Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
Die Blockade wurde ebenfalls noch nicht milder gehand- 
habt; im Gegenteil, sie erfuhr eher noch eine weitere Ver 
schärfung. Es ergingen neue Verbote an die Neutralen, 
mit Deutschland Handel zu treiben, und deutsche Schiffe, 
die wie bisher geringe Nahrungsmittelmengen von Nor 
wegen in das abgeschlossene Land bringen wollten, wurden 
gekapert (siehe auch den Aufsatz auf Seite 471). Gegen 
Ende Februar untersagten die Engländer auch den deutsch 
finnischen Handel, sie unterbanden ferner den deutschen 
Seefischfang und verhinderten auch weiterhin die Wieder 
aufnahme der holländischen Seefischerei, die im Frieden 
hauptsächlich den deutschen Fischbedarf gedeckt hatte. Die 
von den Vereinigten Staaten in Aussicht gestellten Lebens 
mittelsendungen wurden in Deutschland auch jetzt noch ver 
geblich erwartet, obwohl ein Teil davon bereits in eng 
lischen Häfen lag. 
Mehr Verständnis für die wirtschaftliche Lage in Deutsch 
land kam in einem Bericht einer englischen Offiziersabord- 
nrlng, der am 24. Februar bekannt wurde, zum Ausdruck. 
Die Nachrichtenoffiziere, die Berlin, München, Hannover, 
holfen wird, so daß sie ihr gewohntes Leben wieder auf 
nehmen können." — 
Um diese Zeit befand sich Präsident Wilson auf dem 
Rückwege nach den Vereinigten Staaten, wohin er nach der 
Vollversammlung der Pariser Friedenskonferenz am 14. Fe 
bruar (siehe die Bilder Seite 467), die der Errichtung eines 
Völkerbundes die Wege geebnet zu haben schien, abgereist 
war. An dem oberen Teil der hufeisenförmigen Tafel hatte 
er dort auf goldenem Stuhle rechts neben Clemenceau gesessen 
(siehe Bild Seite 467 oben). Er nahm dasWort zu einer schön 
gefärbten Taufrede auf die „League of Nations", den Völker 
bund, dessen Satzungen fertig vorlagen. Aber war das der 
Völkerbund? Der bekanntgegebene Satzungsentwurf be 
zeugte, daß Wilson seinen Lieblingsgedanken nicht bis zum 
äußersten verfochten, sondern seinen Gegnern Zugeständnisse 
schwerwiegender Art gemacht hatte. Die Deutschland feind 
lichen fünf Großmächte hatten nach dein Entwurf einen Pakt 
geschlossen, der ihr Kriegsbündnis verewigte, ferner die 
Sklavenarbeit der von Frankreich gegen Recht und Menschlichkeit zurückgehaltenen kriegsgefangenen Deutschen bei der Straßenwiederherstellung 
unter englischer Aufsicht im zerstörten französischen Gebiet. 
Nach einer Abbildung in der englischen Zeitschrift The Jllnstrated London News. 
Hamburg, Dresden, Leipzig, Magdeburg und Kassel be 
sucht hatten, wiesen darauf hin, daß die rasche Zunahme 
der Arbeitslosigkeit, der Ernährungschwierigkeiten und der 
Verkehrschwierigkeiten Hungersnot und Bolschewismus im 
Gefolge haben würden. Die Ausbreitung des Bolschewis- 
mus nach Westen sei nur zu verhindern durch Lieferung von 
Rohstoffen und Lebensmitteln nach Deutschland. Ob aber 
dieser Bericht eine Verringerung der Notlage im Gefolge 
haben würde, mußte abgewartet werden. — 
Die in Bern tagende Internationale F r a u c n- 
zusa m menku n f t richtete am 18. Februar an die 
Friedenskonferenz in Paris die Bitte um sofortige Auf- 
hebung der Blockade, weil deren Fortdauer Anarchie erzeuge 
und den Grundsätzen von Freiheit lind Frieden widerspreche, 
für die der Krieg gegen Deutschland angeblich geführt wor 
den sei. Gleichzeitig nahln eine Versammlung des Inte r- 
il a t i o walt n F r n u e n b u li d e s in Westminster (Eng 
land) folgende Entschließung au: „Der Völkerbund Wilsons 
kann nicht in einem Erdteil errichtet werden, der Qualen der 
Entbehrungen leidet; wir verlangen daher auf das ein 
dringlichste, daß die Blockade sofort gemildert und allen not- 
ieidellden Völkern Europas auf jede mögliche Weise ge- 
von ihnen Abhängigen dauernd in ihre Gewalt gab und 
auch die geringe Zahl der noch abseits stehenden Staaten 
unter ihren Willen zwang. Dieser'Bund der Völker duldete 
keine Neutralität; wer nicht eines seiner Glieder sein wollte, 
mußte als Gegner gelten und wurde durch Vorenthaltung 
von Vorteilen gestraft, die das Bündnis seinen Teilhabern 
sicherte. Auf den Willen zum Beitritt kam es dabei gar 
nicht an; die Aufnahme in den Bund war abhängig von der 
Zustimmung der Vereinigten Staaten, Frankreichs, Eng 
lands, Italiens und Japans. Diese fünf Großmächte bil 
deten den Ausschuß, der über die Aufnahme der sich mel 
denden neuen Mitglieder bestimmen sollte. 
Der Satzungsentwurf für den Völkerbund bot auch in 
anderen Teilen für die neue Völkerfreiheit und ganz besonders 
für den Völkerfrieden nur geringe Gewähr. Die Abrüstungs 
frage hatte Wandlungen durchgemacht; sie wurde beiseite 
geschoben durch Bestimmungen, die lediglich Frankreich zu 
gute kamen, das zur Aufrechterhaltung eines Millionen 
heeres berechtigt sein sollte. Auch die Vereinigten Staaten 
bildeten zu dieser Zeit noch neue Regimenter und legten 
neue Kriegschiffe auf Stapel. Natürlich enthielt der Ent 
wurf auch einige lichtere Punkte, wie die Einführung von
	        
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