Scarborough: Südansicht der Befestigungen.
Phot. Berliner Illustrations-Gesellschaft m. v. «y
mußten wir einen ganzen Tag vor dem Bahnhof liegen,
weil Truppen-und Munitionstransporte vorgelassen wurden.
Endlich durften wir einfahren; es lagen dort schon über
zweihundert Schwerverwundete, die wir in drei Stunden
eingeladen hatten. Während der vierzigstündigen Rückfahrt
hatten imsere Arzte tüchtig zu tun. Auch wir hatten keine
Stunde der Ruhe. Die Verbände mußten erneuert,
schmerzstillende Einspritzungen gemacht, Fiebertemperaturen
gemessen werden.
AIs wir in Nürnberg eintrafen, war die Sanitätskolonne
mit ihren Autos und mehreren Ärzten bereits am Platze,
und sofort wurde die Überführung in die einzelnen Laza
rette vorgenommen. In einigen Stunden war dies ge
schehen, und wir durften uns der wohlverdienten Ruhe hin
geben.
Nachdem die Wagen desinfiziert, gereinigt, die Betten
frisch überzogen, der Proviant ergänzt war, fuhren wir
zum zweitenmal nach Diedenhofen. Tags vorher hatte
dort ein heißes Gefecht stattgefunden, das viele deutliche
Spüren hinterlassen hatte. Wir begaben uns in Gruppen
aufs Schlachtfeld und taten unsere Arbeit.
Dann ging es nach Valenciennes und weiter bis an die
Gefechtslinie. Hier lagen das Geleise entlang schon viele
hundert Schwerverwundete, sehnsüchtig des Zuges harrend,
Herbesthal. Unmittelbar hinter Herbesthal zeigten sich
schon die Spuren der verflossenen Kämpfe. Alle Jn-
dustrietätigkeit hatte aufgehört, und die Fabriken standen
still. Rur einige Kohlen- und Eisenwerke waren noch in
Tätigkeit.
Durch zahlreiche Tunnel, von denen der längste eine
halbe Stunde Fahrzeit beanspruchte, kamen wir endlich
nach Lüttich. Dann erreichten wir Brüssel, wo wenig
von Verwüstungen zu bemerken war. Schon ging das
Großstadtleben wieder seinen alten Gang; für den Abend
unseres Ankunfttages war sogar ein Konzert in der Ton
halle angesetzt. Wir konnten uns nicht aufhalten, und so
fuhren wir weiter. In der Nacht wurden wir vier
mal durch das Notzeichen der Lokomotive aufgerufen,
weil verschiedentlich Gefahr drohte: einmal war es ein
Schienenbruch, einmal falsche Weichenstellung (es hätte
leicht einen Zusammenstoß mit einem Mnnitionstransport
geben können), einmal ein Sperrsignal, einnml ein fran
zösischer Flieger, der das Geleise durch Bombenabwurf zu
zerstören suchte. Wir traten jedesmal mit Gewehren an
— auch das Bremspersonal hatte solche — und eröffneten
ein von den Bahnschutzwachen kräftig unterstütztes Feuer
auf den Flieger, so daß dieser eiligst in den Wolken ver
schwand. Früh sieben Uhr erreichten wir wieder Mons.
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Dann folgt der Materialwagen mit Decken, Kissen, Wäsche
sowie der Proviantwagen. Der sich anschließende Küchen
wagen ist ein wahres Prachtstück. Er enthält unter anderem
vier Kessel zu je hundert Liter zum Kochen von Gemüse
und Kartoffeln, zwei Kessel für Fleisch, einen Bratofen
für zwei große Bratenpfannen; alles mit Kohlenfeue
rung. Hinter dem Küchenwagen läuft der Heizungsvorrats
wagen, der auf der einen Seite Kohlen für die Küche,
auf der anderen Seite Koks für die Dauerbrandöfen enthält,
deren jeder Wagen einen führt. Dann kommt der Wohn- und
Schlafwagen für das Küchenpersonal, den Wagenmeister
und den Schlosser.
Nun folgen zehn weitere Krankenwagen, dann der Schlaf
wagen für die Krankenwärter mit zwanzig Betten (so weit
sind es ohne die Lokomotive achtundzwanzig Wagen) und
hierauf je nach Bedarf die Güter- und die Personenwagen
für Leichtverwundete. Sämtliche Wagen sind durchgehend,
durch Füllöfen heizbar, mit Gas- und Notbeleuchtung ver
sehen. Zum Schluß werden meistens noch Güterwagen mit
Liebesgaben und Feldpostpaketen angehängt. —
Unsere erste Reise führte nach Diedenhofen. Hier
der' sie wegführen sollte. In zwei Stunden hatten wir
den Zug besetzt und traten den Rückweg an. Nie werd«
ich die sehnsuchtsvollen, wohl auch von Tränen getrübten
Blicke vergessen, die die Zurückgelassenen auf ihre nun ge
borgenen Kameraden warfen. Wir trösteten jene mit der
Aussicht auf unser baldiges Wiederkommen.
Eine dritte Fahrt führte uns zunächst nach Audun le
Roman und weiter in der Richtung nach Longwy. Die ganze
Bahnstrecke entlang bot sich ein Bild der Zerstörung.
Von Longwy, das völlig zusammengeschossen und dem
Erdboden gleichgemacht war, wurden wir nach Montmody
befohlen, um die Verwundeten aus den im Gange befind
lichen Schlachten aufzunehmen. Hier trafen wir die schwersten
Verwundungen, die wir bis jetzt gehabt hatten. Hauptsäch
lich Schußwunden, aber auch schwere Verbrennungen durch
siedendes Ol und dergleichen. In zwei Stunden war ein
geladen, und fort ging's in schnellstem Tempo nach Koblenz,
wo wir einen Teil der Verwundeten abgaben, während
der Rest nach Nürnberg gebracht wurde.
Nachdem dort unsere Wagen von neuem instand ge
setzt worden waren, ging es nach Köln und von da nach