Die Geschichte des Weltkrieges 1914/15
(Fortsetzung.)
In Galizien und in den Karpathen verliefen die letzten
Tage des November und die ersten des Dezember ziemlich
ruhig. Nur von dem belagerten Przemysl kamen Nach
richten, die zeigten, daß sich die Belagerten tapfer hielten
und die Russen schwere Arbeit hatten. Am 1. Dezember
wurden diese bei einen: Versuch, sich den nördlichen
Vorfeldstellungen der Festung zu nähern, durch einen
Gegenangriff der Besatzung zurückgeschlagen. Demzufolge
blieben sie an den nächsten Tagen untätig. Am 7. De
zember kam aus Budapest die Meldung, daß sich bei
Przemysl die russische Angriffslinie lockere, weil die dort
befindlichen Truppen auf den nördlichen Kriegschauplatz
gebracht wurden. Von den ungeheuren Strapazen, denen
das russische Belagerungsheer, das jetzt zum zweitenmal
die Festung Przemysl eingeschlossen hatte, ausgesetzt war,
gaben abgefangene russische Feldpostbriefe Zeugnis, die
in den in Przemysl in zwangloser Folge erscheinenden
„Kriegsnachrichten" abgedruckt wurden. Militäraviatiker
Habei: Exemplare dieser Zeitschrift in kühnem Fluge über
die russischen Linien hinweg aus der belagerten Stadt
herausgebracht und sie der k. k. Feldpost übergeben, die sie
nach Wien weiterbeförderte. Auf diese nicht gewöhnliche
Art wurden jene Briefe allgemeiner bekannt. Es heißt da
unter anderen:: „Und nun (d. h. als wir vor Przemysl an
gelangt waren) begann uns die Gefahr zu drohen, in einen
ernstlichen Kampf zu geraten. Jetzt, in den Klüften des
Karpathengebirges stehend, kann ich sagen, daß alles ^Ver
gangene im Vergleich zu den: Gegenwärtigen nur ein Spiel
war. Frost, Schnee, zerrissene Stiefel, das Sitzen in den
Schützengräben, in Erwartung des Alarms, über unseren
Köpfen die von uns so genannten österreichischen Schnell-
siedergeschvsse' sich entladend, und dazu der Mangel an
Nahrungsmitteln: das alles zusammen bildet statt eines
Lebens eine Hölle! Hier bei Przemysl sind wir schon
den achte:: Tag, hocken in den Gräben und hören das
Donnern österreichisch-ungarischer Geschütze. Sobald wir
einen Schuß hören und dazu das charakteristische sausende
Pfeifen der Schrapnelle, ducken wir schnell unsere Köpfe
in die Schützengräben, als wenn wir den österreichisch-
ungarischen Geschossen eine Verbeugung machen wollten. —
Aber es ist unmöglich, diese Festung im Sturm zu nehmen;
sie ist mit Panzern gedeckt, zwei Gräben davor sind mit
Wasser gefüllt, und im Wasser sind Drahthindernisse. Dann
folgen die Reihen der Forts, dazwischen wieder Draht
hindernisse und Wolfsgruben. Man kann sie nur mit
Hunger nehmen, aber man sagt, es gebe dort viele Vorräte."
Das Ringen in den Karpathen verlief Anfang Dezember
für unsere Verbündeten sehr günstig. Schon am 6. mußte der
Feind an manchen Stellen starke Kräfte hinter den Gebirgs-
kamn: zurückziehen, und am 10. Dezember führten die
österreichisch-ungarischen Operationen in diesem Teile des
Kriegschauplatzes zur Wiedergewinnung erheblicher Teile
des eigenen Gebietes. Die k. u. k. Truppen hatten einen Vor
stoß unternommen, der von günstigstem Erfolg begleitet war.
Im Sturmschritt ging die Infanterie vor, während die
Artillerie die rasch zurückgehenden Russen mit wirksamstem
Schrapnellfeuer überschüttete. Ähnlich erfolgreich war das
Vorgehen unserer Verbündeten in dem übrigen Kampf
gebiet. Gefangene Soldaten der in die Karpathen einge
drungenen russischen Armeen sagten übereinstimmend aus,
daß bei ihnen zahlreiche Fälle von Widersetzlichkeit und
Meuterei unter Mannschaften und Offizieren vorgekommen
Einer der Aeroplane. durch die sich die in Przemysl belagerten Truppen mit der übrigen österreichisch-ungarischen Armee in Verbindung setzten.
Amerika». Copyright 1916 by Union Deutsche Verlagsgesellschaft in Stuttgart.
II. Band.
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