Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
Phot. 21. Grohs, Berlin. 
werden. Infolgedessen ergaben sich drei Zonen verschiedener 
Art vor der Siegfriedstellung. Die erste war die bisherige 
deutsche Stellungszone hart am Feinde; die zweite ein fried 
licher Gürtel besetzten Landes, in dem man nur Brücken und 
Straßen zerstörte, die Wohnstätten bestehen und die Einwoh 
ner zurückließ. Die dritte war die eigentliche Schutzzone vor 
der neuen Front, gleichsam das Glacis für die zukünftigen 
Kämpfe. Hier war eine planmäßige Zerstörungsarbcit nötig, 
ähnlich derjenigen, die bei Kriegsbeginn im Vorgelände 
der deutschen Festungstädte ausgeführt wurde, nur natürlich 
viel gründlicher. Ich bin wenige Tage vor der Räumung 
durch diese Kriegszone gefahren, wahrlich — erst solche 
Bilder des unerbittlichen Krieges lassen einen den Segen 
des Friedens ganz empfinden, der der deutschen Heimat seit 
der Abwehr der Russen beschieden ist. Städte und Dörfer, 
bisher bewohnt und inmitten grünender Felder und Obst 
gärten gelegen, rauchten in Schutt und Asche. Sie mußten 
gesprengt werden, damit der Feind keine Ortsquartiere 
fände, Überall legten die Pionierkommando die letzte 
Hand ans Werk, Straßenkreuzungen, Brücken, Kanäle und 
Deutsche Soldaten beim Baden im Wardar in Mazedonien. 
Schleusen waren miniert, die Kammern geladen. Hoch 
bepackt zogen schwere und leichte Kolonnen, Batterien und 
Feldfahrzeuge in bunter Reihe gen Osten. Der Feind 
hat keine Rolle Stacheldraht, keine Schiene, keinen Spaten, 
kein Kabel, keinen Keller und keinen Brunnen vorgefunden. 
Flußtäler waren kilometerweit durch Aufstauung unter 
Wasser gesetzt worden. Elektrische Leitungsmasten lagen 
geborsten am Wege. Wälder waren abgeholzt, die hohen 
Alleebäume angesägt worden, um in der letzten Stunde 
vor dem Abrücken als Hindernis über die Straße geworfen 
zu werden. Und das Merkwürdige war: die Truppen voll 
führten khren großen „Umzug," in einer absoluten Sieger 
laune, ohne eine Spur von Niedergeschlagenheit, einig 
in der Freude der wiedergewonnenen Bewegung und in 
dem Vertrauen auf die kluge Voraussicht der Führung. 
Der Feind erkannte auch hier die Vorbereitungen erst, 
als es für ihn zu spät war. Daran ändern auch die ge 
legentlichen Plakate der Spaßvögel nichts, die sich drüben 
den Anschein gaben, als ob sie was Gewisses wüßten. So 
die- Franzosen bei Roye: „In eure Hindenburgfalle gehen 
wir nicht." Oder die Engländer vor Bapaume: „Sollen 
wir beim Umzug helfen?" Die feindlichen Heeresleitungen 
verhielten sich sehr ungewiß. Das Wetter an den beiden 
kritischen Tagen begünstigte das Abrücken außerordentlich. 
Die Wahrung des Geheimnisses einer Stellungsänderung 
von diesem Umfange ist, an und für sich betrachtet, schon 
eine militärische Disziplinleistung allerersten Ranges. Die 
folgerichtige Verwirklichung des Räumungsplanes bleibt 
angesichts eines Gegners von anerkannter Qualität eine 
seltene Tat militärischer Überlegenheit und Energie. 
Der erste Erfolg dieses unblutigen Sieges von Hinden- 
burg und Ludendorff war: Bewegung an der Westfront, 
offene Gefechte in Wald und Flur, Überraschungen, Nach 
huten und Patrouillen, auffahrende Artillerie, Kavallerie, 
Radfahrer. Schwerfällig folgte der Engländer, feuriger 
der Franzose,' schwere blutige Verluste in den ungezählten 
Scharmützeln erlitten sie beide. Strategisch war ihnen das 
Heft ganz aus der Hand genommen- ihre große Frühjahrs 
offensive war zusammengebrochen vor dem leeren Raum. 
Monate müssen vergehen, ehe sie an dieser Front so heran 
sind, daß sie einen Angriff großen Stiles unternehmen 
können. 
Aber die Zeit drängte, und die Il-Boote halfen nach. 
Der Feind schwenkte seine 
Angriffsdivisionen und 
seinen Artilleriepark ab 
nach links und rechts,' die 
Engländer, bemerkens 
wert rasch gesammelt, 
stellten sich im Raume 
von südlich von Arras bis 
Lens, die Franzosen zwi 
schen Soissons und Reims 
zur Schlacht bereit. Nach 
übereinstimmendem Pla 
ne, wenn auch zu ver 
schiedenen Zeiten, gingen 
sie geg.en die vermuteten 
Ansatzstellen der neuen 
deutschen Front, dort also, 
wo sie in die alte Linie 
mündete, umfassend vor. 
Die Siegfriedstellung 
sollte von den Flanken 
und vom Rücken her auf 
gerollt werden. Hierüber 
das nächste Mal. 
Die russische 
Sommeroffensive. 
Von Major a. D. E. Moraht. 
Als die westliche Hee- 
reskrast unserer Gegner 
durch den Angriff des 
deutschen Heeres auf Ver 
dun tief erschüttert war, 
beschloß man im „Großen 
Kriegsrat" der Verbands 
mächte etwa im Mai des Jahres 1916, die russischen Massen 
zur Entlastung in Bewegung zu setzen. England war, wie 
man später aus einer Erklärung des Sir Douglas Haig, 
des Höchstkommandierenden der britischen Truppen auf 
dem Festlande, erfuhr, noch nicht bereit. Es blieb also 
nichts anderes übrig, als auf die Russen zurückzugreifen, 
wenn man nicht Gefahr laufen wollte, durch immer 
stärkere, vom Osten herangeführte deutsche Truppen um 
den Besitz von Verdun gebracht zu werden. Rußland 
hatte seit seiner gescheiterten Frühjahrsoffensive Zeit ge 
habt, sich wesentlich zu verstärken. Weitere Transporte aus 
dem Osten waren angelangt und die jüngste Mannschaft 
war unter die kriegserprobten Divisionen eingeteilt worden. 
Die Munitionsversorgung durch England und Amerika 
hatte mittlerweile ein gutes Ergebnis gehabt, weil die 
Transportschiffe noch ziemlich ungehindert den Hafen von 
Archangelsk, der ja im Sommer eisfrei ist, erreichen konn 
ten. So ließ sich Rußland bereitfinden, aufs neue mit un 
erhörter Wucht gegen die Fronten im Osten anzurennen, 
mit dem Zweck, eine großzügige Entlastung für die Ver 
bündeten im Westen zu erzielen. 
Es wurden Anfang Juni 1916 ungeheure Menschen 
massen in Bewegung gesetzt. Die strategischen Ziele für
	        
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