Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
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teu legen, die ebensowenig englische Untertanen werden, wie 
sie sich vorher der türkischen Herrschaft unterwerfen wollten. 
Man ist schon damit zufrieden, wenn man sie als Freunde 
weiß, und England wird auch künftig nur als gutzahlender 
Protektor Einfluß auf die zahlreichen Stämme und Fürsten 
Arabiens gewinnen können. In wirtschaftlicher Hinsicht 
besitzt diese größte Halbinsel der Erde, deren noch wenig er 
forschtes Inneres unwegsame Gebirge und öde Wüsten be 
decken, kcine sonderliche Bedeutung. Weitaus wertvoller 
und vor allem günstiger für die Ziele des britischen Impe 
rialismus waren die türkischen Gebiete in Palästina, Syrien 
und Mesopotamien. Sie bilden die natürliche Lünderbrücke 
zwischen Ägypten und Indien,' Arabien, dessen Küstenplütze 
ohnedies in englischen Händen sind, dient der indischen 
Festung als Glacis. Der englische Feldzug in Syrien, der 
im März 1916 mit dem ersten mißlungenen Angriff auf 
die alte Philisterstadt Gaza unweit der ägyptisch-türkischen 
Grenze begann, hat im Oktober 1918 mit der Eroberung 
von Damaskus und Aleppo, den beiden Hauptstädten des 
Landes, seinen Abschluß gefunden. 
England kann aber diese Gebiete 
nicht allein für sich beanspruchen, 
denn auf Syrien macht das ver 
bündete Frankreich ältere Ansprüche 
geltend. In der Tat ist im ganzen tür 
kischen Orient der französische Einfluß 
jahrhundertelang vorherrschend gewe 
sen, ehe er durch die britische Jnteressen- 
politik verdrängt wurde. Die türkisch 
französischen Beziehungen lassen sich bis 
ins 16. Jahrhundert zurückverfolgen. 
Franz I. schloß mit dem großen Sultan 
Solimandem Prächtigen (1520—1566) 
ein Bündnis zum gemeinsamen Kampf 
gegen die spanisch-habsburgische Welt 
macht Karls V. Die türkische Flotte 
unter dem Kommando des Seehelden 
Ehaireddin Barbarossa eroberte im 
Bunde mit der französischen Genua 
und blockierte Korsika und Sardinien, 
während zu Lande der Sultan den 
streitbaren Franzosenkönig durch An 
griffe auf Wien und die Steiermark 
unterstützte. Eine Folge dieser fran 
zösisch -türkischen Waffenbrüderschaft, 
die später von Ludwig XIV. erneuert 
wurde, waren die erst zu Beginn des 
Weltkrieges aufgehobenen Kapitula 
tionen, die den Franzosen (und im 
Laufe der Zeit überhaupt allen euro 
päischen Mächten) besondere exterri 
toriale Vorrechte, wie eigene Gerichts 
barkeit, Postämter, Errichtung von Schulen und anderes 
gewährte. Frankreich nahm für sich den Schutz aller katho 
lischen Christen im türkischen Reiche in Anspruch und ließ ihn 
besonders den im Libanongebiet ansässigen und ein eigenes 
Gemeinwesen bildenden Maroniten angedeihen, die sich zur 
römischen Kirche bekennen. Sie hatten stets unter den Ge 
walttätigkeiten und Räubereien ihrer mohammedanischen 
Nachbarn, der Drusen, zu leiden, was natürlich Frankreich 
willkommenen Anlaß zum Einschreiten zugunsten seiner 
Schützlinge bot. Während des von den Türken begünstigten 
Drusenaufstandes im Jahre 1860 wurden binnen weniger Mo 
nate 14 000 Christen niedergemetzelt. Napoleon III. sandte 
dem General Beaufort lLHautpoul mit einem Erpeditions- 
korps von 10 000 Mann nach Syrien, dem es nach heftigen 
Kämpfen endlich gelang, Ruhe und Ordnung wiederherzu 
stellen. Seitdem hat die französische Regierungdas nordsyrische 
Küstengebiet von St. Jean d^Acre, das einst Napoleon I. ver 
geblich belagerte, bis Tripolis mit Beirut als Zentrum als 
französische Interessensphäre beansprucht und dies auch Eng 
land wiederholt zu verstehen gegeben. „Wenn es die Umstände 
wollen," schrieb 1913 der „Temps", „daß eines Tages das os- 
manische Reich aufgeteilt wird, so bildet logischerweise Syrien 
den Anteil Frankreichs." Das ist bekannt, das ist zugegeben 
und kein nachbarliches Streben hat in dieser Hinsicht jemals 
die Rechte Frankreichs bedroht. Als während des Tripolis- 
und Balkankrieges der Augenblick des Endes der türkischen 
Macht gekommen schien, haben offenbar zwischen London 
und Paris Verhandlungen über die Aufteilung des osmani- 
schen Bärenfelles stattgefunden, so daß am 21. Dezember1912 
der damalige Minister des Äußern, Raymond Poincare, 
sagen konnte: „Die englische Regierung hat uns in freund 
schaftlicher Weise erklärt, daß sie in Syrien weder die Ab 
sicht zu handeln, noch Pläne, noch politische Bestrebungen 
irgendwelcher Art habe." Ein Jahr später gab der Außen- 
minister Gaston Doumergue in der französischen Kammer 
die Erklärung ab, die Regierung gedenke alles aufzubieten, 
um ihren Einfluß in Syrien zu erhöhen und 511 befestigen. 
Nach dem Verlust Ägyptens wollte sich Frankreich das 
syrische Küstengebiet und dessen Hinterland unter allen Um 
ständen sichern. Neben den in Akka, Beirut und anderen 
Küstenstädten bereits bestehenden, meist von französischen 
Orden geleiteten Volks-, Rechts-, Kunstgewerbe- und Han 
delschulen wurden ähnliche Anstalten auch in Damaskus 
errichtet. Auf Frankreichs Drängen bei der Pforte hin er 
hielt das Libanongebiet eine neue autonome Vrrwaltungs- 
form, und Sir Edward Grey wurde zu einer völligen Dcs- 
interessementserklärung Englands in der Libanonangelegen 
heit veranlaßt. (Schluß folgt.) 
Kriegstädtebilder. 
5. Gent. 
Von Paul Otto Ebe. 
(Hierzu das Bild Seite 320.) 
Das war stets eine Freude, wenn 
den Truppen, die monatelang in den 
schlammigen Gräben und Batteriestel 
lungen gehaust hatten, das Glück be- 
schieden war, nach Gent oder in seine 
nähere Umgebung in Ruhe zu kom 
men! Aus der Nässe in der reizlosen 
E'msamkeitdes meist verregneten Flach 
landes führten die Eisenbahnen von der 
Flandernfront, an deren Erweiterung 
unaufhörlich gebaut wurde, nach der 
schönen Etappenhauptstadt der vierten 
Armee. Man sah wieder hohe Häuser, 
ein friedliches Straßenleben, manche 
Kunstwerke und Kostbarkeiten, schmucke 
Lüden, gefüllteStraßenbahnen... kurz, 
man fühlte sich wieder einmal als 
zivilisierter Mensch! 
Die vielen Behörden, Lehrkurse und 
Bewachungstruppen eines Etappen 
hauptortes brachten es zwar mit sich, 
daß nur höhere Stäbe und wenige 
Truppen in der Stadt selbst unterge 
bracht wurden. Die Hauptmassen wur 
den in der Umgebung einquartiert. Und 
das war — schon im Hinblick auf die 
stete Spionagegefahr — ganz gut so. Diente doch Gent da 
mals wegen seiner Lage nicht allein als Etappenhauptort, 
sondern war auch der geeignete Platz für ein Oberkommando 
gegen die holländische Front, falls England den bisweilen 
drohenden Einfall über das Gebiet des neutralen Nachbarn 
zur Ausführung brachte. Doch führte jeder Nah-und Fern 
zug beurlaubte Offiziere und Mannschaften der Stadt zu. 
Radler, Reiter und Militürfuhrwerke belebten die Straßen. 
Gent ist eine eigentümliche Sfadt. Sie besteht aus 
vierzig Inseln, die durch Wasserlüufe und Kanäle abgetrennt 
sind, und über diese spannen sich dann wieder gegen hundert 
Brücken. So liegt die Hauptstadt der belgischen Provinz 
Ostflandern am Einfluß der Lys, der Lieve und der Moere. 
Flinke Motorschlepper — in Kriegszeiten mit dem schwarz- 
weiß-roten Anstrich um den qualmenden Schornstein — 
ziehen lange Reihen von Lastkähnen hinter sich her. Die 
Straßenbrücken teilen sich und klappen auf die Seite. Der 
Troß zieht rasch vorüber, während sich der Verkehr an den 
Kanalmauern staut. Die Eenter wissen, was sie den vielen 
Wasserarmen verdanken. Nicht allein malerische. Ausblicke, 
sondern auch einen entscheidenden Teil der wirtschaftlichen 
Einfuhr. Als im dritten Kriegswinter die Kanäle uner 
wartet rasch zufroren und auch mit Hilfe der Eisbrecher nicht 
mehr offen zu halten waren, stand es mit der Kohlenver- 
sorgung der 190000 Einwohner schlecht. 
Betritt man Gent am Bahnhof St. Peter, so sieht man 
auf dem Bahnhofsplatz rechter Hand ein prächtiges Gasthaus. 
Es diente als Lazarett, bis ein feindlicher Fliegerangriff 
Phol. oerl. IUuftrar.-(Äcs. b. H. 
Ein Soldat mit weißer Armbinde, der im Auftrag 
des Arbeiter- und SoldaLenrates am Sicherheits 
dienst in Berlin teilnimmt.
	        
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