Volltext: Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/15. Neunter Band. (Neunter Band)

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Illustrierte Geschichte des Weltkrieges 1914/18. 
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rphot. Max Wipperling, Elberfeld. 
Großer französischer Taubenturm« der in deutsche Hände gefallen ist. 
zum Siege. Im Weltkriege würde diese damals hervor 
tretende Tat keine vereinzelte geblieben sein. Die Ver- 
schwisterung beider Waffen geht so weit, daß die gefallenen 
Kanoniere oft durch Infanteristen ersetzt werden. 
Auch in der Bewaffnung zeigt sich eine gewisse Gleich 
stellung der Eefechtsformeu. Die Mannschaften der Batte 
rien sind jetzt durchweg mit Handfeuerwaffen, ja, mit Ma 
schinengewehren ausgerüstet, die Vereinzelung der Artillerie 
im Eefechtsraum hat aufgehört. Wenn Feldmarschall Blücher 
181!) noch befehlen zu müssen glaubte, daß jedes Bataillon 
oder jede Eskadron, in deren Nähe eine Batterie der eigenen 
Artillerie vom Feinde genommen würde, für den Verlust 
mit ihrer Ehre und ihrem Ansehen einstehen und den Ver 
lust entweder zu vermeiden oder ihn wieder auszugleichen 
schuldig wäre — so ist die Vermischung der Verbände auf 
dem Schlachtfelde jetzt so innig, daß aus der Nähe die un 
mittelbare Berührung geworden ist. Diese findet nun die 
äußerste Betätigung durch die Zuteilung einzelner Batterien 
an die Jnfanterietruppenteile und ihre Stellung unter die 
Befehle von deren Kommandeuren. Der Gefechtszweck 
dieser Batterien ist die wirksame Unterstützung der vor 
gehenden Sturmwellen aus nächster Nähe und die Nieder- 
kämpfung störender Hindernisse, von denen beispielsweise 
Maschinengewehr- und Infanteriewiderstandsnester, beto 
nierte Stützpunkte, Minen, Flammenwerfer und in neuester 
Zeit besonders die Panzerwagen (Tanke) genannt sein mögen. 
Die Begleitbatterien der Feldartillerie (keine schweren 
Haubitzen) müssen sehr beweglich und daher gut bespannt 
fein. Vor dem Angriff werden sie dicht hinter der Infanterie 
bereitgestellt. Sie begleiten diese in allen Abschnitten des 
Kampfes und werden auch zug- und geschützweise eingesetzt. 
Dorfstraßen zum Beispiel sind gegen Panzerwagen oft von 
einem einzigen Geschütz verteidigt worden. Die Panzer 
wagen werden meist aus nächste Entfernung herangelassen 
und dann durch Volltreffer in die Stirnwand kampfunfähig 
gemacht. Die deutschen Heeresberichte haben gemeldet, 
daß die Begleitbatterien mehrfach sogar vor den Infanterie- 
linien auffuhren. Es setzt.das natürlich den höchsten Grad 
von Selbstverleugnung voraus. Ihre Verluste sind dem 
entsprechend oft sehr schwer, ihre Wirkung aber ist um 
so höher einzuschätzen. Im September 1918 gelang es 
zum Beispiel zwischen Cambrai und St. Quentin dem 
Vizewachtmeister Halbreiter vom 1. Garde-Reserve-Feld- 
artillerieregiment auf eine Entfernung von 150 Metern 
200 Schuß in die feindlichen Sturmmassen zu feuern, so 
daß sich diese in Leichenhaufen und entsetzte Flüchtlinge ver 
wandelten. Am 12. September leistete ähnliches die 
gegen sonstigen Gebrauch in die vorderste Linie gezogene 
Mörserbatterie des Hauptmanns Zielke bei Havrincöurt. 
Auf dem gewachsenen Boden stehend, machte sie auf nahe 
Entfernung unter unmittelbarer Beob 
achtung nacheinander 21 feindliche Ge 
schütze unbrauchbar, die der deutschen 
Infanterie überaus lästig geworden 
waren. Die Begleitbatterien sind da 
her für den Sieg sehr wichtig gewor 
den. Ihre Führer und Mannschaften 
beweisen denselben Heldenmut wie die 
Bemannungen der Unterseeboote und 
der Kampfflugzeuge. 
Das Taubenhaus. 
Skizze von Paul Dahms. 
(Hierzu die Bilder Seite 302 und 303.) 
Wenn am frühen Morgen der erste 
Hahnenschrei überdie ftanzösischeFerme 
tönte» dann stand die kleine, wohl 
zwanzigjährige Pvette in der Tür des 
Hauses und blickte hellen Auges zum 
Taubenhaus hinüber. Das ließ sie 
sich an keinem Morgen nehmen, als 
erste dem zahmen Geflügel den Schlag 
zum Flug ins Freie zu öffnen. 
Pvette hatte, obwohl in Frank 
reich geboren, mit den anderen Fran 
zösinnen eigentlich wenig gemein. Bei 
ihren Genossinnen ist es üblich, recht 
lange in den Tag hineinzuschlafen, sich 
oft erst am Nachmittag zu waschen und 
zu kämmen und dann das Haar in Flechten aufzubauschen. 
Bei der Pvette aber war das anders. Aus ihrer Liebe zu 
den Tieren spiegelte sich ein gutes Herz. Und ihr Wesen 
und die schlichte, saubere Kleidung am frühen Morgen 
schon verrieten ordnungliebenden Sinn. 
Gewiß, Pvette war auf dem Lande groß geworden 
und an Einfachheit gewöhnt, aber durch mehrjährigen Auf 
enthalt in ihren schönsten Mädchenjahren bei einer Tante 
in der nahen Stadt, in die sogar schon Pariser Leichtlebig 
keit hinüberzuweben begann, hatte sie auch weltmännisches 
Städterleben und -treiben im kleinen kennen gelernt und 
erlebt. Sie durfte, als sie längst wieder den Haushalt auf 
der väterlichen Ferme mit bewirtschaften half, auch dann 
und wann noch mit dem leichten, zweirädrigen Wagen 
und einem kleinen, flinken Pferd in die Stadt kutschieren. 
Sie konnte dort Konzerte hören, Theater und Kino be 
suchen und Bälle und Feste feiern. 
Daheim aber beschäftigte sich Pvette am liebsten mit 
ihren Tauben. - Sie hatte ein ganzes Taubenhaus voll 
dieser niedlichen Tierchen. 
Diese Taubenhäuser sind in französischen Dörfern und 
auf den Fermen typisch. Einige Fermen führen sogar nach 
ihnen den Namen, wie die Ferme de Eolombe. Ent 
weder sind die Taubenhäuser turmartig über dem großen 
Torweg aufgebaut, oder sie bekleiden, als Anbau auf 
starken Holzpfeilern errichtet, den Hausgiebel in ihrer 
seltsamen, oft zierlichen Bauart mit vielen kleinen Türm 
chen, oder sie ragen inmitten des großen Hofes als 
hohe, sechs- und achteckige Türme empor und bilden 
in vielen Fällen die einzige Zierde des ganzen Gehöftes. 
Ihr Unterbau besteht aus Mauerwerk, der Mittelbau 
aus Fachwerk, und das runde, spitz verlaufende Dach 
trägt rote oder schwarze Ziegelsteine. Die Türme sind 
oft so geräumig, daß sie weit über tausend Tauben be 
herbergen können. Im Innern steil an den Seiten an 
gebrachte Stiegen oder Leitern führen zu den verschiedenen 
aus Gebälk gezimmerten Stockwerken nach oben. Und 
rundherum sind die vielen Lege- und Brutstätten, Nester 
mit viereckigen und runden Schlupflöchern, die in ihrer 
Gesamtheit im Turme wie ein mächtiges Bienenhaus an 
muten. In der Spitze des Turmes befinden sich die Luken 
mit kunstvoll gezimmerten An- und Abflugstellen für die 
Tauben. Schon die großzügige und zahlreiche Anlage 
dieser Taubenhäuser auf dem Lande Frankreichs läßt die 
besondere Liebhaberei für diese geflügelten Haustierchen 
erkennen. So beleben sie denn auch in überwiegender 
Mehrzahl unter dem Hausgetier die Gehöfte auf Dörfern 
und Fermen. 
Wenn Pvette am frühen Morgen aus dem kleinen 
Bauerngehöft über den Hof nach dem turmartigen Tauben-
	        
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