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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
mehr oder weniger tiefen halbflüssigen Brei der Oberfläche
ein fester Untergrund vorhanden war. Wehe aber jenen Ko
lonnen, die über aufgeweichte lehmige Erde den Vormarsch
ausführen mußten. Dort hatte sich vielleicht obendrein noch
kurz zuvor eine zurückgehende russische Armee dahingewälzt
und Weg und Steg zu einem zähen, klebrigen Teig zer
stampft und geknetet, in dem die schweren Geschütze einfach
stecken blieben und, wenn es überhaupt möglich war, nur
durch die äußersten Anstrengungen wieder von der Stelle ge
bracht werden konnten Was mögen die armen Zugpferde
unter dem unaufhörlichen Antreiben gelitten haben. Not
kennt kein Gebot, und der Befehl lautete: „Vorwärts trotz
der schier unüberwindlichen Schwierigkeiten!"
Noch schlimmer aber als die Schlammbäche und die
klebrigen Teigstraßen sind die Moräste und die Sümpfe,
die in jenen Grenzgegenden bis tief hinein ins russische Ge
biet außerordentlich zahlreich sind. Sie bilden nur zu oft,
besonders für die Auffahrt der Artillerie, unbezwingliche
Hindernisse, die nicht selten in gefährlichen Eesechtslagen
die Zurücknahme und zeitraubende Umgehungen nötig
machen. In dieser Beziehung gibt uns der Feldpostbrief
hatten, gingen jämmerlich zugrunde, da sie zu schwach
waren, sich aus dem Sumpfe herauszuarbeiten, und elend
darin erstickten. Neben mir ging ein Fähnrich, den ich
sehr ins Herz geschlossen hatte; er erhielt einen Beinschuß,
worauf ich ihn auf den Rücken nahm und unter Aufbietung
meiner letzten Kräfte eine Viertelstunde weit aus dem
Sumpf heraustrug, ihn so vor dem sicheren Tode durch
Ersticken rettend. Er umarmte mich und küßte meine Hände,
so daß ich Mühe hatte, mich von ihm loszumachen ..."
Die Einnahme von Lille-
(Hierzu die Bilder Seite 6—8).
Es war den Einwohnern der Hauptstadt des Departe
ments Nord eine große Beruhigung, als in den ersten
Tagen des September der Kommandant beim Anmarsch
der deutschen Truppen erklärte, die Stadt solle dem Feinde
preisgegeben und die Forts, die diesen befestigten Punkt im
Umkreis von 50 Kilometern umlagern, aufgelassen werden.
Der Bürgermeister fügte dieser Entschließung die Mahnung
an die Bürgerschaft bei, dem Einmarsch der feindlichen
Krankenpflegen) rrgen für Schlververwundele.
eines österreichischen Infanteristen, der bei Krasnik ver
wundet wurde, ein Bild der Schwierigkeiten, die oft ge
nug während des Feuergefechts sich einstellen und dann
eben so gut es geht bezwungen werden müssen. Die sieg
reiche Schlacht war eingeleitet. „In der ersten Stunde
war uns," so erzählte der Infanterist, „offen gestanden nicht
recht wohl, als die Kugeln dicht wie Hagelschlag daher
kamen. Bald aber erkannten wir, daß die Gegner im
Grunde doch recht schlecht schossen, und das ließ das be
engende Gefühl rasch verfliegen. Unaufhaltsam ging es
nun vorwärts. Ein Dorf wurde genommen und der
Feind unter schweren Verlusten in die Flucht geschlagen.
Es gab eine Kampfpause von fünfzehn Minuten, und weiter
ging es, nachdem uns Kavalleriepatrouillen gemeldet hatten,
daß sich der Feind von neuem gesammelt und auf einer
Höhe eine befestigte Stellung eingenommen habe. Nun
wurde das Vordringen schon schwerer. Es mußte über
einen breiten Bach gesetzt werden, wobei viele Kameraden
unter allgemeinem Gelächter ins Wasser fielen. Wir wurden
bereits vom Feinde beschossen, als wir an den Rand eines
Sumpfes kamen, der nicht zu umgehen war. Bis zur Brust
mußten wir in diesen Morast hinein, der durch ein knapp
vorher niedergegangenes Gewitter noch unwegsamer ge
worden war. Viele Leute, die nur leichte Verwundungen
Truppen keinen Widerstand entgegenzusetzen, da der deutsche
Besuch zweifellos nur von kurzer Dauer sein werde.
Damals bekam er recht. Doch hatte er sich wohl kaum
träumen lassen, daß die industriereiche Stadt schon einen
Monat später allen Ernstes wiedererobert werden würde.
Seither ist dieser wichtige Knotenpunkt von acht Eisenbahn
linien in unserem Besitz und Lille ein unentbehrlicher und
starker Stützpunkt all der heißen Kämpfe geworden, die
nördlich, westlich und südlich davon, von Dirmuiden bis
Ppern und von La Basföe bis Arras, geführt wurden.
Es war am 10. Oktober, als unversehens vier Ulanen
in Lille auftauchten, denen ein Radfahrer folgte. Nicht
lange danach trabten weitere sechzig Ulanen in die Stadt,
die rasch mehrere Straßen besetzten, wobei sie aus einigen
t äusern beschossen wurden. Der Befehlshaber der kleinen
eiterabteilung begab sich sofort auf das Rathaus und
nahm das Stadtoberhaupt und einen Ratsherrn als Geiseln
fest. Unterdessen traf die Meldung ein, daß französische
Reiterei im Anzuge sei. Unsere Ulanen traten ihr ent
schlossen entgegen. Es kam zu einem Straßenkampf, bei
dem die Unseren, da sie stark in der Minderheit waren, das
Feld räumen mußten. Kurze Zeit darauf wurde Lille
aber auch schon deutscherseits beschossen. Die erste Bombe,
von einer deutschen Taube geworfen, entlud sich auf dem