Die Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
(Fortsetzung.)
Hofphot. Kühlewmdt, Königsberg i.P.
Ostpreußen vor russischen Einfällen zu sichern, war uns
noch nicht ganz gelungen. Es kamen allerdings nur sehr
wenig Nachrichten von dort, aber soviel wußten wir, daß
die aus der Heimat Geflohenen noch nicht zurückkehren
durften. Seit Monaten waren unsere, unter dem Befehl
des Generals v. Below in Ostpreußen stehenden Truppen
auf die Verteidigung angewiesen. Zum größten Teil aus
Landwehr und Landsturm zusammengesetzt, verteidigten
diese Truppen die Lande östlich der Weichsel, vor allem die
Provinz Ostpreußen erfolgreich gegen einen mehrfach über
legenen Feind, dessen Stärke Anfang Februar noch rund
200 000 Mann betrug. Die numerische Überlegenheit der
Russen war auf diesem Kriegschauplatz so groß, daß die
deutschen Truppen starke natürliche Stellringen aufsuchen
mußten, die sich an den großen Masurischen Seen und
hinter der Angerapplinie boten. Das Land zwischen diesem
Gebiet und der Grenze mußte dem Feinde überlassen
werden. In wiederholten Angriffen versuchte dieser sich
in den Besitz der befestigten Stellungen der Deutschen zu
setzen. Doch wurden alle seine Angriffe, die sich mit Vor
liebe gegen den Brückenkopf von Darkehmen und den
rechten deutschen Flügel auf den Paprodtker Bergen
richteten, abgeschlagen. Bis zur Brust im Wasser, durch
wateten am ersten Weihnachtsfeiertag Teile des 3. sibirischen
Korps das Sumpfgelände des Nietlitzer Bruchs. Ihr An
griff wurde ebenso abgewiesen, wie die im Januar und
Februar gegen den linken deutschen Flügel unternommenen
Vorstöße.
Anfang Februar endlich war die Zeit gekommen, wo
frische deutsche Kräfte verfügbar wurden, um nach dem
ostpreußischen Kriegschauplatz gebracht und dort zu einer
umfassenden Bewegung gegen die Russen eingesetzt zu
werden. Und nun entwickelte sich hier an den Masurischen
Seen nach peinlichst gewissenhafter Vorarbeit, die auch den
Härten des östlichen Winters soviel wie möglich Rechnung
trug, für den Feind höchst überraschend, die tagelange ge
waltige Schlacht, über die wir schon auf Seite 189 u. f.
eine eingehende Schilderung aus berufenster Feder gebracht
haben. Wir beschränken uns deshalb hier darauf, das dort
am Schluß schon kurz erwähnte Erscheinen des Kaisers
unter seinen Truppen in Lyck etwas eingehender zu
schildern.
Unter den Augen ihres obersten Kriegsherrn gelang es
den Unsrigen am 14. Februar, den Feind aus seinen
Stellungen um die Stadt zu werfen. Kaum waren die
Sieger in diese eingezogen, da erschien auch der Kaiser
und traf dort auf der Hauptstraße und dem Marktplätze
neben zahlreichen russischen Gefangenen Teile der 11. Land
wehrdivision und der 2. Infanteriedivision, insbesondere
das ruhmgekrönte ostpreußische Füsilierregiment „Graf Roon"
Nr. 33. Auf dem Marktplatze inmitten der zerschossenen
Häuser und der stark beschädigten Kirche spielte sich eine er
greifende Szene ab, die allen Zeugen derselben unvergeßlich
bleiben wird. Die soeben aus schweren Kämpfen kommenden,
von Schmutz und Blut bedeckten Krieger drängten sich jubelnd
um den Kaiser (siehe die Kunstbeilage), der viele der
Mannschaften und alle anwesenden Offiziere ansprach. Plötz
lich drangen die erhabenen Klänge der Nationalhymne und
darauf das Lied „Deutschland, Deutschland über alles!"
aus vielen tausend Kehlen zum Himmel empor. Alle
Mauern und die Fensteröffnungen der zerschossenen Häuser
waren von Soldaten besetzt, die ihren Kaiser sehen wollten.
Beim Ausgang der Stadt begegnete der Monarch dann
noch zwei einziehenden Bataillonen des pommerschen
Grenadierregiments Nr. 2 mit ihren zerschossenen Fahnen.
An der Seite der Straße stellten sich die Truppen in einem
offenen Viereck auf, in dessen Mitte der Kaiser trat, um
seinen tapferen Grenadieren Dank und Anerkennung aus
zusprechen. Sie hätten das in sie gesetzte Vertrauen
glänzend gerechtfertigt und sich ihrer Vorfahren würdig
erwiesen, die 1870, wie vor hundert Jahren in gleicher
Gesinnung durch unerschütterlichen Mut und Einsetzen der
vollen Manneskraft das Vaterland vor dem Feinde be
schützt hätten. Er sei gewiß, daß sie mit der gesamten
Heeresmacht auch weiterhin nicht nachlassen würden, den
Feind zu schlagen, wo er sich zeige, bis er völlig nieder
gerungen sei. Donnernd fiel das Regiment in das von
seinem Kommandeur, Grafen Rantzau, als erneutes Ge
löbnis der Treue bis zum Tode ausgebrachte Hurra auf
den Allerhöchsten Kriegsherrn ein.
Der Gewinn, den uns der Sieg in Masuren gebracht
hatte, wurde gesichert und erhöht durch die nun folgende
unablässige Verfolgung des geschlagenen Feindes.
Im Zusammenhang mit der russischen Niederlage in Ost
preußen kam auch an anderen Stellen der Feind zum Weichen.
So konnten schon am 12. Februar unsere Truppen in Polen
Zweistöckige Erdhütten unserer Truppen lauf dem östlichen Kriegschauplaß.
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