacht in Masuren
fürchtete, gab am 10. März, die Aussichtslosigkeit weiteren
Widerstandes einsehend, den Befehl zum Rückzüge. Bald
konnten unsere Flieger die langen Marschkolonnen des
Feindes wahrnehmen, die sich durch den Forst von Augustow
in vollem Rückzug auf Grodno befanden. Am 11. März
besetzten unsere Truppen auf der Verfolgung Macharce,
Phot. Hohlwein L Gircke, Berlin.
ArLilleriemunition.
Fronzki und Eiby. Eine
deutsche Kavalleriedivi
sion nahm noch in der
Nacht Kopciowo im
Sturm. Die russischen
Opfer betrugen hier
300 Tote und über 6400
Gefangene.12Maschinen-
gewehre und 3 Geschütze
blieben in unserer Hand.
Ernstlichere Kämpfe fan
den nicht statt. Schon
die bloße Drohung mit
einer kräftigen deutschen
Umfassung genügte, nicht
nur den zunächst gefähr
deten Flügel, sondern die
ganze feindliche Armee,
die sich auf einer Front
breite von nicht weniger
als 50 Kilometer zum
Angriff aufbaute, zum
schleunigen Rückzüge zu
veranlassen.
Während sichunsereJn-
fanterie vor dem Sumpf
gelände von Lyck und am
Bobr festsetzte, nahm
in den eroberten Wäl-
dernschwereundschwerste
Artillerie Aufstellung und
leitete, durch die Auf
klärungsarbeit unserer
Albatros-Flieger und zweier Fesselballone wirksam unter
stützt, die planmäßige Beschießung der Festung Ossormecz
ein (siehe das Bild Seite 285). Am 3. März waren be
reits zwei Forts von Ossowiecz zum Schweigen gebracht
worden, und in amtlichen russischen Berichten wurde dre
Befürchtung ausgesprochen, daß diese Tätigkeit eine un
mittelbare Bedrohung Warschaus von Norden darstelle.
Es wurde zugegeben, daß das Bombardement der Festung
beträchtlichen Schaden zufüge: die aus den 42-oru-
Mörsern abgefeuerten Geschosse verursachten in den Be
festigungswerken Löcher von 6 Meter Durchmesser und
2 Meter Tiefe. — Am 16. März versuchten die Russen auf
Tauroggen und Laugszargen vorzurücken, wurden aber bald
Zurückgeworfen.
Als die Russen gegen Mitte Februar die von ihnen be
setzt gewesenen Teile Ostpreußens schleunigst verlassen
mußten und dann nach der großen masurischen Schlacht
die Reste ihrer 10. Armee hinter den Njemen und Bobr
retteten, mußte es sowohl in Petersburg wie bei den Ver
bündeten peinlich berühren, daß das russische Heer nun
überall von Feindes Baden vertrieben war. Da es der
neuen 10. Armee nicht gelingen wollte, gegen Ostpreußen
Raum zu gewinnen, auch alle gegen die Südgrenze dieser
deutschen Grenzprovinz unternommenen Angriffe scheiterten,
so verfiel man auf den Plan, sich in Besitz des äußersten
Nordzipfels von Ostpreußen zu setzen, um wenigstens durch
diese „Eroberung" deutschen Gebietes die gedrückte öffent
liche Meinung in Rußland neu zu beleben. Zu diesem
Zweck wurde aus dem größeren Teile der 68. Reserve
division, Reichswehren und Grenzschutztruppen die soge
nannte Riga - Szawle - Gruppe gebildet und dem Befehle
des Generals Apuchtin unterstellt, der Mitte März seine
Truppen gleichzeitig auf Memel und Tilsit in Bewegung
setzte.
- Eine schreckliche Episode für diejenigen, die davon be
troffen wurden, bildet die Besetzung Memels, der nörd
lichsten Stadt des Deutschen Reiches, durch die Russen.
Die Stadt war bisher von den Kriegsgreueln vollständig
verschont geblieben, was sich daraus erklärt, daß Memel
keinerlei strategische Bedeutung hat. Für den Ausgang des
Krieges ist es vollständig gleichgültig, ob Memel in russischen
oder deutschen Händen ist, denn wenn Ostpreußen befreit
wird, so wird jedenfalls auch Memel russenfrei, und ebenso
fiele Memel von selbst in russische Hände, wenn diese Ost
preußen festzuhalten vermöchten. Das endgültige Schicksal
des Platzes hängt also nur vom Ausgang des Krieges ab.
Doch die Russen lassen sich bei ihren Raubzügen und Mord-