Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/19. 
Frau Zieh 
(siehe unten 
stehendes 
Bild), die 
durch hyste 
risches Krei 
schen und 
krasse Zwi 
schenrufe, 
auch durch 
die Art des 
Sprechens 
bei ihrem 
erster: Auf 
treten allzusehr an die Damen der Halle erinnerte, die 
sich in der französischen Revolution keinen guten Ruf er 
worben haben. Es mutz übrigens hervorgehoben werden, 
datz ihre beiden Fraktionskolleginnen ihrem Beispiel nicht 
folgen und datz insbesondere Frau Agnes, die als einzige 
Schriftführerin in das Präsidium der Nationalversamm 
lung gekommen ist, keineswegs „unabhängig" wirkt. 
Die meisten weiblichen Abgeordneten sind in der stärksten 
Fraktion, in der Sozialdemokratie, zu finden. Fast alle 
sind Proletarierinnen, die sich ihren Lebensweg mühsam 
selbst gebahnt haben. Von frühester Jugeild haben sie 
in schwerer Erwerbsarbeit gestanden, haben die Feier 
stunden benützen müssen, um die Lücken in ihrer Bildung 
auszufüllen,' die Spuren dieser Mühen sind in fast allen, 
den alten wie den jungen Gesichtern eingegraben. Dieser 
ernste Zug tritt besonders hervor bei der ersten Rednerin 
im Parlament, Frau Marie Juchacz. Aus ihren Augen 
aber spricht der grotze Idealismus, der dazu gehört, sich 
für die Befreiung der Armen und Unterdrückten einzusetzen. 
In weiten Kreisen bekannt ist auch Frau Bohm-Schuch 
lsiehe obensteheudes Bild), namentlich durch ihre Schriften 
über Ehe und Kindererziehung. Sie ist selbst eine sehr 
glückliche Gattin und Mutter. Es ist überhaupt bemerkens 
wert, datz auf der Liuken des Hauses fast lauter verheiratete 
Frauen sitzen. Wenn nun unter den sozialistischen Ver 
treterinnen auch solche aus anderen Gesellschaftskreisen 
sind, wie zun: Beispiel ich selbst, so liegt die Erklärung 
eben darin, datz wir schwer unter dem Kasten- und Klassen 
geist gelitten haben, der die Entfaltung der geistigen Kräfte 
der Frailen zu hindern suchte, und datz wir die Erfüllung 
unserer Ideale durch deu Sozialismus zu verwirklichen 
hoffen. 
Bei den deutschen Deuroiraten, die noch vor kurzem 
zum Teil recht heftige Gegner des Frauenstimmrechts 
waren, sitzen altbewährte Vorkümpferinnen der Frauen 
bewegung, so Dr. Bäumer (siehe untenstehendes Bild) 
und Dr. Bauin. Beide haben sich seit langen Jahren 
um die Hebung der weiblichen Bildung bemüht, und mit 
Recht forderte Dr. Bäumer in ihrer ersten Rede in der 
Nationalversammlung vor allem die Heranziehung der 
Frauen bei den Erziehungsaufgaben. 
Auch das Zentrum, das jahrhundertelang die Forderung 
vertrat: „Das Weib schweige in der Gemeinde", erklärt 
sich heute entschieden für einen Freund des Frauenwahl 
rechts. Es hat aber von jeher die Notwendigkeit erkannt, 
die Frauen zur Mitarbeit bei sozialen und Schulangelegen 
heiten heranzuziehen., So sind denn hier wie übrigens 
auch bei den anderen rechtsstehenden Parteien hauptsäch 
lich Lehrerinnen vertreten. Die bekannteste Abgeordnete 
der christlichen Volkspartei ist Fräulein Dransfeld, die die 
Vorsitzende all der mustergültigen Frauenorganisationen ist, 
auf denen 
eine grotze 
Macht des 
Zentrums 
beruht. 
über eine 
verhältnis- 
mätzig über 
raschend 
grotzeAnzahl 
von weib 
lichen Abge 
ordneten 
verfügt die 
bisher grötzte 
Phot. Th. Anderson, Stuttgart. 
Anna Blos, 
Sozialdemokratische Par tei. 
Phot. Matzdorff, Berlin. 
Klara Bohm-Schuch. 
Sozialdemokratische Partei. 
Phot. Matzdorff, Berlin 
Olkarie Juchacz. 
Sozialdemokratische Partei. 
Frau Elfriede Ryneck. 
Sozialdemokratische Partei. 
Gegnerin 
des Frauen 
stimmrechts, 
die Deutsch- 
nationale 
Volkspartei. 
Unter ihnen 
ragt Fräu 
lein v.Eierke 
(siehe unten 
stehendes 
Bild) her 
vor, die seit 
frühesterJu- 
gend sozial tätig war und sich als Gründerin der Charlotten 
burger Jugendheime einen Namen gemacht hat. wie hat 
eine Reihe grundlegender moderner pädagogischer Forde 
rungen verwirklicht, wie überhaupt ihr warmes Herz, ihr 
reiches Wissen stets den Kindern gehört hat. Gleich ihr hat 
Fräulein Behm (siehe untenstehendes Bild) ein großes 
Organisationstalent bewiesen; sie widmete ihre ganze Kraft 
der Besserung der Lage der Heimarbeiterinnen. 
Viel wird von den: Einflutz der weiblichen Abgeordneten 
im Parlament der jungen Republik erwartet. Sie sollen 
sich durch die Politik nicht hinabziehen lassen, sondern 
suchen, die Politik hinaufzuziehen. Nicht gleichartig soll 
ihr Wirken dem der Männer sein, sondern gleichwertig. 
Nicht mehr dem Dienst des Vaters, des Bruders, des 
Gatten allein soll ihr Leben gewidmet sein; es soll dem 
Dienst des ganzen Volkes gelten. Übt ihn die Frau im Sinne 
des Friedens und der Freiheit aus, dann werden künftige 
Geschlechter nicht mehr begreifen können, weshalb man den 
Frauen so lange die Betätigung ini öffentlichen Leben 
verwehrt hat, und sie werden die Stunde segnen, die auch 
der Tüchtigen freie Bahn geschaffen hat. 
Wiesbaden zur Franzosenzeit. 
iHierzn die Bilder Seile 464.) 
Wiesbaden, im Januar 1919. 
Es gab im Frieden manchen hitzigen Vaterlandsfreund, 
der wegen des internationalen Charakters der Kurstadt und 
der weiten, gewiß hin und wieder auch zur Liebedienerei 
ausartenden Rücksichtnahme auf die, Fremden aus allen 
Ländern über die Gesinnung der Bürgerschaft nur mit 
Achselzucken urteilte. Selbst die laute Begeisterung, wenn 
im Mai der Hof hier Lager hielt, schätzte man lediglich als 
Ausdruck der hellen Freude über ein glänzendes Geschäft 
ein. So hat Wiesbaden unter den Vorurteilen unleugbar 
gelitten. Noch unmittelbar vor den Tagen der Franzosen 
herrschaft verdächtigte man die ehemalige Residenzstadt, daß 
sie in ihrer mehr denn tausendjährigen Abung einer galan 
ten Gastfreundschaft, die für sie zur Goldgrube ward, den 
„neuen Herren" ein Entgegenkommen über alles Maß 
und Ziel erweisen werde. Vielleicht haben die Franzosen 
selbst an einen besonders freundlichen Empfang hier ge 
dacht. Doch alle diese Verdächtigungen sind Lügen gestraft 
worden. Wiesbaden ist stolz und steif geworden, es bewahrt 
seine Würde mit Eifer und Ausdauer, denn daß eine Bühne 
flugs die Neueinstudierung des Pariser Schwankes „Der 
Schlafwagenkontrolleur" anzeigt und einzelne Geschäfte 
ihren Reklamen das Lockmittel „On parle frangais“ bei 
fügen, sind Ausnahmen geblieben. Der Oberbürgermeister 
selbst hat das beste Beispiel gegeben, als er zur Parade 
beim Einzug 
der Truppen 
befohlen 
war,-ersprach 
nur wenige 
Worte, die 
sich auf die 
Versicherung 
beschränkten, 
daß die Bür 
gerschaft ver 
ständig und 
ruhig sei und 
das schwere 
Geschick, das 
Fräulein v. GierLe. 
Teutschnarivnale Bolks- 
partei. 
Phot. Bert. Jllnstrat.-Ees. m. b. H. 
Frau Luise Zietz. 
Unabhängige Sozialdemo 
kratische Partei.
	        
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