106
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Kampf erschwert, da die türkische Flotte am 2. November
im Schwarzen Meere alle ihr bekannt gewordenen Stütz
punkte der russischen Schwarze-Meer-Flotte mit Minen
blockiert hatte. Bis zum 4. November beschlagnahmte das
Seekriegsgericht in Konstantinopel 36 französische, 8 russische
und 1 belgischen Dampfer.
In einem Tagesbefehl, den der russische Statthalter
in Tiflis erließ, hieß es:
„Angesichts der türkischen Angriffe auf die russische Küste
und Schiffe der Schwarze - Meer - Flotte hat der Kaiser
der Armee des Kaukasus befohlen, die Grenze zu über
schreiten und die Türkei anzugreifen."
Schon zu Beginn des November hatten die ersten
Kämpfe im Kaukasus zwischen Russen und Türken statt
gefunden; die Russen wurden an drei Punkten aus den
Gebieten von Karaklissa und Jschan unter schweren Ver
lusten zurückgeschlagen.
Um dieselbe Zeit bombardierte ein britisch-französisches
Geschwader bei Morgengrauen die Forts der Dardanellen.
Es nahmen daran die eng
lischen Schlachtkreuzer„Jn-
flerible", „Jndefatigable",
„Eloucester" und „De-
fence" sowie die franzö
sischen Schlachtschiffe „Rs-
publique" und „Beauvais"
teil. Außerdem waren zwei
Kreuzer und acht Torpedo
boote beteiligt. Die feind
lichen Schiffe verfeuerten
im ganzen 240 Geschosse,
die aber keinen ernstlichen
Schaden anrichteten. Eines
der Forts erwiderte das
Feuer mit etwa zehn
Schüssen. Von diesen traf
einer ein englischesPanzer-
schiff und verursachte dort
einen Brand. Am 5. No
vember früh erschien ein
türkisches Kriegschiff vor
Sebasto pol und begann das
Bombardement der Stadt.
Hierbei wurde das russische
Schiff „Großfürst Alexan
der" in den Grund gebohrt.
Die Mannschaft und die
Passagiere wurden nach
Konstantinopel gebracht.
Am 6-November wurde ge
meldet, daß türkische Kreu
zer den Hafen von Datum
(Bild S.111) mitvollem Er
folge bombardierten. Die
russische Land- und See
festung Datum liegt an der
Südostecke des Schwarzen
Meeres, nahe der klein
astatischen Grenze. Der
Ort hat etwa 33 000 Einwohner und ist bedeutend durch
seine zahlreichen Petroleumreservoirs. Am 7. November
morgens bombardierte die russische Flotte zwei Stunden
lang zwei türkische Ortschaften am Schwarzen Meer, wo
bei ein griechischer Dampfer zum Sinken gebracht, die fran
zösische Kirche, das französische Konsulat und zwei Häuser
zerstört wurden.
Am 6. November entstanden an der türkisch-kaukasischen
Grenze in der Nähe von Kaghisman heftige Kämpfe, die
erst am 8. November mit einer völligen Niederlage des
russischen Heeres endeten, dessen Stellungen von den Türken
besetzt wurden.
Nach dieser Niederlage verlangte das russische Militär
oberkommando General Schabilows dringend Verstärkungen.
Er meldete, daß die türkischen Truppenbestände an der
kaukasischen Grenze größer seien, als man vermutet habe,
und die Bevölkerung von Tag zu Tag unzuverlässiger werde.
Am 7. November überschritten die Türken zusammen
mit 3000 Beduinen die ägyptische Grenze. Cie eroberten
Scheik Sor und die Befestigungen von El Arisch. Außerdem
nahmen sie den Engländern vier Feldgeschütze und Tele
graphenmaterial ab. El Arisch ist ein kleiner Hafen an der
Nordlüste der Sinaihalbinsel mit etwa 3600 Einwohnern,
der wahrscheinlich eine englisch-indische Besatzung hatte. Die
Entfernung bis Port Said beträgt noch 160 Kilometer.
Das Gebiet gehört zum englischen Ägypten.
Die offizielle Bekanntgabe des Kriegszustandes der Türkei
mit Rußland, Frankreich und England erfolgte durch ein
Jrade, das an den russischen Angriff im Schwarzen Meer
anknüpfte und dann fortfuhr: „Nachdem die türkische Flotte
diesen Angriff zurückgewiesen hatte, wandte sich die türkische
Regierung an die russische, um ihr Bestreben, ihre Neutralität
aufrechtzuerhalten, zu beweisen, und schlug vor, eine Unter
suchung der wahren Ursachen dieses Zwischenfalles einzu
leiten. Die russische Regierung hat jedoch, ohne auf diesen
Vorschlag der türkischen Regierung zu antworten, ihren
Botschafter abberufen. Da außerdem russische Armeen in
Erzerum an mehreren Stellen die Grenze überschritten
hatten, die vereinigte englische und französische Flotte die
Dardanellen und englische Kreuzer Akaba bombardierten,
haben Rußland, England
und Frankreich tatsächlich
die Feindseligkeiten eröff
net und überdies erklärt,
daß sie sich im Kriegszu
stand mit der Türkei be
finden. Ich bestimme da
her, daß die Kriegserklä
rung erfolgt, durch die be
kannt gegeben wird, daß
die kaiserlich türkische Re
gierung sich unter dem
Schutz des Allmächtigen
im Kriegszustand mit den
genannten drei Mächten
befindet." Zum Schluß
wurde das Kabinett mit
der Ausführung des Jrades
betraut. Das Jrade war
vom 11. November datiert,
von Mehmed Reschad un
terschrieben und von allen
Ministern gegengezeichnet.
Am 12. November erschien
ein Aufruf des Sultans an
Heer und Flotte. In dieser
von kriegerischer, natio
naler und religiöser Be
geisterung durchglühten
Kundgebung heißt es nach
einem kurzen Rückblick auf
die jahrhundertelange Be
drückung der Türkei durch
ihre jetzigen Feinde und
nach Darlegung der Ent
stehung des gegenwärtigen
Krieges:
„Durch den großen
Heiligen Krieg, den wir
heute unternehmen, wer
den wir mit Gottes Hilfe ein Ende setzen den Angriffen,
die einerseits gegen den Ruhm unseres Kalifats, ander
seits gegen die Rechte unseres Reiches gerichtet sind.
Meine heldenmütigen Soldaten! Lasset nie ab von der
Festigkeit und Ausdauer in diesem Heiligen Kriege, den wir
gegen die Feinde eröffnen, die unsere heilige Religion und
unser teures Vaterland angreifen wollen! Stürzet euch
wie Löwen ungestüm auf den Feind, weil ebenso wie unser
Reich auch das Leben und die künftige Existenz von 300 Mil
lionen Muselmanen, die ich durch ein heiliges Fetwa zum
Heiligen Kriege aufrufe, von eurem Siege abhängen. Die
Wünsche und Gebete von 300 Millionen unschuldigen und
bedrückten Gläubigen, die in den Moscheen und Medschids
sowie in der Kaaba sich mit Inbrunst an den Herrn der
Welten wenden, begleiten euch.
Ich bin überzeugt, daß wir aus diesem Heiligen Kriege
glorreich und mächtig hervorgehen werden.
Vergesset nicht, daß ihr jetzt eine Waffenbrüderschaft
eingeht mit den zwei bedeutendsten und mächtigsten Ar
meen der Welt.
Mögen eure Märtyrer den Märtyrern, die euch voran-
Phot. Äester & Co., München.
Ein türkisches Panzerautomobil mit Maschinengewehr fährt durch die
Straßen von Konstantinopel.