Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
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mit militärischen Ehren erfolgten Beerdigung eines Fran
zosen rief ein französischer Zivilist „Vivo la France!“ Er
wurde sofort verhaftet, noch am Abend abgeurteilt, und am
anderen Morgen um halb sieben Uhr waren an allen Ecken
und Enden der Stadt und ihrer Umgebung Plakate ange
schlagen, die Vergehen und Bestrafung des Franzosen be
kannt gaben und die Bevölkerung unter Androhung von
Strafe vor künftigem ähnlichen Tun warnten. Die Druckerei
war alarmiert worden und hatte die Plakate in der Nacht
hergestellt. In ähnlicher Weise wurden auch schon Befehle,
Die Landskurmdruckerei in Montmädy: Setzerei und Expedition.
sie sogar, um das Land zu einer völligen Einöde zu machen,
die Frauen, Kinder und alten Leute, die der Aufforderung,
die Heimat zu verlassen, nicht gleich gefolgt waren, ins
Innere Rußlands. Wer also die alte Heimat wieder auf
suchen wollte, mutzte damit rechnen, daß er nichts dort finden
werde als verräucherte Brandmauern, Schutt und Trümmer.
Dennoch kehrten sie in Scharen zurück, die zähen, Heimat
treuen Ostpreußen, sobald ihnen nur die Gelegenheit ge
geben wurde. Viele waren ja überhaupt der behördlichen
Einladung nicht gefolgt, die ihnen in Westpreußen, Mecklen
burg usw. ein ausreichendes und den
alten Verhältnissen möglichst ent
sprechendes Unterkommen für die
Dauer des Krieges versprach, sondern
hatten dicht hinter der Front bei
Freunden und Bekannten ein Notob
dach gesucht und ausgeharrt, um beim
ersten Vorstoß der deutschen Truppen
diesen folgend zur väterlichen Scholle
zurückzukehren. Und so stark war der
Rückstrom, sobald die Erlaubnis erteilt
war, daß zu seiner Reglung besondere
militärpolizeiliche Maßnahmen nötig
wurden. Denn die ersten, die in den
Ruinenstätten ankamen, holten natür
lich das noch Brauchbare, wo es sich
gerade fand, um für die Familie und
das mit auf die Wanderschaft genom
mene Vieh ein Dach, ein paar gegen
Regen und Kälte schützende Wände
aufzurichten. Da bedurfte es denn
großer Umsicht und nachdrücklicher
Wachsamkeit der Behörden, um lang
sam und redlich und doch ohne jeden
imnötigen Zeitverlust alles wieder ins
die am anderen Morgen verschickt wer
den mußten, in der Nacht hergestellt.
Sämtliche Formulare tragen den Ver-
merk„EedrucktinderLandsturmdruckerei
Montmödy im Kriegsjahr 1914/15".
Rückkehr ostpreußischer
Flüchtlinge in ihr zerstörtes
Dorf.
(Hierzu die Kunstbeilage.)
In unseren Tagen wird oft genug
das Ersterben des Heimatgefühls be
klagt; man sollte sich aber vor Ver
allgemeinerung hüten. Auf dem flachen
Lande verwachsen die Menschen mit
dem Orte, an dem sie geboren sind
und groß werden, vielfach auch heute
noch so innig, daß sie sich von ihm
gar nicht oder nur schwer trennen.
Beweise dafür hat der gegenwärtige
Krieg in großer Zahl geliefert. Wohl
mußten die friedlichen Bewohner un
gezählter ostpreußischer Dörfer vor den
eindringenden Russen die Flucht er
greifen; aber wie die Zugvögel beim
Frühlingsbeginn ihre nordische Heimat
aufsuchen, so zog es auch die ostpreußi-
Die Landskurrndruckerei in Montm^dy: Im Drucker-«Saal^.
scheu Flüchtlinge alsbald in ihre Heimat zurück, selbst wenn
sie verwüstet und verödet war.
Grauenhaft genug sah es ja aus in den Ortschaften, in
denen die Russen gehaust hatten, die „Verteidiger der miß
handelten Gerechtigkeit", wie Minister Ssasonow in seiner
Dumarede vom 10. Februar so schön sagte. Von den
Häusern stand zumeist nur noch der derbe, besonders fest
gefügte Kamin mit seinem pyramidenförmig zulaufenden
Unterbau. Alles Brennbare war den Flammen zum Opfer
gefallen, zu deren Entfachung die russischen Soldaten be
sondere Zelluloid streifen mitbekommen hatten; ebenso er
schlugen sie alles Vieh, das sie nicht an Ort und Stelle ver
brauchten, vernichteten alle Futtermittel und überhaupt
alles, was irgendwie noch zum menschlichen Gebrauche
tauglich schien. Bei ihrem zweiten Einfall verschleppten
rechte Geleise zu bringen. Was für Summen dabei aus öffent
lichen Mitteln aufgewendet wurden, gab Oberpräsident
v. Batocki in der zweiten Sitzung der Kriegshilfekommission
für Ostpreußen in Königsberg bekannt: bis Ende Januar
im Königsberger Regierungsbezirk rund 17 Millionen Mark,
im Eumbinner 10 Millionen, im Aliensteiner 9 Millionen.
Anderseits muß man aber auch der Bevölkerung alles Lob
zollen für den Eifer und die Tatkraft, womit sie unter
Überwindung zahlloser Schwierigkeiten den Wiederaufbau
der alten Heimat im wörtlichen und bildlichen Sinne unter
nahm. Besonders aus den Kreisen Neidenburg und Ortels-
burg wurden von den Kriegsberichterstattern, die um die
Jahreswende dort weilten, geradezu begeisterte Schilde
rungen entworfen von dieser zähen, unendlich geduldigen
Heimattreue der so schwer heimgesuchten Ostpreußen.