Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Sechster Band. (Sechster Band)

122 
Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/17. 
für ihn die grundsätzliche Stellung gegeben: er verkündete 
die Neutralität der Vereinigten Staaten, aber er fühlte sich 
von der Zehe bis zürn Scheitel als Britenfreund. Und die 
Londoner Presse, vorab der Harrnsworthring, der schon in 
der Friedenszeit so vortrefflich es verstanden hatte, auf dem 
Fuß der innigen großkapitalistischen Freundschaft zwischen 
Lombard- und Wallstreet die maßgeblichen Zeitungen 
New Yorks für die Eduardsche Einkreisungspolitik zu gewin 
nen, machte ihm diese Parteinahme so leicht wie möglich. 
Jeder „Mann auf der Straße" betete die Ereuelnachrichten 
von den teutonischen Vandalen nach, und es erschien nichts 
selbstverständlicher, als daß der Präsident im Namen der 
freiheitliebenden und auf höchster Kulturblüte stehenden 
amerikanischen Nation, als Weltgewissen und Richter über 
Gut und Böse in der Völkergesellschaft, schirmend vor die 
durch das germanische Barbarentum vergewaltigten großen 
und kleinen Völker sich stellte. So 
kamen die Tage der „Lusitania", da die 
Entscheidung, ob das Sternenbanner 
reich sein Schwert mit in die Schanze 
des Verbandsrings schlagen sollte, auf 
des MZsers Spitze stand. 
Allmählich freilich konnte eine noch 
so planmäßig betriebene Lügenfabri 
kation das Durchsickern der Wahrheit 
über die Vorgänge auf den euro 
päischen Kriegschauplätzen nicht ver 
hindern, und jetzt ward Wilsons Hal 
tung erst recht merkwürdig. London, 
das wußte, daß es von Washington 
nichts zu fürchten hatte, nahm sich in 
der bekannten hemdärmeligen Manier 
John Bulls heraus, was es wollte; 
um das Gesicht zu wahren, sah sich 
der Präsident genötigt, von Zeit zu 
Zeit eine mehr oder weniger gelinde 
Protestnote gegen Posträubereien, die 
willkürliche Maßregelung des Handels 
verkehrs und ähnliche Abergriffe nach 
der Themse zu senden. Aber: 
Was über altem Schein, trag ich in mir, 
All' dies ist nur der Freundschaft Kleid 
und Zier: 
so durfte man von diesen diploma 
tischen Schriftstücken in Abwandlung 
eines bekannten Shakespeareschen 
Spruches sagen. Wilson hat sich mit 
Bryan überwarfen, als dieser die 
amerikanische Politik auf einen Kurs 
festlegen wollte, der die Neutralität 
der Union dauernd gesichert hätte; 
aber er hat niemals sich darüber be 
schwert gefühlt, daß im Auswärtigen 
Amt der Pennsylvania Avenue eine 
ganze Reihe von Männern, die gebo 
rene Briten und zum Teil nicht einmal 
naturalisiert sind,' einflußreiche Stel 
lungen einnehmen und für die nötige 
Hrrzensvertraulichkeitder Beziehungen 
mit Downing Street sorgen. Gleich 
wohl wäre es ungerecht, zu über 
sehen, wie der Präsident es tatkräftig durchsetzte, daß Lon 
don dem amerikanischen Hilfswerk für Belgien und dessen 
Versorgung mit Lebensmitteln freien Weg ließ; es mußte 
eben doch etwas Wirkliches im Namen der „Menschlichkeit" 
geschehen, die der immer wiederkehrende Erundton in allen 
Reden und amtlichen Schriftstücken des Herrn im Weißen 
Haus ist. Im übrigen aber zog dieser sich immer mehr 
gleichsam in das Schneckengehäuse seiner politischen Lehr 
haftigkeit zurück. Bei seinem Amtsantritt hatte er das 
Schlagwort von der „erbarmungslosen Öffentlichkeit" aus 
gegeben, in der er sein Amt führen und jedem Rede stehen 
wolle, um die Regierung in möglichst reinen Eleichklang mit 
der Volkstimmung zu bringen. Die Wirklichkeit zeigt ein 
genau gegenteiliges Bild. Kaum jemals hat die Fühlung 
zwischen dem Präsidenten und dem Kongreß und Senat 
mehr zu wünschen übrig gelassen als zu Wilsons Zeit; nie 
mals hat sich ein dichterer Schleier über die Geheimnisse der 
in den diplomatischen Kabinetten am Potomac von wenigen 
verantwortlichen und unverantwortlichen Geschäftsführern 
gebrauten Außenpolitik gebreitet. In der Mitte seiner 
Vertrauten aber sitzt Wilson und hütet „das Gesetz" mit der 
Starrköpfigkeit eines Shylock. Er baut seine Politik wie 
ein Rechtsanwalt und Richter auf; das harte Gesetz, nicht das 
quellende, urwüchsige, in hunderterlei Farben schillernde 
und in tausend Begehrlichkeiten vorwärtstreibende Leben 
der Völker erscheint ihm als Grundsatz und schöpferisches 
Element der Staatskunst. Wenn aber irgendwo, so gilt hier 
das Eoethesche Mahnwort: 
Vernunft wird Unsinn, Unsinn Plage, 
Weh dir, daß du ein Enkel bist, 
Vom Rechte, das mit uns geboren, 
Von dem ist, leider! nie die Frage. 
Ein wirklich großer Staatsmann kann nicht sein ohne das 
tiefe sittliche Bewußtsein und Empfinden, daß noch weniger 
als des einzelnen Menschen Taten die Handlungen der Na 
tionen nach juristisch formulierten Be 
griffen zu beurteilen sind, daß, zähmt 
die Politik Blut und Sprache des Her 
zens, sie es tun soll aus dem Drang, 
das Leben mit dem Verstand zu durch 
schauen, aus seinen Leidenschaftlich 
keiten und scheinbaren Zufälligkeiten, 
wie bei der Verkettung tragischen 
Szenenspiels, das Zwangsläufige und 
aus ihm den Sinn des Daseins und 
der Welt, die sich drohend gegen den 
Menschen erhebt, zu erkennen, sie zu 
beherrschen, als Denkender ein Logiker, 
als Handelnder aber ein Ethiker zu 
werden. Das sind die Eigenschaften 
und Jnnenkräfte, die Wilson fehlen; 
darum hat er kein wirkliches Ver 
ständnis für den Heldenkampf Deutsch 
lands gegen einen Ring haßerfüllter 
Feinde, darum konnten die Mittel 
inächte auch kein Vertrauen zum 
Schiedsrichteramt, zu dem er sich be 
rufen fühlte, gewinnen. Darum blieb 
ihnen auch, als nach Ablehnung ihres 
Friedensangebots der verschärfte U= 
Bootkrieg eine dringende Notwendig 
keit wurde, nichts anderes übrig, als 
kühlen Herzens abzuwarten, welche 
Taten den: Abbruch der diplomati 
schen Beziehungen folgen würden. 
Verteidigung des polnischen 
Gutes Poronosziewo. 
(Hierzu das Bild Seite 124/123.) 
Ein Teil der von General Rennen 
kampf geführten Niemenarmee hatte 
sich in den fünf bis sechs Wochen, die 
dem eiligen Rückzug aus Nordost 
preußen im letzten Augustdrittel 1914 
folgten, unter teilweise heftigen Ge 
fechten (Tilsit, Shaki, Wladislawow, 
Kirbarty) in weitem Bogen nach Wilna 
zurückgezogen. Den äußersten linken 
Flügel der nachdrängenden deutschen 
Streitkräfte bildete die Landwehrdivision der Hauptreserve 
Königsberg unter Generalleutnant Sommer, die am 13. 
und 14. September die Russen aus Tilsit hinauswarf und 
hierauf der Grenze entlang über Ragnit, Lasdehnen, Cchir- 
windt-Wladislawow, Wilkowischki den Vormarsch auf Ma- 
riampol fortsetzte. Überlegene russische Massen geboten je 
doch einem weiteren Vordringen in den letzten September 
tagen halt, und die Division nahm zwischen Wladislawow 
und Wilkowischki eine Ausnahmestellung ein, deren Mittel 
punkt das große Gut Szukle des Fürsten Wronsky war. 
Brandenburgische und pommersche Landwehrersatzbatail 
lone bildeten hier auf vier Wochen den Eckpfeiler der zäh- 
verteidigten „Feldstellung um Wirballen", wie die Ab 
schnittsgefechte in diesem Teil des Gouvernements Su- 
walki zusammenfassend jetzt genannt werden. 
Das ziemlich umfangreiche Gut Poronosziewo, zwei 
Kilometer nordwestlich Szukle an der Szeimena gelegen, 
wurde am Abend des 5. Oktober 1914 von 2 Kompanien 
des 1. Ersatzbataillons Landwehrregiments 12 besetzt und 
Phot. Presse-Photo-Vertrieb, Berlin. 
Oberleutnant z. S. Wolfgang Steinbauer, 
der Kommandant des II-Bootes, das am 27, Dezem 
ber 1916 im Ägäischen Meer das von Bewachnngs- 
streitkräften gesicherte französische Linienschiff „Gau- 
lois", am 1. Januar 1917 im Mittelmeer den von 
Zerstörern begleiteten englischen Truppentransport- 
dampfer „Jvernia", und am 3. Januar ebenda einen 
weiteren Transportdampfer versenkt hat.
	        
Waiting...

Nutzerhinweis

Sehr geehrte Benutzerin, sehr geehrter Benutzer,

aufgrund der aktuellen Entwicklungen in der Webtechnologie, die im Goobi viewer verwendet wird, unterstützt die Software den von Ihnen verwendeten Browser nicht mehr.

Bitte benutzen Sie einen der folgenden Browser, um diese Seite korrekt darstellen zu können.

Vielen Dank für Ihr Verständnis.