Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
fahren; das Wetter war klar, die See ruhig, und alles ging 
deshalb bis zuin 4. Dezember nach Wunsch. An diesem Tage 
lagen wir aus 20 Grad westlicher Länge und dachten selbstver 
ständlich nicht, daß schon die nächsten Stunden uns eine sehr 
peinliche Überraschung bescheren würden. Ich saß unten 
in der Messe und speiste zu Mittag, als von der Brücke 
gemeldet wurde, daß ein Dampfer in Sicht sei, was ja an 
sich nichts Besonderes weiter war. Als ich jedoch hinaufkam, 
sah ich zu meiner Verwunderung, daß der Dampfer zuerst 
mit Kurs von Norden nach Süden lief, dann jedoch den 
Kurs mehrfach änderte, schließlich einen großen Bogen um 
uns beschrieb und dann geradeswegs auf uns zuhielt. Ich 
suchte ihm durch ein eiliges Steuermanöver aus dem Wege 
zu gehen, er aber drehte uns plötzlich die Breitseite zu und 
hißte im gleichen Augenblick das Signal: „Stoppen Sie 
sofort!" Gleich darauf ging auch die deutsche Kriegsflagge 
hoch, die Bordverkleidung verschwand, und wir gewahrten 
zu unserem Schrecken, daß wir anstatt eines friedlichen 
Handelsdampfers ein modernes deutsches Kriegschiff vor 
uns hatten, das die Mündungen seiner Geschütze auf uns 
gerichtet hielt. Wenn noch irgend ein Zweifel möglich ge 
wesen wäre, so hätten ihn die vier Torpedoausschußrohre 
Phot. Berk. JUustrat.-Ges. nt. b. H. 
Die Überreste des Ln der Nacht vom 23. zum 24. Februar 1917 durch Abwehrfeuer brennend zum Absturz gebrachten 
französischen Luftschiffes im Walde bei Wölferdingen. 
und die, außer den anderen Geschützen, am Bug, am Heck 
und auf dem Mitteldeck aufgestellten Kanonen sehr bald 
beseitigen müssen. 
Der deutsche Kreuzer setzte alsbald zwei Boote aus, 
die mit 2 Offizieren, 30 Mann und 1 Signalgast bemannt 
wurden; diese waren samt und sonders bis an die Zähne 
bewaffnet und brachten auch gleich einige für unser Schiff 
bestimmte Bomben mit. Die Offiziere und einige Mann 
gingen mit mir in den Salon hinunter und verlangten die 
Papiere zu sehen, aus denen hervorging, daß das Schiff 
mit Stückgut nach Bordeaur fuhr, während die Offiziere 
behaupteten, daß sich Bannware an Bord befinde und das 
Schiff deshalb versenkt werden müsse. Ich gab schließlich 
zu, daß ein Drittel der Ladung in der Tat aus Bann 
ware bestehe, daß es jedoch gegen alle Übung sei, aus 
einem solchen Grunde ein Schiff zu versenken. Darauf 
hin schritten die Offiziere zu einer näheren Untersuchung 
der Ladung, und als sie entdeckten, daß ich Zink und Mes 
sing an Bord hatte, schickten sie den Signalgast auf die 
Kommandobrücke und holten vom gegenüberliegenden 
Kreuzer Anweisungen ein. Diese lauteten: „Das Schiff 
wird versenkt!" 
Die Offiziere fragten, ob wir noch etwas von unserem 
persönlichen Eigentum mitnehmen möchten; dann müßten 
wir uns allerdings beeilen. Inzwischen wurden im Maschinen 
raum schon die Bomben gelegt. Es glückte mir jedoch noch, 
die Schiffspapiere und zwei Säcke mit 600 Konserven 
büchsen auf den Hilfskreuzer hinüberzunehmen. 
Als ich an Bord des Kreuzers kam, legte ich bei dessen 
Kapitän gegen die Versenkung des „Hallbjörg" Protest ein. 
Ich fand den Kapitän in seiner Kabine, und während ich 
mit ihm sprach, wurde ich auf die an der Wand hängende 
Abbildung eines Schiffes und eines Schiffsdurchschnitts auf 
merksam; über beiden stand „S. M. S. Puyme". 
„Das Bild scheint Sie ja lebhaft zu interessieren," sagte 
der Kapitän, dem mein Blick nicht entgangen war, „ich mache 
Sie deshalb von vornherein darauf aufmerksam, daß Sie 
sich nicht etwa an Bord des Schiffes dort befinden ..." 
Mehr sagte er darüber nicht. 
Ich fragte sodann, ob es mir erlaubt sei, die Versenkung 
meines Schiffes zu photographieren, was mir gestattet 
wurde. Als es soweit war, ließ mich der Kapitän rufen 
und sagte mir, mit der Uhr in der Hand: „In zwei Mi 
nuten erfolgt eine Erplosion im Maschinenraum." 
Und in der Tat — nach genau zwei Minuten gab es 
einen furchtbaren Knall und gewaltige Maschinenteile wur 
den durch das Deck hindurch wie Spielzeug in die Luft 
geschleudert. 
„Nach genau drei Mi 
nuten wird das Achter 
schiff folgen," sagte der 
Kapitän, „und dann erst 
kommtdas Vorderschiff." 
Und ganz so geschah es 
auch. Es war Punkt 
drei Uhr füufundvierzig 
Minuten auf 49 Grad 
nördlicher Breite und 
26Erad westlicher Länge, 
als ich mein Schiff zum 
letzten Male sah.... 
In den unteren Räu 
men des Kreuzers fan 
den wir 93 Mann von 
dem englischen Dampfer 
„Voltaire" aus Liver 
pool vor, der am Tage 
vorher versenkt worden 
war; am übernächsten 
Tage gesellten sich zu uns 
von einem mit Fischen 
beladenen, nach Gibral 
tar bestimmten Neufund 
landschoner noch 6 Mann. 
. . . Am Abend des 
selben Tages kam der 
der Canadian Pacific 
Railway, Quebec, ge 
hörige Dampfer „Mount 
Temple" in Sicht, der 
gegen 750 Pferde, eine große Hundeherde und über 
5000 Tonnen Stückgut an Bord hatte. Der Dampfer wurde 
wie jeder andere versenkt. 
Am 8. Dezember gab es schon wieder eine neue Be 
gegnung: diesmal war es der von London stammende 
Dampfer „King George", der außer einer Ladung Stück 
gut auch noch 750 Tonnen Pulver an Bord führte. — Auf 
dem deutschen Kreuzer schien man es sich eine Weile zu 
überlegen, was mit dem Engländer anzufangen sei; dann 
aber wurden langsam und sehr vorsichtig die Seeventile 
geöffnet und nach rund acht Stunden war der Dampfer 
von der Meeresfläche verschwunden. Die Berechnung der 
Deutschen war auch in diesem Falle sehr richtig, denn hätten 
sie dem Dampfer ein Torpedo geschickt oder Bomben in ihn 
gelegt, so wäre alles im Unikreis von vielen Meilen — und 
darunter auch das deutsche Schiff selbst — durch die Erplosion 
der riesigen Pulverladung zerstört worden. 
Am 9. Dezember wurde der in Liverpool beheimatete 
Dampfer „Cambrian Range" versenkt, der mit Stückgut 
und 38 Mann Besatzung von Baltimore nach Liverpool 
unterwegs war; am nächstfolgenden Tage bereits kam der 
der White Star Line gehörige „Eeorgic" in Sicht, der 
außer 7000 Tonnen Stückgut gegen 1200 Pferde geladen 
hatte. Der deutsche Kreuzer mußte vier scharfe Schüsse 
abfeuern, bis der englische Dampfer, der sich auf der Fahrt
	        
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