Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Zweiter Band. (Zweiter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 191415. 
die Stadt verlassen dürfe, später werde keine Erlaubnis 
zur Abreise erteilt werden. Viele hundert Bewohner ver 
ließen die Stadt. 
Ein Teil der Besatzung von Antwerpen befand sich am 
14. Oktober von Gent aus in eiligem Rückzüge nach Westen 
zur Küste. Unsere Truppen folgten. An diesem Tage 
wurde auch Lille besetzt, wobei wir 4500 Gefangene machten. 
Die Stadt war durch ihre Behörden den deutschen Truppen 
gegenüber als offen erklärt worden. Trotzdem schob der 
Gegner bei einem Umfassungsversuch von Dünkirchen her 
Kräfte dorthin vor mitdem Aufträge, Lille bis zum Eintreffen 
der Umfassungsarmee zu halten; da diese natürlich nicht 
eintraf, war die einfache Folge, daß die zwecklos verteidigte 
Stadt bei der Einnahme durch unsere Truppen Schädigungen 
erlitt. Ebenfalls aur 14. Oktober wurde Brügge und am 
15. Ostende von den Deutschen besetzt. Die Truppen der 
Verbündeten waren beim Anmarsch der Deutschen auf 
Ostende abgezogen und überließen die Stadt ganz ohne 
Verteidigung. Ein Amerikaner, namens Allison, gab 
Ulanen mit Radfahrern, ritten auf den Platz vor denr Rat 
haus (Eroote Markt) und banden ihre Pferde fest. Der 
Bürgermeister ging in das Rathaus, unr die Offiziere zu 
erwarten. Der erste Offizier kam um elf Uhr mit einen, 
Dutzend Ulanen. Jeder einzelne Mann von den deutschen 
Streiftruppen schien genau die Stadt zu kennen und kam ohne 
zu zögern immer zum Rathaus. Dem ersten Offizier folgten 
zwei große Motorwagen voll von Offizieren. Im ersten saß 
Feldmarschall von der Goltz, der deutsche Generalgouverneur. 
Kurz vorher traf noch der Konsul der Vereiuigten Staaten 
ein, den der Bürgermeister gerufen hatte. Nach den Ein 
leitungsworten bat der Eeneralgouverneur den Konsul, 
ihn nach Brügge zu begleiten, um dem für Ostende be 
stimmten Kommandanten vorgestellt zu werden. Da der 
Chauffeur des Konsuls den Weg kannte, so fuhr von der 
Goltz mit dem amerikanischen Auto davon. Von diesem 
Augenblick an gehörte die Stadt den Deutschen." 
Bei der Besetzung Ostendes wie auch Brügges wurde 
reichliches Kriegsmaterial erbeutet, unter anderem eine 
-MWWLLU 
Phot. Dr. Trenklcr & Co., Leipzig. 
Ostende, vom Leuchtturm aus gesehen. 
folgenden Bericht über die letzten Stunden vor den, deutschen 
Einzug: 
„Am Donnerstag, den 15. Oktober, morgens um zehn 
Uhr erschien der letzte belgische Soldat am Strande. Er 
kam auf einem schlechten, ungesattelten schwarzen Pferde aus 
dem Fischerquartier, wo er wahrscheinlich geschlafen hatte, 
so daß er den Abzug der Belgier verpaßt hatte. Im 
Galopp rief er auf flämisch: ,Die Deutschen sind hier* und 
schlug mit seinem Karabiner auf sein Pferd. Er ritt 
die Straße hinunter und schrie immer nach dem Wege 
nach Dünkirchen. Ich hörte später, daß er nicht mehr durch 
kam. Die Deutschen fingen ihn. Zehn Minuten später, 
als ich am amerikanischen Konsulat stand, sah ich dreizehn 
deutsche Ulanen. Sie waren vorzüglich beritten, hatten die 
Lanzen in den Händen und ritten in einer sonderbaren Art, die 
ich erst begriff, als ich sah, daß sie die Namen der Straßen 
ablasen und einem mitteilten, der eine Karte in der Hand 
hatte. Als sie in die richtige Straße kamen, drehten sie 
um, ritten zum Hause des Bürgermeisters von Ostende 
und klopften an die Tür. Der Bürgermeister kam persön 
lich mit zwei Gendarmen. Er war in großem Dienstanzug, 
schwarzem Überrock und weißer Binde. Sie grüßten ihn 
sehr höflich. Nach einer kleinen Unterhaltung gingen alle 
zusammen fort. Unmittelbar darauf -erschienen mehrere 
große Anzahl Jnfanteriegewehre mit Munition und 200 ge 
brauchsfähige Lokomotiven. Immer weiter rückten die 
Deutschen nach Nordwesten vorwärts, und an der belgisch 
französischen Grenze kam es zu überaus erbitterten 
Kämpfen. Am 15. Oktober entwickelte sich in der Um 
gegend von Ppern und Courtrai ein verzweifelter Kampf, 
wo die deutschen Abteilungen von Antwerpen mit größter 
Heftigkeit auf den äußersten linken Flügel der Franzosen 
drückten, um eine Verbindung zwischen dem westlichen 
deutschen Flügel in Belgien und dein rechten deutschen 
Flügel in Frankreich herzustellen. Gleichzeitig griff ein 
starkes gemischtes deutsches Korps die englische und 
französische Besatzung von Ostende und die französischen 
Marinesoldaten an, die den Rückzug der Belgier nach Dün 
kirchen deckten und eine verschanzte Stellung zwischen Di.r- 
muiden und Roulers vorbereiteten. Auch westlich Lille 
hatten sich Kämpfe entwickelt. Am 21. Oktober gingen 
die Deutschen dort zum Angriff über, nahmen etwa 
2000 Engländer gefangen und erbeuteten nrehrere Ma 
schinengewehre. In den Kämpfen am Pserkanal unter 
stützten die Engländer ihre Angriffe vom Meere aus, wobei 
am 21. Oktober ein englisches Torpedoboot von unserer 
Artillerie kampfunfähig gemacht wurde. Am 22. Oktober 
wurde der Feind bei Dirmuiden zurückgeworfen. Unsere
	        
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