Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
Deutsche Soldaten an einem Sonntagmorgen am Wardar im serbischen 
eine siegreiche Entscheidung des Krieges im Jahre 1917 
will, m u ß die eigene Offensive in sein Programm stellen. 
Und so ist das Charakteristikum der Monate Januar und 
Februar die Vorbereitung der großen Offensive 1917 ge 
wesen. Die Feinde befürchteten eine solche von Hinden- 
burg und bereiteten selbst eine solche vor. „Hindenburg 
in Tirol", „mögliche Landung deutscher Truppen in Eng 
land", das sind einige von den Schlagworten der Vier 
verbandspresse, die der Winter 1916/17 geprägt hat und 
die deutlich ein Dreifaches erkennen lassen: 
1. daß die beispiellos rasche Niederwerfung Rumäniens 
von größter Wirkung hinsichtlich der Einschätzung deutscher 
Kraft und Hindenburgschen Genies war; 
2. daß man, trotz aller Phrasen über Deutschlands Er 
schöpfung, doch nichts mehr fürchtete» als eine deutsche 
Offensive; 
3. daß man sich darüber klar war, daß nur eine Offen 
sive die gewünschte Entscheidung bringen konnte. 
Die Frage, wo die Offensive 1917 stattfinden soll, oder 
ob eine oder mehrere Offensiven gleichzeitig geführt oder 
erwartet werden, ist endlich entscheidend für das Erup- 
pierungsproblem. Auch dieses ist von strengen Ge 
heimnissen durchsetzt, so daß mehr als Theoretisches nicht 
darüber gesagt werden kann. Die Grundlage jeder Offensiv 
gruppierung ist seit den Kriegen Alexanders des Großen 
und Julius Cäsars unverändert geblieben. Der leitende Ge 
danke baut sich auf den Grundgesetzen jeder Strategie auf: 
1. daß der Sieg nur durch Überlegenheit an 
entscheidender Stelle zu erringen ist; 
2. daß Überlegenheit an e i n e r Stelle nur durch Kraft 
ersparnis an soundso viel anderen Stellen zu erreichen ist. 
Die schwierigen praktischen Fragen, die sich aus diesen 
Grundgesetzen der Strategie für den gegebenen Fall ent 
wickeln, betreffen zum Beispiel die Entscheidung über fol 
gendes: 
Wo liegt der Punkt oder wo liegen die Punkte der 
Entscheidung? Wieviel Kraft muß an diesen Punkten in 
Bewegung gesetzt werden? Woher ist diese Kraft zu nehmen? 
In wie hohem Maße sind andere Stellen von Kraft zu 
entblößen, ohne allzu große Gefahr, dort einem- feindlichen 
Angriff zu erliegen? 
Alle diese Fragen sind heute, wenigstens im großen, 
bei allen Kriegführenden entschieden. Im Februar er 
folgte noch die wahrscheinlich endgültige Gruppierung der 
russischen Armeen in eine Nordgruppe Rußki, eine Mittel 
gruppe Ewerth und eine Südgruppe Eurkow. Innerhalb 
dieser Dreiteilung wird die Hauptkraft einer Gruppe zu 
gewiesen. 
Schon einige Wochen früher fand die Gruppierung der 
Engländer und Franzosen vor der deutschen Westfront statt, 
der zufolge sich die Eng 
länder nur rund 12 Kilo 
meter nach Süden weiter 
ausdehnten als bisher. 
Diese geringfügige Über 
nahme französischerFront 
deutete daraus hin, daß 
hier zwei operative 
Zentren gebildet 
wurden: ein englisches 
mld ein französisches, die 
das Material für zwei ne 
beneinanderlaufende Of 
fensiven geben können. 
Zum Verständnis der 
großen Offensiven, die 
der Weltkrieg schon ge 
bracht hat und zweifel 
los noch bringen wird, 
dient eine einigermaßen 
klare Vorstellung von den 
Bedingungen einer ope 
rativen Offensive unter 
Zugrundelegung der mo 
dernen Stellungskriegs 
verhältnisse. 
Nur diese letzteren 
sollen in den folgenden 
kurzen Ausführungen be 
rücksichtigt werden. 
Von Meer zu neutralem Staat liegen sich im Westen 
seit Herbst 1914 eiserne Mauern gegenüber. Jede Möglich 
keit, strategische Bewegungen zu machen, ist beiden Teilen 
z u n ä ch st genommen. Man befindet sich im Zustande 
völliger „Gebundenheit". Diese Gebundenheit ist das 
charakteristische Merkmal moderner „Schützengrabenstra 
tegie". Früher war das alles ganz anders. Man ging da in 
strategischer Freiheit aufeinander los (ein solches Bild opera 
tiver Freiheit zeigt der Krieg in Rumänien) und konnte sich 
beim Vormarsch zur Schlacht für die taktischen Verhältnisse 
i n der Schlacht und sogar nach der Schlacht vorbereiten, 
das heißt gruppieren. Moltke bereitete schon im Vormarsch 
1866 die Umfassung der österreichisch-ungarischen Armee 
bei Königgrätz vor, er zwang durch seine Strategie Bazaine 
am 18. August 1870 bei Eravelotte-St. Privat zur Schlacht 
mit verkehrter Front, er schloß die französische Armee bei 
Sedan durch die Form seines strategischen Anmarsches schon 
so ein, daß ein einfaches Weitervordringen der deutschen 
Armeekorps in der eingeschlagenen Richtung die Kapitu 
lation der französischen Armee herbeiführen mußte. 
Die strategischen Maßnahmen bereiteten also den tak 
tischen Erfolg in höchst wirksamer Weise vor. 
Im Schützengrabenkrieg ein ganz anderes Bild: hier 
muß die Taktik zunächst einmal der Strategie gewissermaßen 
zum Leben verhelfen. 
Es handelt sich hier in allererster Linie darum, die 
feindliche Front an einer Stelle in hinreichender Ausdeh 
nung zu durchbrechen. Ein solcher Durchbruch ist eine 
rein kampftaktische Handlung, die an sich mit Strategie 
gar nichts zu tun hat. 
Der Durchbruch wird also zum ersten Akt der Offen 
sive. Was heißt nun durchbrechen? Wenn beispielsweise 
auf 5 Kilometer Front eine feindliche Linie genommen ist, 
so ist das in einer Hinsicht ein Durchbruch, in anderer Hin 
sicht wieder keiner. Es ist ein Durchbruch in bezug auf die 
vorderste Linie des Feindes, von der ja ein Stück von 
5 Kilometern Breite in die Hand des Angreifers fiel. Es ist 
aber kein Durchbruch, sondern nur ein unter Umständen 
ganz bedeutungsloses Annagen der Front in Hinsicht auf 
das gesamte Verteidigungssystem des Feindes, das aus 
mehreren Stellungen, von denen wiederum jede aus mehre 
ren Linien zusammengesetzt ist, besteht. Ein Durchbruch ist 
dann erst vollendet, wenn das ganze System durchbrochen 
ist und die durchgebrochenen Truppen sich im freien Ge 
lände befinden. 
Hier kann dann die Strategie erst eigentlich beginnen. 
Jetzt kann sie sich entscheiden, ob sie die übrige Front des 
Gegners nach rechts oder nach links „aufrollen", oder ob 
sie nach vorwärts weiterdrängen will. Jetzt erst ist der 
Stellungskrieg in den Bewegungskrieg umgewandelt, jetzt
	        
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