Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Die Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
lSchlutz.) 
„Meine Herren, die deutschen Bevollmächtigten!" Ehe 
diese Worte zur Einführung der deutschen Unterhändler 
bei den Friedensverhandlungen in Versailles gesprochen 
werden tonnten, war es noch einmal sehr ungewiß ge 
worden, ob die Beratungen der Feinde Deutschlands 
überhaupt ein tatsächliches Ergebnis haben würden. Trotz 
der Vermittlungsversuche Elemenceaus und Lloyd Georges 
konnten die Gegensätze zwischen Wilson und Orlando zu 
nächst nicht überbrückt werden. Die Italiener fühlten sich 
benachteiligt, weil ihre Wünsche hinsichtlich Fiumes nicht 
erfüllt werden sollten und weil sie bei der Verteilung der 
deutschen Kolonien leer ausgegangen waren. Deshalb 
wurde Wilson, der immer die Gerechtigkeit im Munde 
führte, heftig angegriffen und als Verräter seiner sämt 
lichen Grundsätze hingestellt. Die Italiener warfen ihm 
vor, datz ihn seine Grundsätze nicht haben hindern können, 
das Selbstbestimmungsrecht von dreieinhalb Millionen 
Deutschböhmen zugunsten der Tschechen preiszugeben, und 
datz er gegen Frankreich nicht ebenso entschieden aufgetreten 
sei wie gegen Italien, als es sich um die Verschacherung des 
Saargebietes mit seiner deutschen Bevölkerung und um die 
Bedrückung der Rheinlande gehandelt habe. Man drohte in 
Italien bereits mit dem Anschluß an Deutschland, der Er 
oberung der strittigen Adriaküste und Sonderfriedenschlüssen. 
Weitere Störungen der Pariser Beratungen waren von 
anderen Verbündeten zu befürchten, die Sonderwünsche vor 
brachten. Im Namen der japanischen Abordnung erklärte 
Makino,, datz Japan dem Beispiel Italiens folgen werde, 
wenn nicht seinen Ansprüchen auf die Schantunghalbinsel, 
die ihm in einem Geheimvertrag von England, Frankreich, 
Italien und Rußland als Gegenleistung für die Erlaubnis 
zur Beteiligung Chinas am Kriege zugebilligt worden war, 
Rechnung getragen würde. Wilson verhielt sich auch in 
diesem Falle ablehnend und begründete dies mit „Un 
kenntnis" des Eeheimvertrages. Das bewies aber nur, 
datz Wilson gegen die Raubpolitiker der Feinde nicht auf 
kommen konnte, denn die Grundlagen zu den Pariser Be 
ratungen setzten ja die Unwirksamkeit der Geheimverträge 
voraus. Da Japans Forderungen geneigte Ohren fanden, 
erhob China gegen die Abtrennung seines Gebietes Einspruch 
und bekundete ebenfalls seine Absicht, von den Beratungen 
zurückzutreten. Auch Belgien fühlte sich benachteiligt, weil 
seine Geldsorderungen nicht in erster Linie befriedigt werden 
sollten, und stellte gleichfalls die Rückberufung seiner Ver 
treter in Aussicht. Es gelang jedoch, die Belgier rasch um 
zustimmen. Die Versuche, Italien zu versöhnen, hatten 
schließlich den Erfolg, daß Orlando in der ersten Maiwoche 
nach Paris zurückreiste. 
Die Ankunft der deutschen Unterhändler erfolgte am 
29. April abends in Vaucresson, der Vorstation von Ver 
sailles (stehe untenstehendes Bild). Zu ihrem Empfang 
waren außer dem als Verbindungsoffizier bestimmten fran 
zösischen Obersten Henry erschienen Chalzil, der Präfekt des 
Departements Seine und Oise, und der Gesandtschafts 
sekretär de Montille als Vertreter des französischen Ministers 
des Innern. Die Begrüßung vollzog sich kurz und in höf 
licher Form. 
Tags darauf trafen im Trianon-Pälast-Hotel in Ver 
sailles die Führer der beiderseitigen Abordnungen zum 
Austausch der Vollmachten zusammen. Es erschienen die 
Deutschen Graf v. Brockdorff-Rantzau und Reichsjustiz 
minister Landsberg, der Franzose Jules Eambon, der 
Engländer Bonar Law, der Amerikaner Henry White und 
der Japaner Matsui. Die Begegnung verlief in den unter 
Berufsdiplomaten herkömmlichen Formen. 
Aber Tag für Tag verstrich, ohne datz den Deutschen eine 
Nachricht über den Zeitpunkt der Übergabe des Vertrags 
zugegangen wäre. Erst auf wiederholtes Drängen und 
nach Drohung mit sofortiger Abreise aus Versailles er 
hielten die Deutschen die Mitteilung, datz die Überreichung 
des Vertragsentwurfes am 7. Mai, nachmittags drei Uhr, 
im Trianonhotel stattfinden würde. 
Um die festgesetzte Zeit versammelten sich die Vertreter 
der Gegner, unter denen sich auch Paderewski, der Vertreter 
X XX 
Ankunft der deutschen Friedensabordnung in Vaucresson am 29. April 1919, von wo aus sich die deutschen Delegierten im Kraftwagen nach Ver 
sailles begaben. 
(X) Graf v. Brockdorff-Rantzau, neben ihm Freiherr v. Lersner (XX), der die Vorbereitungen für die Unterbringung der Abordnung traf. 
Nach einer englifchen Darstellung. 
IX Band. 
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