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beuteten zwei Maschinengewehre. —
Einzelne Bilder aus den furchtbar
blutigen Kämpfen an der Mer ent
warf der englische Berichterstatter
George Renwick auf Grund von
Schilderungen, die ihm Mitkämpfer
gaben:
Es war ein furchtbarer Anblick,
als die Wasser in die Schanzgräben
hineinfluteten, in denen sich die
Deutschen festgesetzt hatten. Gerade
zu dieser Zeit wurde das Feuer von
der Flotte und von unseren Batte
rien verstärkt, und unsere Infanterie
begann von neuem ihre Angriffe.
Es war ein Chaos von Feuer und
Wasser, ein wahrhafter Orkan des
Schreckens und Entsetzens, in dem
sich nun die Kämpfe abspielten. Das
Wasser staute sich und wurde schmutzig
von dem aufspritzenden Schlamm,
den die Granaten aufwühlten. Es
sind mehr Granaten während der
letzten Woche zwischen der See und
Dirmuiden geflogen, als wohl wäh
rend des ganzen übrigen Krieges
abgefeuert wurden. Ein Schützen
graben ist von den Deutschen fünf
zehnmal während zweier Tage und
einer Nacht im Sturm angegriffen
worden. Danach war es einfach un
möglich, den Angriff zu wiederholen,
da der Boden zu dicht mit Gefal
lenen bedeckt war. Sieben dieser
Angriffe wurden während der Nacht
gemacht, und während der ganzen
letzten Woche vollzog sich überhaupt
das furchtbarste Ringen nach Einbruch
der Dunkelheit. Ganz besonders un
heimlich sind die Angriffe beim Mond-
licht, das im ungewissen Dämmer
die Dinge ahnen, aber nicht erken
nen läßt. Eines Nachts waren die
Deutschen auch wieder in lautlosem
Schweigen herangekommen; aus den
Gräben sprangen sie auf gegen uns,
und dann waren wir im schweren
Kampf, als plötzlich der Mond her
vortrat und das Feld vor uns er
hellte. Da entdeckten wir eine feind
liche Batterie, die uns furchtbaren
Schaden getan hatte — es waren
einige von jenen mächtigen öster
reichisch-ungarischen Haubitzen — und
nun wussten wir, woher der unsicht
bare Tod gekommen war. —
Die englischen Kriegschiffe, die
während jener Zeit wiederholt an
die belgische Küste kamen, wurden
immer wieder vertrieben. Am 23. No
vember erschien ein englisches Ge
schwader bei Lombartzyde und Zee-
brügge und beschoß diese beiden
Städte. Unter unseren Truppen
wurde jedoch nur wenig Schaden
angerichtet, dagegen wurde eine An
zahl belgischer Landesbewohner ge
tötet und verletzt.
Uber das von englischer Seite erfolgte Bombardement
von Zeebrügge haben wir schon Band I Seite 457 berichtet.
Der Vorgang ist namentlich darum bemerkenswert, weil Zee
brügge eine offene Stadt ist, die keinerlei Verteidigungs
mittel besitzt, und die Beschießung offener Städte gegen
die Haager Übereinkunft verstößt.
Uber die oft hinterlistige Art, wie die Engländer Krieg
führen, berichtete ein Offizier folgendes:
Nachdem wir uns schon einige Stunden mit den Eng
ländern herumgeschossen hatten, schien es endlich, als ob
sie genug bekommen hätten; denn ihr Feuer wurde immer
matter, so daß wir Schritt für Schritt vordringen konnten.
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15.
Vor uns lag ein Dorf, das zu erreichen und uns darin fest
zusetzen unser höchstes Bestreben war. Meine Kompanie
drang von rechts her durch ein kleines Wäldchen gegen das
Dorf vor, das anscheinend nicht besetzt war. Von links
über das freie Feld, das zudem noch von verschiedenen
Wassergräben durchzogen war, kamen zwei Kompanien vom
Schwesterregiment. Schon seit einer Viertelstunde hatte
der Gegner ganz aufgehört zu schießen, und wir konnten
annehmen, daß er sich hinter die Höhen, die das Dorf be
grenzten, zurückgezogen habe. An der Spitze meines Zuges
drang ich in die Dorfstraße ein, wo gleich am Eingang des
Ortes ein alleinstehendes Haus meine Aufmerksamkeit er-
Eln Zeppetn über dev
No^ee.
(Zu dem Gefechivvm 24. Januar
1915, jf. 90.)
. Nach einem iiemäl&e von
Zeno Steiner.
regte. Alle Fensterläden in dem Hause waren geschlossen,
nur ein Fenster im Untergeschoß stand offen, und in diesem
lehnte ein altes Weib, das uns, wie mir vorkam, mit teuf
lischer Bosheit entgegensah. Trotzdem ging ich hin und
fragte höflich, ob Franzosen oder Engländer im Dorfe seien.
Wie vorauszusehen war, lautete die Antwort verneinend,
und eben wollte ich den Befehl zum Durchsuchen der Häuser
erteilen, als aus dem Haus, vor dem wir gerade standen,
mehrere Schüsse krachten, und just aus dem Zimmer, an
dessen Fenster die Alte, die jetzt natürlich verschwunden war,
gelauert hatte. Zwei meiner Leute sanken getroffen zu
Boden. Ich selbst wurde durch einen Schuß in den linken
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Oberarm verwundet. Und jetzt ging's
auch aus den anderen Häusern los,
ein mörderisches Feuer von allen
Seiten. Der hinterlistige Angriff
hatte zur Folge, daß meine Leute
erst Zurückfluteten, dann aber, von
einer beispiellosen Wut gepackt, desto
wilder vorgingen. Im Nü waren
an dem ersten Hause die Türen ein
geschlagen, und wer stand in der
Stube mit aufgehobenen Händen?
Natürlich Engländer! Die Feiglinge
konnten wohl aus dem Hinterhalt
schießen, aber die Folgen ihres hinter
listigen Tuns wollten sie nicht auf
sich nehmen. Mitten unter ihnen
stand das alte Weib, eine echt flä
mische Here, gleichfalls mit aufge
hobenen Händen, laut jammernd.
Nachdem wir die Leute gefangen
genommen und untergebracht hatten,
ging's im Marsch-Marsch weiter; denn
unsere Leute waren in höchster Be
drängnis. In allen Häusern steckten
Engländer, unsere Verluste häuften
sich, und vom Nordrande brachen
englische Verstärkungen in das Dorf.
Es war die reinste Hölle. Die Ge
schosse summten wie ein Hornissen
schwarm, zudem standen wir meist
ungedeckt einem gut gedeckten Gegner
gegenüber. Haus für Haus, Scheune
für Scheune wurde genommen, ver
loren, genommen. Messer, Bajonett,
Kolben, Revolver, Fäuste wüteten
gegeneinander. Ich sehe noch jetzt
ein Bild vor mir, das aus dem Qualm
und Pulverdampf mir geradezu in
die Augen stach, so daß ich im wü
tenden Ringen wie gebannt stehen
blieb. Einer meiner Leute, der mir
schon oft wegen seiner Gewandtheit
und Kraft aufgefallen war, hatte sich
in einen regelrechten Boxkampf mit
einem breitgebauten, stiernackigen
Engländer eingelassen. Wie es kam,
ich weiß es nicht, genug, keiner von
beiden hatte eine Waffe in der Hand,
nur mit den Fäusten hieben sie auf
einander los. Das brutale Gesicht
des Engländers war rot angelaufen,
während mein Unteroffizier, der,
wie ich aus einzelnen Worten ent
nahm, mit denen er den Gegner zur
höchsten Wut aufstachelte, auch Eng
lisch sprechen konnte, kalt lächelnd seine
Hiebe austeilte. Während ich noch
stehe und auf das seltsame Bild starre,
höre ich rechts und links von mir in
deutscher und englischer Sprache Er
munterungsrufe, und wie ich mich
aufraffe und den Blick wandern lasse,
sehe ich eine Gruppe von Leuten,
wohl fünfzehn, Deutsche und Eng
länder, die gleich mir dem Zwei
kampf zusehen und im Schauen das
blutige Ringen ringsum vergessen
haben. Mich wundert nur, daß bei
den Engländern nicht gewettet wurde; denn sie befanden
sich in einer leidenschaftlichen Aufregung, während unsere
Leute wie gebannt hinschauten. Zwei, drei Minuten wohl
dauerte der Kampf, dann hatte der Engländer genug. —
Auch in anderen Teilen des so ausgedehnten westlichen
Kriegschauplahes haben unsere Truppen im Laufe des Mo
nats erhebliche Fortschritte gemacht. So bei Vailly, dessen
Erstürmung wir bereits Band I Seite 460 und Seite 8 dieses
Bandes schilderten.
Ebenso brachten die Kämpfe in den Argonnen (s. a. unsere
Vogelschaukarte S. 98), über die wir schon mehrfach berichteten
(Bd. I S. 374, 391 und S. 31 dieses Bandes), Fortschritte für